Blasewitz & Loschwitz: Seit 100 Jahren in herzlicher Abneigung vereint
Dresden - Im April 1921 wuchs Dresden um 20 Stadtteile. So wurden unter anderem der Weiße Hirsch, Mockritz und Coschütz eingemeindet. Doch vor allem die reichen Blasewitzer und Loschwitzer wehrten sich gegen die Zwangsehe mit Dresden.
Damals undenkbar: 100 Jahre später wird die Eingemeindung groß gefeiert. Nach historischem Vorbild angelegte Flaggen sollen auf dem Blauen Wunder wehen.
"Dresden wollte wachsen, eine Großstadt werden, nur so konnten die staatlichen Zuschüsse steigen, Messe und Flughafen waren möglich", begründet Professor Thomas Kübler (56) vom Stadtarchiv den "Eingemeindungshunger" von Dresden.
Blasewitz und Loschwitz standen ganz oben auf der Liste, die Gemeinden nutzen ohnehin die Dresdner Beleuchtung, Wasseranschlüsse und Straßenbahnverbindungen.
Doch vor allem die 125 Blasewitzer Millionäre und die vor Ort wohnenden Dresdner Räte sträubten sich. Auch der Schillergarten, damals wie heute Treffpunkt von Politikern, wehrte sich öffentlichkeitswirksam gegen die höheren Dresdner Steuern.
Da half es auch nicht, dass seit 1903 im Restaurant ebenso die "Freie Vereinigung für die Einverleibung" tagte. Eine letzte Petition vom Januar 1921 wehrte sich mit 6 562 gegen 483 Stimmen erfolglos gegen die Eingemeindung.
Letztlich wurde zwangsweise eingegliedert. Blasewitz klagte ohne Erfolg bis in höchste Reichs-Instanzen.
Holprig gestartete Eingemeindung soll endlich gefeiert werden
Wie bei allen Dresdner Eingemeindungen gab es dennoch reichlich Zugeständnisse der Landeshauptstadt: Der Brückenzoll auf dem Blauen Wunder entfiel, acht Jahre lang behielten die Blasewitzer ihre Steuern. Sparkasse und Polizei blieben, Straßen und Schulen wurden ausgebaut.
Coronabedingt verschoben auf den 11. September wird diese so holprig gestartete Eingemeindung nun gefeiert. Weithin sichtbar sollen Flaggen vom Blauen Wunder wehen.
Doch Gemeinden ohne Adelssitz hatten kein eigenes Wappen für eine Flagge. Auch hier half das Stadtarchiv.
"Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelten eigenständige Kommunen eigene Siegel. Das Blasewitzer ziert ein Elbschiff als Verweis auf die örtliche Fährtradition, das Loschwitzer Siegel verweist auf den Weinbau", sagt Dr. Marco Iwanzeck (44) vom Stadtarchiv.
Vorteil Eingemeindung: Mit 800 Euro Budget aus der Stadtkasse beauftragte jetzt der Blasewitzer Stadtbezirksbeirat OB Dirk Hilbert (49, FDP), die Fahnen zur Beflaggung des Blauen Wunders herstellen zu lassen...
Ein Geburtstag, zwei Feiern
Vor 100 Jahren wurden Blasewitz und Loschwitz zwangsweise mit Dresden vermählt. Noch heute ist das für Einzelne vor Ort eher ein Grund zum Trauern als zum Feiern.
Dennoch wird am 11. September die Eingemeindung begangen - allerdings in alter Tradition jeweils für sich, mit zwei Fest-Komitees, zwei Festbudgets und zwei Feten.
Nachdem der ursprüngliche Termin im April Corona zum Opfer gefallen war, ist sich Stadtbezirks-Chef Christian Barth (49), der beide Feste koordiniert, jetzt sicher: "Der Reißleine-Termin ist vorbei, wir geben Vollgas und wollen die Feste durchziehen." Aktuell sind 1000 Gäste pro Feier erlaubt, die Corona-Einschränkungen sind minimal.
Trotz 100 Jahren Eingemeindung - die Elbe trennt die beiden Stadtteile noch immer. Die Loschwitzer feiern auf ihrer Bühne am Elbufer. OB Dirk Hilbert (49, FDP) spricht, Vereine stellen sich vor, Tom Pauls tritt auf.
Wie vor 100 Jahren gibt es "Uromas Eintopf" und Zichorienkaffee. Abends locken Feuerschalen und Knüppelkuchen.
Auch in Blasewitz muss OB Hilbert zum Vortrag ran. Der Posaunenchor der Versöhnungskirche spielt. Archiv-Professor Thomas Kübler (56) spricht zur Geschichte und veranstaltet ein Historien-Quiz. Dem Gewinner winkt ein Rundgang durch die sonst nicht mehr zu besichtigende Schatzkammer des Stadtarchivs.
Um die beiden Stadtteile unabhängig vom Blauen Wunder zu verbinden, wird eine kostenlose Fährverbindung eingerichtet.
Titelfoto: Eric Münch