Einsätze zur Hochzeit und am Jahrestag: Die Liebe dieser Helfer ist stärker als jede Katastrophe

Dresden - Diese beiden sind ein "Katastrophen-Paar": Eigentlich kämpfen Katrin (43) und Carsten Reuer (50) aus Dresden als engagierte Johanniter-Helfer gegen das Chaos bei Katastrophen - beim Hochwasser von 2002 und 2013 oder bei den jüngsten Feuerwalzen in der Sächsischen Schweiz. Doch ausgerechnet Naturkatastrophen verhagelten ihnen gleich zweimal die Hochzeit - erst in der Flut, jetzt in der Glut. Bei allem Unglück haben sie jedoch eine Glückszahl: Immer wieder taucht die 17 als feste Größe in ihrem turbulenten Leben auf.

Die große Liebe kam mit Verspätung: Erst über Umwege wurden die Jugendfreunde Katrin (43) und Carsten Reuer (50) aus Dresden ein Ehepaar.
Die große Liebe kam mit Verspätung: Erst über Umwege wurden die Jugendfreunde Katrin (43) und Carsten Reuer (50) aus Dresden ein Ehepaar.  © Daniel Förster

Die zwei hatten sich im Wendejahr 1989 zufällig kennengelernt - beim Urlaub in einer Bungalow-Siedlung am Senftenberger See.

"Unser beider Eltern arbeiteten im Zellstoffwerk Heidenau und unsere Betriebsbungalows standen in Bagenz direkt nebeneinander", erinnert sich Katrin, die damals 11 Jahre alt war. "Ich war schon 17 und wir waren wie großer Bruder und kleine Schwester", ergänzt Carsten.

Die beiden freundeten sich an, spielten Räuber-Rommé, gingen zu zweit ins Kino. "Ich verriet ihr sogar meinen Spitznamen, den bis heute nur meine besten Freunde kennen", schmunzelt Carsten.

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"Wieder zu Hause in Heidenau habe ich ihn zu meinem 12. Geburtstag eingeladen und Kuchen gebacken", sagt Katrin. Und Carsten kam. Stolz ritt er aus seinem Heimatort Biensdorf im Erzgebirge mit seiner nagelneuen MZ Ets 150 ein, genoss den selbst gebackenen Kuchen.

Doch nach der Geburtstagsfeier verloren sich die zwei aus den Augen. Katrin machte Abi, hatte einen ersten Freund. Carsten begann seine Ausbildung als Krankenpfleger, ging zur Bundeswehr, heiratete und wurde wieder geschieden.

Katastropheneinsatz statt Hochzeitsfeier: Katrin Reichelt (damals 23) und Carsten Reuer (damals 30) heirateten 2002 beim turbulenten Johanniter-Einsatz.
Katastropheneinsatz statt Hochzeitsfeier: Katrin Reichelt (damals 23) und Carsten Reuer (damals 30) heirateten 2002 beim turbulenten Johanniter-Einsatz.  © Daniel Förster
Jawort mitten im Katastrophengebiet: Im Evakuierungszentrum Pirna-Sonnenstein ließen sich Katrin und Carsten spontan von Pfarrer und Seelsorger Andreas Günzel (damals 43) kirchlich trauen. Die Hochzeitsringe waren schon graviert. Ein Kuss besiegelte das Bündnis.
Jawort mitten im Katastrophengebiet: Im Evakuierungszentrum Pirna-Sonnenstein ließen sich Katrin und Carsten spontan von Pfarrer und Seelsorger Andreas Günzel (damals 43) kirchlich trauen. Die Hochzeitsringe waren schon graviert. Ein Kuss besiegelte das Bündnis.  © Daniel Förster

"Am Montag vor der Hochzeit tönte der Pieper"

Statt Sekt gab's Selters - und Bier! Die "Hochzeitsgesellschaft" von 2002 mit Brautpaar und Pfarrer vor dem Zelt des Evakuierungszentrums auf dem Pirnaer Sonnenstein.
Statt Sekt gab's Selters - und Bier! Die "Hochzeitsgesellschaft" von 2002 mit Brautpaar und Pfarrer vor dem Zelt des Evakuierungszentrums auf dem Pirnaer Sonnenstein.  © Daniel Förster

Erst 1994 war es wieder der Zufall, der die beiden erneut zusammenbrachte. "Ich besuchte gerade meinen Freund im Krankenhaus Heidenau, als ich Carsten auf dem Flur traf", sagt Katrin.

Doch war es wirklich der alte Jugendfreund? Als Parole flüsterte sie ihm den streng geheimen Spitznamen ins Ohr. Carsten war erstaunt, lächelte. Erkannt!

Bei den Johannitern im Katastrophenschutz trafen sie sich schon bald wieder. Beide sind bis heute ehrenamtliche Retter, bei vielen Übungen zusammen. Dabei entbrannte das Feuer der Liebe.

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Am 17. August 2002 wollten die beiden auf Schloss Weesenstein heiraten. Alles war vorbereitet. Doch dann kam die Jahrhundertflut und verschluckte halb Weesenstein. Carsten: "Am Montag vor der Hochzeit tönte der Pieper, rief uns zum Einsatz." Die zwei leiteten mit ihren Kameraden ein Evakuierungszentrum auf dem Pirnaer Sonnenstein, betreuten dort zeitweise 5000 Evakuierte.

