Schuldenpolitik und AfD-Brandmauer: CDU-Granden drohen mit Parteiaustritt
Dresden - Kooperieren oder ignorieren: Entgegen der offiziellen Leitlinie ist die sächsische CDU in der Frage der Brandmauer zur AfD weiterhin uneins. Neuen Schub bekommt die Diskussion durch ein aktuelles Positionspapier des Kreisverbandes Bautzen. Das Schreiben an den Landesvorstand droht sogar mit einem Parteiaustritt "prominenter Politiker".

Anlass für das aktuelle Schreiben des Kreisverbands sei die Schuldenpolitik im Bund und - im Rahmen der aktuellen Haushaltsdebatte - auch im Freistaat gewesen, bestätigte Matthias Grahl (54) vom Kreisvorstand Bautzen.
In Sachsen sind BSW, Grüne und Linke für eine Lockerung der Schuldenbremse, die CDU ist dagegen. Die AfD auch.
Grahl ist nicht nur Mitglied im Kreisvorstand und Kreisrat, er ist als Schatzmeister der Landes-CDU auch das einzige ehrenamtliche Mitglied in dem Gremium, das sonst durchweg aus Berufspolitikern besteht.
Grahl bestätigte, dass auch das Verhältnis zur AfD in dem Brief eine Rolle gespielt habe, wollte mehr dazu aber nicht sagen, auch nicht im Hinblick auf die drohenden Parteiaustritte. Unterzeichner sind neben Landrat Udo Witschas (53) mehrere aktive Bürgermeister.

Der Vorsitzende der Heimatunion ist für einen pragmatischeren Umgang mit der AfD

Teilnehmer einer Vorstandssitzung, in dem das Papier in der vergangenen Woche vorgestellt wurde, sprachen von einer "fairen Diskussion".
CDU-Chef und Ministerpräsident Michael Kretschmer (50) soll bei dem Thema jedoch "fast aus dem Korsett gesprungen" sein.
Er steht in Sachen AfD bekanntermaßen für eine Null-Toleranz-Politik. Seit 2018 gilt in der CDU ein Unvereinbarkeitsbeschluss für die Zusammenarbeit mit der AfD, aber auch mit der Linken.
Der Kreisverband Bautzen steht mit seiner Haltung innerhalb der CDU nicht allein. "Im Stadtrat ist es mir egal, wer mit mir die Schule saniert. Hauptsache, sie wird saniert", plädierte der Vorsitzende der Heimatunion in der CDU, Sven Eppinger (54), auf Telefon-Anfrage für einen pragmatischeren Umgang mit der laut Verfassungsschutz "gesichert rechtsextremen" AfD.

Vor allem in ländlichen Regionen Ostdeutschlands wird mit der AfD kooperiert

Ähnlich positioniert sich die Junge Union. Vorsitzender Julian Schiebe (30) sagte TAG24: "Der Unvereinbarkeitsbeschluss lastet auf den Mandatsträgern vor Ort, wenn es auf kommunaler Ebene etwa um die Kita-Beiträge oder Hebesätze geht."
Er sehe in einem pragmatischen Umgang mit der Partei bei Sachfragen auf dieser Ebene aber keinen Widerspruch mit dem 2018er-Beschluss.
Übrigens: Einer Studie zufolge wurden in den Jahren 2019 bis 2024 bundesweit in Kreistagen und Stadträten rund 81 Prozent der von der AfD eingebrachten Anträge abgelehnt.
Einziger Unterschied zwischen Ost und West: In ländlichen Regionen Ostdeutschlands wurde tendenziell häufiger mit der AfD kooperiert.
"Der große Widerspruch" - ein Kommentar von Thomas Staudt

Der CDU-Kreisverband Bautzen plädiert innerhalb der Landes-CDU für einen pragmatischeren Umgang mit der AfD und wirbt damit klar für ein Einreißen der "Brandmauer", die bisher eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließt.
Auf kommunaler Ebene ist das Abstimmen mit der extremen Rechten, wie ein aktuelles Beispiel aus Aue zeigt (dort auf Vorstoß der "Freien Sachsen"), längst kein Einzelfall. Aber auch auf Bundesebene bröckelt die Mauer, wie die Abstimmung zur Migrationspolitik im Januar - noch im inzwischen "alten" Bundestag - deutlich gemacht hat.
Auf Landesebene hat Regierungs-Chef Michael Kretschmer bei seiner Wahl zum Ministerpräsidenten die Stimmen der Linken sehr wohl einkalkuliert. Dabei gilt der Unvereinbarkeitsbeschluss nicht nur für die AfD, sondern auch für die Linke, die für manchen als ähnlich extrem gilt - nur auf der anderen Seite der politischen Parteienskala.
Quod licet Iovi, non licet bovi, sagt der Lateiner und meint: "Was Jupiter erlaubt ist, ist noch lange nicht für ein einfaches Rindvieh." Darf also Friedrich Merz in Berlin die Stimmen der AfD in Kauf nehmen, aber der Stadtrat in Bautzen nicht? Oder gilt gleiches Recht für alle?
Mal über den innerparteilichen Tellerrand hinaus geschielt: Die Frage, ob mit der AfD Staat zu machen ist, entscheidet sich an der Einschätzung der Partei. Der Verfassungsschutz sagt dazu ganz klar: "Wehret den Anfängen!"
Und vermutlich sind viele in der AfD nette Zeitgenossen und nicht zwangsläufig rechtsextrem. Und nicht nur mit ihnen kann man sicher über Kita-Plätze oder den Schulneubau einer Meinung sein. Aber einen Inklusionsbeauftragten oder ein Schwulenreferat kann man mit ihnen nur schwerlich installieren.
Die AfD steht für eine Politik der Ausgrenzung, nicht nur von Minderheiten, sondern von allen, die nicht so ticken wie sie selbst. Das ist in einer Demokratie, die auf Freiheit, Integration und Teilhabe aller basiert, ein Widerspruch, der durch nichts zu schließen ist.
Titelfoto: picture alliance/DeFodi Images/Marco Steinbrecher