Fahrstunde mal anders: Hier geben Blinde Vollgas
Chemnitz - Thomas Scheibner (49) gibt Vollgas. Der 190 PS starke Ford Kuga beschleunigt auf 70 Sachen, dann muss der Fahrer wieder bremsen. Scheibner strahlt: "Stark, wie mich die Kraft in den Sitz drückt." Er kann es nur fühlen, nicht sehen - der Zwickauer ist komplett blind.
Neun blinde Frauen und Männer durften Runde um Runde auf dem Verkehrsübungsplatz an der Glösaer Straße in Chemnitz drehen. In Fahrschulautos, mit Fahrlehrern an der Seite. Eine Aktion des sächsischen Blindenverbandes und des "Vereins zur Erhöhung der Verkehrssicherheit", in dem sich zehn Chemnitzer Fahrschulen vereint haben.
Thomas Scheibner konnte früher sehen, besaß sogar den Lkw-Schein. Dann erkrankte und erblindete er. "2006 fuhr ich zuletzt Auto", sagt er aufgeregt.
Seitdem hat sich in der Autotechnik viel geändert, weiß Scheibner, und fragt den Fahrlehrer Mathias Hetzel (57) ganz erstaunt: "Was ist ein Startknopf?" Hetzel findet Nervosität normal: "Die Blinden sind unsicher wie neue Fahrschüler."
Lust zum Scherzen hat er auch. Als ein blinder Fahrer Scheibners Weg kreuzt, ruft er: "Hat der uns nicht gesehen?"
Einmalige Erfahrung für Blinde
Etwa 1500 Mitglieder hat der Blindenverband. Ihm gehört die Villa Rochsburg in Lunzenau, wo die Idee der kostenlosen Fahrstunde entstand.
Adelheid Rother (70) aus Chemnitz ist von Geburt an blind und jubelte nach ihrer ersten Vollgasfahrt: "Ich habe Freiheit gespürt!" Benjamin Dietrich (36) aus Erfurt kam nach der Runde im Elektro-Benz auf den Geschmack: "Ich würde gerne den Führerschein machen."
Organisator Siegfried Lehmann-Orgis (71) war zufrieden: "Die Blinden machten heute eine einmalige Erfahrung."
Titelfoto: Uwe Meinhold