Jens Genschmar im Gespräch: Politik treibt "Ghettoisierung in einzelnen Stadtteilen voran"

Dresden - In einem Jahr wählen die Dresdner den neuen Stadtrat.

Der Freie-Wähler-Fraktionsvorsitzende Jens Genschmar (54, l.) im Gespräch mit TAG24-Reporter Hermann Tydecks (40) am Lugturm.
Der Freie-Wähler-Fraktionsvorsitzende Jens Genschmar (54, l.) im Gespräch mit TAG24-Reporter Hermann Tydecks (40) am Lugturm.  © Norbert Neumann

Parteien, Fraktionen und ihre Persönlichkeiten bringen sich bereits jetzt in Stellung.

Wo setzen sie ihre Akzente, was planen und was fordern sie?

TAG24 bittet wichtige politische Köpfe der Stadt zum Gespräch.

Heute im "Montags-Interview": Jens Genschmar (54), Fraktions-Chef der Freien Wähler.

Wer sind die Freien Wähler in Dresden?

Silvana Wendt von der CDU ist inzwischen zu den Freien Wählern gewechselt.
Silvana Wendt von der CDU ist inzwischen zu den Freien Wählern gewechselt.  © Steffen Füssel

TAG24: Herr Genschmar, Sie hatten die FDP im Unfrieden verlassen, traten 2019 für die neue Vereinigung der Freien Wähler an, die als rechts gilt. Wo verorten Sie Ihre Fraktion?

Jens Genschmar: Wir sind ganz unabhängige Dresdner, und das sieht man auch an der Entwicklung der Fraktion. Nicht umsonst haben sich uns zwei Stadträte angeschlossen: Silvana Wendt von der CDU und Claus Lippmann, der jahrelang Amtsleiter war. Da kann jeder sehen, wie wir politisch aufgestellt sind.

TAG24: In den sozialen Medien teilen Sie oft populistische Beiträge, posten gegen Migranten, auch Journalisten und Politiker. Es gibt Kollegen im Stadtrat, die Sie gar nicht mehr als Demokraten sehen.

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Dresden Politik Endlich mal 'ne gute Nachricht: "Blaues Wunder" ist noch lange fit

Jens Genschmar: Das soll mir jemand sagen, wo ich nicht demokratisch bin. Während der Asylkrise 2015 habe ich eine Patenschaft für eine libysche Familie übernommen, habe jahrelang soziales Engagement gezeigt. Ich sehe mich als liberalkonservativen freiheitlich denkenden Menschen, bin jemand, der seine Stadt liebt und voranbringen will, auch als touristisches Highlight. Für mich ist immer wichtig, was am Ende meine Wähler von mir denken, wie die mich einschätzen und mein Agieren bewerten.

Genschmar findet, dass sich Dresden nicht zum Besseren entwickelt hat

Die Prager Straße hat sich wieder zu einem Kriminalitätsschwerpunkt entwickelt.
Die Prager Straße hat sich wieder zu einem Kriminalitätsschwerpunkt entwickelt.  © Norbert Neumann

TAG24: Das Abstimmungsverhalten der Freien Wähler ähnelt jenem der CDU und AfD. Wie grenzen Sie sich von diesen Parteien ab?

Jens Genschmar: Vor allen Dingen treten wir als Dresdner an und müssen keine Parteien-Hierarchien durchleben. In der Kommunalpolitik darf es nicht um Parteipolitik gehen, sondern um die Sache. Wir sind eine Fraktion, die sehr oft auch Ergänzungs- oder Ersetzungsanträge erarbeitet. So bringen wir unsere Meinung ein und versuchen, Politik zu gestalten.

TAG24: Wie hat sich Dresden in den letzten Jahren entwickelt?

Jens Genschmar: Ich sage jedem: Wenn man wissen will, wie es der Stadt geht, fährt man zum Hauptbahnhof, läuft über die Prager Straße, geht dann die Wilsdruffer Straße entlang. Meiner Meinung nach hat sich die Stadt nicht zum Besseren entwickelt, und das höre ich von ganz vielen.

TAG24: Woran machen Sie das fest?

Jens Genschmar: Etwa Kriminalität, Drogenhandel. Auf der Prager Straße ganz massiv. Wir wurden vom City-Management angesprochen, die Probleme mit Jugendbanden haben. Gleichzeitig lässt die Attraktivität der Stadt nach. Das sieht man am Leerstand. Wir haben einen absoluten Fachkräftemangel. Teils machen Gaststätten im Kerngebiet der Innenstadt 16 Uhr zu, schließen zwei Tage die Woche. Da sollten schon die Alarmglocken läuten. Wir sollten als Stadt den Leuten, die sich noch in Gastronomie und Handel engagieren, möglichst viel ermöglichen. Damit die Stadt wieder attraktiv wird. Dazu zählen auch bezahlbare Parkplätze.

