Monatelange Wartezeit: Bearbeitungs-Stau im Chemnitzer Rathaus wird für Betroffene zum Problem
Chemnitz - Gesetzliche Betreuer sollen ein Anker sein, wenn das Leben ins Straucheln kommt: zum Beispiel für alte Menschen ohne Angehörige, die einen Heimplatz brauchen. Auch für Sucht- oder psychisch Kranke, die mit Anträgen auf Hilfe oder anderer Bürokratie überfordert sind. Wer in Chemnitz zu dieser schutzbedürftigen Gruppe gehört, muss derzeit monatelang auf Hilfe warten.

In der zuständigen Betreuungsbehörde der Stadt gibt es einen horrenden Bearbeitungsstau: "In 379 Fällen liegt eine Aufforderung des Betreuungsgerichtes zur Unterstützung vor. Diese sind aktuell noch unbearbeitet", teilte Sozialbürgermeisterin Dagmar Ruscheinsky (64, parteilos) auf Anfrage von Stadtrat Maik Otto (45, SPD) mit.
Statt vier Wochen - wie vorgesehen - dauert die Bearbeitung der Fälle aktuell 16 Wochen. "Das ist ein untragbarer Zustand! Hier geht es um hilflose Menschen, die im Stich gelassen werden. Die Stadt muss dringend eine Lösung finden", fordert Otto.
Grund für das Dilemma ist akuter Personalmangel: Von 20 Stellen in der Betreuungsbehörde sind nur 8,5 besetzt. Mit einer Gesetzesreform, die zu Jahresbeginn in Kraft getreten ist, um die Situation von betreuten Personen zu verbessern, erweiterte sich das Aufgabenfeld der Behörde - und der Personalbedarf.
Maik Otto: "Bis jetzt werden einzelne gesetzlich vorgeschriebene Aufgaben noch gar nicht umgesetzt. Das kann nicht so bleiben."
Die Auswirkungen spüren auch die gesetzlichen Betreuer wie Ines Tuphorn (57), Geschäftsführerin des Vereins für rechtliche Betreuung Chemnitz: "Ich kenne einen Fall, in dem ein Senior ein halbes Jahr in der Klinik bleiben musste, weil es niemanden gab, der einen Vertrag mit einem Pflegeheim abschließen konnte. Bei anderen Klienten haben wir einen Wäschekorb voller ungeöffneter Post auf dem Tisch, der sich angesammelt hat."


So funktioniert die gesetzliche Betreuung

Mit einer früher üblichen Vormundschaft über Volljährige, die damit entmündigt wurden, hat das heutige Betreuungsrecht nur noch wenig zu tun.
"Unsere Klienten bleiben geschäftsfähig, dürfen weiterhin über ihre eigenen Belange entscheiden. Sie erhalten bei der rechtlichen Betreuung Hilfe, beim Stellen von Anträgen, bürokratischen Vorgängen oder dem Abschluss von Verträgen", beschreibt Ines Tuphorn (57), Geschäftsführerin des Vereins für rechtliche Betreuung Chemnitz, ihre Arbeit.
Ein Richter bestellt einen Betreuer auf Antrag. Vor der Entscheidung muss die kommunale Betreuungsbehörde in einem Sozialbericht eine Einschätzung über den Bedarf abgeben. Als Betreuer arbeiten beispielsweise Sozial- und Heilpädagogen oder Juristen.
In Chemnitz gibt es rund 50 Betreuer, die in drei Vereinen oder freiberuflich tätig sind.
Infos: www.vfrb.de, www.betreuungsverein-chemnitz.de, www.delegado.de
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