Schock-Diagnose Tourette! Studentin Julia (22) aus Dresden: Mein kompliziertes Leben mit den Tics

Dresden - Mitten in der Pandemie erhielt Julia (22) aus Dresden eine Schock-Diagnose: Sie leidet an Tourette, der unheilbaren "Tic-Krankheit". Wie die Studentin damit umgeht, teilt sie jetzt im Internet, will über die seltene Krankheit aufklären.

Julia (22) im Gespräch mit TAG24-Reporter Hermann Tydecks (38).  © Norbert Neumann

Sie zeigt wildfremden Menschen den Mittelfinger, ruft "Nutte" an der Supermarktkasse, reißt in der Bahn kreischend ihren Arm hoch: So heftige Tics hatte Julia nicht von Anfang an.

Mit 13 Jahren zuckte sie nur leicht, schnitt Grimassen. Aber nur aller paar Monate, nicht mal ihre Eltern bemerkten es. Julia dachte an eine Marotte.

Doch im Herbst vergangenen Jahres begann sie, täglich zu zucken. Auf der Couch mit ihrem Freund rief sie plötzlich laut "Ah!". "Habe ich das gerade wirklich gesagt?", fragte sie erschrocken.

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Einige Arzt-Termine später stand fest: Julia hat Tourette. "Es war ein Schock", sagt sie. Ihre Tics verstärkten sich, veränderten ihr Leben. "Früher hatte es gar keiner mitbekommen. Heute merkt es jeder sofort."

Im Wartezimmer, in der Bücherei, beim Spazieren: Ihre körperlichen und verbalen Tics machen keine Pause, treten bei Stress häufiger auf.

Sie sagt zu ihrer Professorin "Verpiss dich", zu Fremden "Fuck off": "Ich kann nicht steuern, was ich im Tic sage oder mache", erklärt Julia.

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Tourette ist keine "Spaßkrankheit"

Videodreh für Julias Youtube-Kanal "Julticlia".  © Norbert Neumann

Sie nennt ihr Tourette "Geralt", auch wenn er keine zweite Persönlichkeit ist. "Aber er sagt manchmal überraschende Sachen, die sehr gut passen. Die wären mir so gar nicht eingefallen", sagt Julia schmunzelnd.

Handgreiflich wird sie nicht. "Vor mir braucht niemand Angst haben", sagt sie im Gespräch mit dem TAG24-Reporter. "Doooocchhh!", schaltet sich "Geralt" plötzlich ein. Es ist eine der Situationen, worüber sie und ihr Gegenüber herzlich lachen können - und auch dürfen!

Trotzdem ist Tourette keine "Spaßkrankheit", betont sie. "Das Zucken tut häufig weh. Außenstehende sollten es ignorieren, mich nicht ständig anglotzen."

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Während des Lockdowns fand die Soziologie-Studentin ihren Umgang mit der Krankheit, klärte Freunde auf. "Meine größte Sorge ist, dass ich immer die mit Tourette bin", sagt Julia.

Darum will die mutige Dresdnerin mit ihrem YouTube-Kanal "Julticlia" auch aufklären - und sich selbst weiter mit ihrer Krankheit auseinandersetzen.

In ihren Filmen klärt die Soziologie-Studentin über ihre Krankheit auf.  © Screenshot YouTube/Julticlia

Die Krankheit ist unheilbar

Das Tourette-Syndrom ist eine meist angeborene Erkrankung des Nervensystems. Sie ist durch das Auftreten motorischer und vokaler Tics charakterisiert. Tics sind spontane Bewegungen, Laute oder Wortäußerungen, die ohne den Willen des Betroffenen zustande kommen, ähnlich wie Niesen oder Schluckauf. Schimpfwörter äußern nur gut ein Viertel der Erkrankten.

Die Krankheit trifft mehr Jungs als Mädchen, ist unheilbar. Medikamentöse Behandlungen können belastende Tics lindern. Tourette beginnt meist in der Kindheit, seltener in der Jugend oder später. Bei den meisten Betroffenen bessern sich die Symptome nach der Pubertät oder verschwinden ganz. Bei anderen bleiben sie lebenslang.

Nach Schätzungen tritt Tourette bei rund einem Prozent der Menschen auf - also auch bei rund 40.000 Sachsen.

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