Chemnitzer Klinikum hilft Missbrauchs-Opfern: Spuren sichern, auch ohne Polizei
Chemnitz - Das Klinikum Chemnitz bietet Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind, eine neue Unterstützung an. Betroffene können anonym und kostenfrei Spuren und Beweise eines Übergriffes sichern lassen - auch ohne dass eine Anzeige bei der Polizei erstattet wurde.
Alles in Kürze
- Klinikum Chemnitz hilft Missbrauchs-Opfern
- Anonyme Spurensicherung ohne Polizei
- Betroffene können zu jeder Tageszeit kommen
- Gesicherte Beweise ein Jahr aufbewahrt
- Jede dritte Frau von Gewalt betroffen

"Die vertrauliche Spurensicherung entlastet die Betroffenen, indem sie eine zeitliche Flexibilität schafft, um in Ruhe über ein weiteres Vorgehen zu entscheiden", erläutert Oberärztin Dr. Johanna Rose von der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe.
Nach einem Übergriff ist es wichtig, Spuren möglichst zeitnah zu sichern. Die Frauen können zu jeder Tages- und Nachtzeit in die Notaufnahme der Klinik für Frauenheilkunde, Flemmingstraße 4, kommen - "möglichst ungeduscht und mit der Kleidung, die zum Tatzeitpunkt getragen wurde", empfiehlt die Klinik. Es ist möglich, eine Begleitperson mitzubringen.
Lisa Melzer (31) vom Verein "Wildwasser" Chemnitz, der Betroffenen ebenfalls hilft, begrüßt das neue Angebot: "Frauen sind direkt nach einer Tat oft nicht in der Lage, sofort eine Entscheidung zu treffen, ob sie Anzeige erstatten wollen. Je näher ihnen der Täter steht, umso schwieriger ist es", so die Sozialpädagogin.
Die gesicherten Beweise werden ein Jahr aufbewahrt und vertraulich behandelt. Entscheidet sich die Frau innerhalb dieser Zeit für eine Anzeige, kann auf das Material im Klinikum zurückgegriffen werden.
Gewalt betrifft jede dritte Frau


Laut Polizeistatistik gingen die Verfahren wegen sexueller Übergriffe und Vergewaltigungen in den vergangenen fünf Jahren leicht zurück: in der Stadt Chemnitz von 70 Fällen 2020 auf 55 im vergangenen Jahr. Die Zahl der Anzeigen wegen sexueller Belästigung stieg im selben Zeitraum von 42 auf 76.
Diese Zahlen sind die Spitze eines Eisberges: Laut dem Bundesamt für Familie ist jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal im Leben von physischer oder sexueller Gewalt betroffen.
Viele scheuen sich aus Angst oder Scham, Täter anzuzeigen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Zeit für Frauen
Kommentar von Mandy Schneider

Wer beraubt oder geschlagen wird, sucht in der Regel aufrichtig empört das nächste Polizeirevier auf und schildert, was geschehen ist. Ganz anders verhalten sich Betroffene, wenn eine Vergewaltigung geschehen ist.
Sie sind beherrscht von Angst, Scham, einem Nicht-wahrhaben-Wollen, Schuldgefühlen. All das führt dazu, dass Frauen oft zu lange zögern, ehe sie den Mut aufbringen, zur Polizei zu gehen. Die Zeit, die vergeht, arbeitet für die Täter.
Laut verschiedener Erhebungen werden 85 bis 95 Prozent aller Vergewaltigungen nicht angezeigt. Sich in die Obhut einer Ärztin oder eines Arztes zu begeben und dort anonym Hilfe zu erhalten, scheint lebenswirklicher als der Gang zum Polizeirevier. Auch aus diesem Grund wurde der Anspruch darauf bereits 2020 gesetzlich verankert.
Dass die Möglichkeit zur vertraulichen Spurensicherung in Chemnitz jetzt ausgeweitet und darüber aufgeklärt wird, ist überfällig. Sie bietet Frauen die Chance auf ein Stück Selbstbestimmung nach einer Erfahrung, in der ihr diese vollkommen genommen wurde.
Und sie verschafft ihnen Zeit, um die Kraft zu finden, sich zu wehren.
Titelfoto: Bildmontage: Klinikum Chemnitz