Kein Chemnitzer kennt unsere Denkmale so gut wie Thomas Morgenstern: Steinflüsterer geht in Ruhestand

Chemnitz - Chemnitz' oberster Denkmalschützer ging am Donnerstag in Rente. 30 Jahre leitete Thomas Morgenstern (66) die Denkmalschutzbehörde. Architektur hatte er studiert, "um etwas Neues zu bauen", doch dann wurde die Rettung alter Baukultur zu seiner Lebensaufgabe. Dafür schickte er sogar Geheimfaxe ins OB-Büro und nahm Abmahnungen hin.

Zum Abschied besuchte Thomas Morgenstern (66) noch einmal die Bernhardsche Spinnerei, deren Abriss er einst ablehnte.
Zum Abschied besuchte Thomas Morgenstern (66) noch einmal die Bernhardsche Spinnerei, deren Abriss er einst ablehnte.  © Ralph Kunz

In den ersten Jahren nach der Wende wurde vor allem auf dem Kaßberg saniert. Morgenstern sorgte dafür, dass die Fassaden ihre typischen Pastellfarben wieder bekamen. 

"Viele Investoren aus Bayern wollten die Häuser Ockergelb anstreichen, weil das dort wohl so üblich war." Als sich der Denkmalschützer in einer Diskussionsrunde kritisch über den Umgang mit den typischen Kaßberg-Vorgärten äußerte, kassierte er schulterzuckend eine Abmahnung.

Etwa 5000 Baudenkmale hatte Thomas Morgenstern in seiner Obhut. "Rund 200 haben wir beim Stadtumbau verloren. Das war hart." 

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Die Fördermittel-getriebene Abrisswelle, die vor 20 Jahren anrollte, konnte der Denkmal-Chef manchmal mit seinem Veto stoppen. Wie bei der Bernhardschen Spinnerei in Harthau, der ältesten Fabrik Sachsens. 

Thomas Morgenstern hat noch einen Wunsch - und eine Warnung

Der Erhalt des Pylonendachs vom Busbahnhof liegt dem Denkmalschützer besonders am Herzen.
Der Erhalt des Pylonendachs vom Busbahnhof liegt dem Denkmalschützer besonders am Herzen.  © Ralph Kunz

"Der Abrissantrag war schon gestellt. Dann sahen zwei junge Architekten, die gerade an einem Neubau-Projekt für ein Pflegeheim saßen, einen Fernsehbeitrag über das Gebäude und fragten am nächsten Tag bei mir nach, ob so eine Nutzung denkbar wäre."

Als die Verkaufs-Verhandlungen stockten, schaltete Morgenstern den damaligen OB Peter Seifert (78) per Geheim-Nachricht ein. "Er hatte mir angeboten, dass ich in dringenden Fällen Freitagnachmittag, wenn er allein war, ein Fax schicken kann." Die Sanierung gelang. 2007 eröffnete eine Seniorenresidenz.

Zum Abschied hat Morgenstern einen Wunsch - und eine Warnung: "Die Schillingschen Figuren sollten wieder an den Theaterplatz zurückkehren. Und ich hoffe, das Pylonendach des Busbahnhofes bleibt, wo es ist. Eine Umsetzung wäre das Ende des Denkmals."

Auf diese Denkmale sollte Chemnitz stolz sein

Leineweberhaus

Die Rettung der Fachwerkhäuser im Schlossviertel machte Thomas Morgenstern zur Chefsache. Für das älteste, ein 1651 am Schlossberg 4 gebautes Leineweberhaus, war der Abbruchantrag schon gestellt: "Wir lehnten ab und forderten von der GGG den Nachweis, dass sich kein Käufer finden lässt." 

Es fand sich einer - und die ehemalige, vom Hausschwamm befallene Ruine verwandelte sich in ein Schmuckstück: die heutige Gaststätte und Pension "Ausspanne".

Das Leineweberhaus in Chemnitz ist heute eine Gaststätte und Pension.
Das Leineweberhaus in Chemnitz ist heute eine Gaststätte und Pension.  © Ralph Kunz

Industriemuseum

Das Schicksal des heutigen Industriemuseums schien im August 1989 besiegelt: Die frühere Gießerei sollte für einen Neubau des Schleifmaschinenwerks abgerissen werden. 

Nur die markanten Rundbögen der Fassade an der Zwickauer Straße sollten stehen bleiben. Thomas Morgenstern: "Die Sprenglöcher waren schon gebohrt. Sie sind noch an den Kacheln des Maschinenhauses sichtbar." 

Die Wende kam schneller als der Sprengmeister. 1999 startete die Sanierung.

Das Industriemuseum wurde 1999 saniert.
Das Industriemuseum wurde 1999 saniert.  © Ralph Kunz

Schillingsche Figuren

Die Schillingschen Figuren sind Sachsens wertvollste Steinskulpturen des 19. Jahrhunderts - und das Denkmal, über das am meisten diskutiert wird. Wohin mit ihnen? 

"Sie gehören an den Theaterplatz. Nur dort gibt es den nötigen Höhenunterschied für eine Treppe, die ihnen gerecht wird. Sie sollten das Theatron ersetzen", sagt Thomas Morgenstern. Der jetzige Standort der Sandsteinplastiken am Schlossteich sei wegen Vandalismus und Verschattung nicht optimal.

Die Schillingsche Figuren sind Sachsens wertvollste Steinskulpturen des 19. Jahrhunderts.
Die Schillingsche Figuren sind Sachsens wertvollste Steinskulpturen des 19. Jahrhunderts.  © Kristin Schmidt

Villa Esche

Die Villa Esche, die der belgische Architekt Henry van de Velde 1902 für den Textilfabrikanten Herbert Eugen Esche entwarf und ausstattete, wurde ab 1998 von der GGG mit großem Aufwand saniert und 2001 eröffnet. 

Die Villa Esche wurde 1998 aufwendig saniert.
Die Villa Esche wurde 1998 aufwendig saniert.  © Ralph Kunz

Auch die kleinen Geheimnisse dieses Kleinods von internationalem Ruf sind Thomas Morgenstern vertraut: "Van de Velde hatte zwei Farbkonzepte für die Villa - es gab auch eine Variante mit sandfarbener Fassade und Fenstern in einem Grünton."

Titelfoto: Ralph Kunz

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