"Als der Notfallseelsorger Pfarrer Andreas Günzel erfuhr, dass wir heiraten wollten, bot er sich als Standesbeamter an", weiß Katrin noch ganz genau. Die Ringe waren ja schon gekauft. Aus Biertischen wurde flugs ein Altar aufgebaut, eine Kerze rechts, eine links.

Blumen von der Wiese wurden zu einem Brautstrauß gebunden. Einsatzkräfte, Helfer vom Roten Kreuz aus Bayern und etwa 100 Hochwasser-Obdachlose standen zusammen Spalier, beklatschten das Brautpaar beim Hochzeitsmarsch zur improvisierten Trauung.

Die Reuers waren auch beim Hochwasser 2013 in Pirna im Einsatz, als sich die Elbe auch auf der Dohnaischen Straße/Barbiergasse breitmachte.
Die Reuers waren auch beim Hochwasser 2013 in Pirna im Einsatz, als sich die Elbe auch auf der Dohnaischen Straße/Barbiergasse breitmachte.  © dpa/Arno Burgi

Die nächste Katastrophe und eine heimliche Zeremonie

August 2002: Beamte vom Bundesgrenzschutz paddeln in einem Boot durch die überfluteten Straßen von Pirna.
August 2002: Beamte vom Bundesgrenzschutz paddeln in einem Boot durch die überfluteten Straßen von Pirna.  © imago/Kai Horstmann

Nur das Hochzeitskleid fehlte. Katrin trug einen warmen, grauen Pullover, Carsten seine orange Rettungsweste am schönsten Tag ihres Lebens.

Nach Ringe-Tausch und Küsschen gab's Büchsenbier und Sprite zum Anstoßen. Die richtige Heirat wurde dann am 17. Mai 2003 auf Weesenstein nachgeholt. Wieder war die Zahl 17 im Spiel.

Genau 20 Jahre nach dem ursprünglichen Termin stand erneut eine Katastrophe ins Haus und machten den beiden bei ihrer Porzellan-Hochzeit einen Strich durch die Rechnung.

Bei der Feuerbekämpfung in der Sächsischen Schweiz bauten sie in Pirna-Copitz eine Turnhalle zum Betreuungszentrum für Feuerwehrkräfte aus Sachsen, Hessen und Nordrhein-Westfalen mit 650 Schlafplätzen um.

Was sie nicht wussten: Für den 17. August 2022 hatten ihre Kameraden sowie die Kinder Kim (11) und Florian (18) heimlich eine Zeremonie organisiert.

Der Theologe trägt inzwischen Pferdeschwanz: Nach genau 20 Jahren segnete Pfarrer Andreas Günzel (63, r.) das Brautpaar von damals in einer Turnhalle beim Waldbrand-Einsatz in der Sächsischen Schweiz.
Der Theologe trägt inzwischen Pferdeschwanz: Nach genau 20 Jahren segnete Pfarrer Andreas Günzel (63, r.) das Brautpaar von damals in einer Turnhalle beim Waldbrand-Einsatz in der Sächsischen Schweiz.  © Daniel Förster

Auch die Kinder der Reuers fielen nicht weit vom Stamm

Eheschwur nach 20 Jahren mit Tortenanschnitt erneuert: Heimlich bereiteten ihre Johanniter-Kameraden und die Kinder Kim (11) und Florian (18) die Blaulicht-Andacht zur Porzellanhochzeit vor.
Eheschwur nach 20 Jahren mit Tortenanschnitt erneuert: Heimlich bereiteten ihre Johanniter-Kameraden und die Kinder Kim (11) und Florian (18) die Blaulicht-Andacht zur Porzellanhochzeit vor.  © Daniel Förster

"Wir wussten wirklich nichts", versicherte Katrin, als plötzlich der alte Pfarrer Andreas Günzel bei der Blaulicht-Andacht auftauchte. Carsten: "Er trug seine alte Seelsorger-Jacke von damals."

Günzel ist zuständig für Struppen und Pirna-Sonnenstein und wollte als Pfarrer eigentlich in den Ruhestand gehen, fand aber keinen Nachfolger. Nach 20 Ehejahren erneuerten die Reuers ihr Eheversprechen von der Flut ausgerechnet in den Wirren der Waldbrände. Eine Bläsergruppe aus Dittersbach spielte dazu.

Für Katastrophen-Einsätze sind die beiden von ihren Jobs freigestellt. Katrin ist Pflegedienst- und stellvertretende Heimleiterin in einer Pflegeeinrichtung in Dohna. Carsten arbeitet als Praxisanleiter in der Pflege am Klinikum Pirna.

Die "Äpfel" der Reuers fielen übrigens sprichwörtlich nicht weit vom Stamm: Auch Sohnemann Florian ist mit Herzblut Katastrophenhelfer, verbringt jede freie Minute bei den Johannitern. Kim ist in der Johanniter-Jugend. Die Reuers sind also wirklich eine (auf-)richtige "Katastrophenfamilie".

Titelfoto: Daniel Förster

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