So wollen die Freien Wähler Kriminalität bekämpfen

Jens Genschmar (54, Freie Wähler) weckte den Lugturm aus dem Dornröschenschlaf.
Jens Genschmar (54, Freie Wähler) weckte den Lugturm aus dem Dornröschenschlaf.  © Marko Förster

TAG24: Die Stadt versucht mit Streifen und Polizeieinsätzen gegen die Kriminalität vorzugehen. Was haben die Freien Wähler für Ansätze?

Jens Genschmar: Wir müssen allgemein denken, wie sich das Land ändert. Durch unsere Politik, Asylsuchende in Prohlis, Gorbitz, Reick unterzubringen, aber wenige in Striesen, Weißer Hirsch oder Randlagen. Damit treiben wir die Ghettoisierung in einzelnen Stadtteilen voran. Dort ist eine Entwicklung zu sehen, die man aus westdeutschen Großstädten kennt. Und das siehst Du teilweise auch auf der Prager Straße.

TAG24: Warum haben die Freien Wähler dann gegen die Prüfung einer möglichen Asylunterkunft mit 18 Plätzen auf dem Weißen Hirsch gestimmt?

Jens Genschmar: Weil es bloß ein Schaufensterantrag war mit wenigen Plätzen. Außerdem haben wir mit den Leuten aus dem Stadtbezirksbeirat geredet, die gesagt haben, dass es dort nicht machbar ist. Die haben es ja auch mehrheitlich abgelehnt.

Genschmar über die DVB

Baubürgermeister Stephan Kühn (43, Grüne) hat Freude am Lastenrad der DVB, Genschmar weniger.
Baubürgermeister Stephan Kühn (43, Grüne) hat Freude am Lastenrad der DVB, Genschmar weniger.  © Thomas Türpe

TAG24: Was ist für die Freien Wähler das größte Problem, was Dresden hat?

Jens Genschmar: Es gibt viele. Die Bürokratisierung. Dass man es den Leuten sehr schwer macht, sich in politische Prozesse einzubringen. Auch die Verkehrspolitik. Früher waren die Verkehrsbetriebe ein solide geführtes Unternehmen. Heute werden Maßnahmen gemacht, die eine extreme Verkehrswende vorantreiben wollen, aber die kleinen Probleme vergessen. Ich habe vor zehn Jahren die Sanierung des Bahnhofsvorplatzes in Niedersedlitz angeregt, das wurde auch im Stadtrat einstimmig beschlossen. Die Stadtverwaltung hat es bis heute nicht umgesetzt.

TAG24: Wie könnten die DVB besser wirtschaften?

Jens Genschmar: Wenn ich höre, dass die DVB jetzt Lastenfahrräder kaufen - die sollen sich kümmern, dass die Leute gut in die Straßenbahn einsteigen können und gut von A nach B kommen! Eine ordentliche Taktung, die Anbindung der Randgebiete, das ist viel wichtiger als irgendwelche großen Trassen auszubauen oder sich an kleinen Projekten zu beteiligen.

TAG24: Wie können wieder stabile Mehrheiten im Rat entstehen?

Jens Genschmar: Wenn alle bereit wären, miteinander zu reden. Wenn man keine Personen oder Fraktionen ausgrenzt. Wenn man sich mit den Inhalten beschäftigt, anstatt mit dem Briefkopf, von wem was kommt. Ich hoffe, dass so die Gräben in der Gesellschaft, wo der Stadtrat am Ende nur ein Spiegelbild ist, geschlossen werden können.

Zur Person

Jens Genschmar (54) im Dresdner Stadtrat.
Jens Genschmar (54) im Dresdner Stadtrat.  © Eric Münch

Jens Genschmar (54) wuchs in Prohlis auf, lebt heute in Niedersedlitz. Nach der Polytechnischen Schule (Abschluss zehnte Klasse) lernte er Wirtschaftskaufmann im VEB Energiekombinat Dresden, wollte danach Journalismus studieren.

Das wurde ihm nach eigenen Angaben verwehrt, da er nicht in die SED eintreten wollte. Er arbeitete schließlich als Empfangssekretär (Portier) im "Dresdner Hof" (heute Hilton).

Seit 2004 sitzt er im Stadtrat, zunächst für die FDP. Wegen umstrittener rechtslastiger Äußerungen geriet er in der Partei zunehmend in die Kritik. Schließlich erlosch seine FDP-Mitgliedschaft, da er bei der Kommunalwahl 2019 für die Freien Wähler antrat und seitdem auch Fraktionsvorsitzender ist.

Genschmar ist verheiratet und Patchwork-Familienvater (vier Kinder), saniert und baut den Lugturm in Heidenau als Ausflugsstätte aus.

Seit Juli arbeitet er als Traditionsbeauftragter bei Dynamo Dresden, zudem leitet er das Dresdner Fußballmuseum.

Titelfoto: Bildmontage: Norbert Neumann

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