Chemnitz - Zwei Stunden im Rollstuhl und ich habe mehr gelernt als in zwei Jahrzehnten zu Fuß. Für TAG24 habe ich mich bei der 24. Rolli-Tour des ASB Wohnzentrums an der Rembrandtstraße 15 dem Selbsttest gestellt. Die Strecke durch die Innenstadt soll ein Zeichen für Inklusion setzten. Für mich war sie vor allem ein rüttelndes Erwachen.
Schon vor dem Start die erste Hürde: meine große Handtasche. Normalerweise hängt sie lässig über der Schulter. Aber im Rollstuhl? Auf dem Schoß stört sie, hinten schleift sie an den Rädern. Und da hab ich mich noch keinen Meter bewegt.
Kaum losgerollt merke ich: Die Stadt ist voller Barrieren. Kleine Steigungen werden zu Hindernissen, Bodenunebenheiten zur Tortur. Ich brauche Hilfe.
Frank Thiele (70) läuft als Begleiter mit und hat schnell Mitleid mit mir: "Na, komm Mädel, das wird ja so nichts", sagt er und beginnt mich eine steile Straße hinaufzuschieben. An der nächsten Ecke probiere ich es selbst, doch ich bleibe mit hochrotem Kopf an einer Bordsteinkante hängen und komme aus der Puste.
Rollstuhlfahrerin Vicki gibt den ersten Tipp: "Greif nicht mit den Fingern die Räder, nimm den Handballen." Und tatsächlich, es rollt sich etwas leichter.
Chemnitz hat Potenzial, aber auch noch viele nicht barrierefreie Stellen
Trotzdem bleibe ich fast in einer Hecke hängen, die auf den Gehweg ragt oder fahre knapp an Glasscherben vorbei.
Und an Ampeln? "Fünf Sekunden grün, das reicht doch nie", sagt Frank hinter mir. Er hat recht. Ich spüre Zeitdruck, Unsicherheit und Abhängigkeit.
Kurz vor dem Ziel am Hartmannplatz erreichen wir den Marktplatz. Hier wurde das historische Kopfsteinpflaster bereits abgeflacht: ein sichtbares Signal für mehr Barrierefreiheit. Aber selbst da ist der Untergrund noch immer so holprig, dass ich durchgerüttelt werden.
Mein Fazit: Chemnitz hat vielleicht Potenzial, aber echte Inklusion beginnt da, wo wir auch die Wege sehen, die andere gehen müssen - und manchmal nicht gehen können.