Von wegen Januar-Flaute! Chemnitz erlebt kleinen Gastro-Boom
Chemnitz - Energiekrise? Kein Geld? In Chemnitz scheint das Jammern im neuen Jahr wie weggewischt. Zumindest die Restaurants sind seit Weihnachten wieder rappelvoll. Kurzfristig sind am Wochenende kaum Plätze zu kriegen.
"Das Geschäft läuft besser als von vielen befürchtet", sagt Dirk Gust (54, "Ratskeller", "Ausspanne"). "Die Leute haben Geld und geben es gerne zum Genießen aus."
Auch "Kellerhaus" und "Speisekammer" sind am Wochenende brechend voll. "Ich musste leider sehr, sehr vielen Interessenten am Telefon absagen."
Beim Mexikaner "Espitas" sind trotz der 220 Plätze freie Tische oft Mangelware. Restaurantleiter Merlin Böhnisch (24) freut sich: "Der Januar gilt in der Gastronomie als toter Monat. Aber Chemnitz lebt. Die Menschen haben Geld und geben es gerne aus - von Krise keine Rede."
Das erlebt Tommy Seidel (38) im Café "Michaelis" ähnlich. Gernot Roßner (51, "Brasil") ist "wider Erwarten an den Wochenenden ausgebucht".
André Donath (58, "Turmbrauhaus") sieht das Ausgehverhalten der Chemnitzer sogar explodieren: "Das liegt natürlich auch am milden Wetter der vergangenen Wochen. Ich habe im Scherz schon gesagt, wir räumen die Biergartenstühle raus."
Die neue Lust am Auswärtsessen erfasst sogar Gartenlokale wie die "Gesundheit" hinter der Zschopauer Straße. Aber Betreiberin Katja Feige-Stoll (41) staunt noch mehr über den Andrang im nahen japanischen Restaurant "Aiko": "Die Gäste stehen dort in Riesenschlangen vor der Tür."
Wer einen Platz sichern will, sollte rechtzeitig reservieren, rät André Gruhle (48, "Miramar", "Diebels", "Pelzmühle"). "Ein bis zwei Wochen sind vor allem für Wochenenden sinnvoll." Spontanes essen gehen sei für Pärchen trotzdem möglich: "Viele Wirte halten Plätze für Notfälle bereit."
Genießen statt meckern
Kommentar von Bernd Rippert
Die Dauermeckerer müssen jetzt ganz tapfer sein: Zumindest für die Mittelschicht in Chemnitz gibt es keine finanzielle Krise. Das merken die Restaurants sehr deutlich.
Die Gastronomie ist ein guter Krisen-Gradmesser. Denn Ausgehen ist Luxus, zur einfachen Nahrungsaufnahme kann man auch zu Hause bleiben. Und die Chemnitzer gehen vor allem am Wochenende aus wie selten zuvor.
Kurzfristig einen Platz am "Futtertrog" zu finden, ist in Chemnitz in diesem Jahr ein Glücksspiel. Ich selbst fand in zehn Versuchen keinen Restauranttisch am vorletzten Sonnabend, und am vorigen Freitag musste ich auch ganz schön rumtelefonieren.
Wem das zu kleinteilig erscheint: Im Vorjahr stiegen die Konsumausgaben aller Deutschen um 4,6 Prozent. Preisbereinigt. Das sind die Fakten. Doch in der öffentlichen und oft auch medialen Wahrnehmung stehen Ängste um Inflation und Energiepreise im Vordergrund. Natürlich sind das alles keine schönen Nachrichten. Aber die Mittelschicht erlebt derzeit keine echte Finanzkrise.
Also weniger meckern, mehr genießen. Macht doch auch mehr Spaß.
Titelfoto: Ralph Kunz