Die "Erfurter Gruppe": Wie die italienische Mafia nach der Wende den Osten übernahm

Erfurt - Es ist eines der wohl dunkelsten Kapitel in Ostdeutschland: der Einfluss der italienischen Mafia seit der Wende. Ein Recherche-Team des MDR und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hat sich der Sache nun angenommen - und dabei immer wieder Verbindungen nach Erfurt entdeckt.

Im August 2007 werden sechs Menschen vor einem italienischen Restaurant in Duisburg erschossen. Hintergrund soll eine Fehde zwischen zwei Familien der 'Ndrangheta gewesen sein.
Im August 2007 werden sechs Menschen vor einem italienischen Restaurant in Duisburg erschossen. Hintergrund soll eine Fehde zwischen zwei Familien der 'Ndrangheta gewesen sein.  © Screenshot/ARD

Begonnen haben soll alles im Jahr 1996, als sich der erste Späher der Mafia-Organisation 'Ndrangheta in Erfurt niederließ. Von der Thüringen Hauptstadt aus expandierte die Gruppe, zuerst nach Weimar und Jena, später auch nach Leipzig, Dresden und Berlin.

Die 'Ndrangheta stammt ursprünglich aus Kalabrien, im Süden Italiens. Als es dort nichts mehr zu holen gab, soll die Organisation ihr Geschäft verlagert haben. Über Mailand und den Norden Italiens seien sie später auch ins Ruhrgebiet und Städte wie Stuttgart oder München vorgedrungen.

Clan-Mitglieder sollen Restaurants und Pizzerien entlang der Route gegründet haben, die sowohl als Tarnung sowie als Stützpunkte fungierten. Als die Mauer fiel und Deutschland vereint wurde, fasste die 'Ndrangheta auch den Osten der Republik ins Auge.

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"Deutschland, und insbesondere der Osten, war für die 'Ndrangheta von Anfang an von großem Interesse", erklärt Nicola Gratteri, Anti-Mafia-Staatsanwalt in Catanzar, in der Dokumentation. "Es war ein armes Gebiet. Aber für diejenigen, die etwas von Wirtschaft und Politik verstehen, war klar, dass Ostdeutschland durch die Wiedervereinigung reich werden würde."

Er ermittelt in Italien gegen die Mafia: Staatsanwalt Nicola Gratteri.
Er ermittelt in Italien gegen die Mafia: Staatsanwalt Nicola Gratteri.  © Screenshot/ARD

Zum Geleitschutz mit Maschinenpistole in die Kirche

Als die Journalisten in Italien eine Kirche der 'Ndrangheta besichtigen, werden sie von Einsatzkräften der Carabinieri, bewaffnet mit Maschinenpistolen, geschützt.
Als die Journalisten in Italien eine Kirche der 'Ndrangheta besichtigen, werden sie von Einsatzkräften der Carabinieri, bewaffnet mit Maschinenpistolen, geschützt.  © Screenshot/ARD

All das zeigt nun die Dokumentation "Mafia-Kolonie Ostdeutschland - Der blinde Fleck der Deutschen Einheit", die seit Montag auch in der ARD-Mediathek zu Verfügung steht.

Die Bilder der Doku sind erschreckend eindrücklich.

Während die Journalisten ein Kloster in Italien besichtigen, das für die 'Ndrangheta eine wichtige Rolle spielt, sorgen schwer bewaffnete Carabinieri für ihre Sicherheit. Als das Team einen Arbeiter anspricht, müssen sie überrascht feststellen, dass dieser alle einschlägigen Restaurants in Erfurt aufzählen kann. "Ein Zufall?", heißt es dazu aus dem Off.

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In der Reportage kommt auch Erfurts ehemaliger Bürgermeister Manfred Ruge (75, CDU) zu Wort. Er sei über die Investoren erfreut gewesen, die sich Mitte der 90er aus Italien kommend in Erfurt ansiedelten. Ihn interessierte nicht, woher das Geld stammte, das in seine Stadt floss. Bis heute sieht er darin kein Problem. "Mir war das fast egal. Hauptsache, es kam ordentliche Gastronomie in die Stadt, mit der man sich nicht schämen musste." Warnungen von der Polizei will er nicht erhalten haben.

Dabei soll die Mafia zur selben Zeit auch in Ostdeutschland angefangen haben zu morden. Auch der Fall des 1996 bei Leipzig ermordeten Girolamo Amato wird in dem Beitrag erwähnt. Der Sizilianer wurde auf der B186 mit sieben Schüssen niedergestreckt. Die Hintergründe blieben lange Zeit im Dunkeln.

Erst etwa 25 Jahre später könnte der Mord nun aufgeklärt werden - weil ein Auftragskiller der Cosa Nostra ausgesagt hat.

Der 'Ndrangheta geht es um Macht

Erfurts ehemaliger Bürgermeister Manfred Ruge (75, CDU).
Erfurts ehemaliger Bürgermeister Manfred Ruge (75, CDU).  © Screenshot/ARD

Die mittlerweile als "Erfurter Gruppe" bekannte 'Ndrangheta-Zelle in Thüringen expandierte schließlich weiter. Erst nach Berlin, dann sogar zurück in die Heimat nach Rom. Allein in Deutschland soll sie mindestens 25 Restaurants besitzen, in Rom sechs. Als nächstes folgte Lissabon. Und während die Clan-Mitglieder in Erfurt als freundliche Restaurant-Besitzer daherkommen, soll ihr Verhalten im Hintergrund rauer werden.

Der 'Ndrangheta gehe es um Macht, Einflussnahme, heißt es mehrfach während der Dokumentation. Geld sei für sie nur ein Mittel zum Zweck.

Das schlimmste sei für sie indes, wenn ihr Handeln aufgedeckt wird, vor allem im Ausland. So war das Massaker von Duisburg im Jahr 2007, bei dem sechs Menschen in Folge einer Fehde zwischen verfeindeten 'Ndrangheta-Familien ums Leben kamen, eine Katastrophe für die Organisation.

Das öffentliche Interesse verblasste bereits nach kurzer Zeit, doch mittlerweile seien Europas Behörden aufgewacht. In den vergangenen Jahren habe es drei große Polizeieinsätze gegen die 'Ndrangheta gegeben. In allen drei Fällen sollen Verbindungen nach Erfurt ausgemacht worden sein.

Titelfoto: Montage: Screenshots/ARD

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