Geiselnehmer vom Hamburger Flughafen: Deswegen ergab er sich erst nach 18 Stunden

Hamburg - Am Montag ist der Prozess gegen einen 35-Jährigen gestartet, der im November 2023 seine Tochter (5) entführt haben soll und mit einer 18-stündigen Geiselnahme am Hamburger Flughafen einen Flug in die Türkei erzwingen wollte. Direkt zu Beginn bat die Verteidigung um eine einstündige Unterbrechung. Anschließend legte der Angeklagte ein (Teil-)Geständnis ab.

Die Verteidigerin bespricht sich vor dem Prozess mit ihrem Mandanten.
Die Verteidigerin bespricht sich vor dem Prozess mit ihrem Mandanten.  © Tag24/Madita Eggers

Dem türkischen Staatsbürger werden Geiselnahme, die Entziehung Minderjähriger, vorsätzliche Körperverletzung und verschiedene Waffendelikte vorgeworfen.

Der 35-Jährige habe laut Staatsanwaltschaft am 4. November 2023 gegen 18.40 Uhr die Wohnung seiner Ex-Frau im niedersächsischen Stade aufgesucht. Mithilfe einer List soll er sich zuvor – getarnt als Ebay-Kleinanzeigen-Kaufinteressentin – mit ihr verabredet haben.

Als sie ihm nichts ahnend die Tür öffnete, habe der Angeklagte sofort eine Waffe auf sie gerichtet, seine Tochter verlangt und ihr vorgeworfen, die damals Vierjährige seit 14 Monaten nicht mehr gesehen zu haben.

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Zuvor hatte das Landgericht Celle der Mutter das alleinige Sorgerecht für die gemeinsame Tochter zugesprochen.

Da sich die Mutter weigerte, ihrem Ex-Mann die Tochter zu übergeben, soll der 35-Jährige sie am Arm gepackt und ihr Handy an sich genommen haben.

Ihr gelang es jedoch, in den Hausflur zu rennen und um Hilfe zu schreien, woraufhin sich der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft seine Tochter unter den Arm klemmte und mit ihr zu einem schwarzen Audi rannte, welchen er zuvor gemietet hatte.

Geiselnahme in Hamburg: Kommunikation scheiterte an Wetterverhältnissen

Schwer bewaffnete Spezialkräfte der Polizei waren am Hamburger Flughafen im Einsatz.
Schwer bewaffnete Spezialkräfte der Polizei waren am Hamburger Flughafen im Einsatz.  © Bodo Marks/dpa

In einer von seiner Anwältin am Montag vorgelesenen Einlassung bestritt der Angeklagte diese Darstellung: Er habe nicht sofort die Waffe auf seine Ex-Frau gerichtet, sondern lediglich verbal verlangt, Zeit mit seiner Tochter zu verbringen.

Die Waffe habe die ganze Zeit in seinem Gürtel gesteckt, erst später habe er sie gezogen, um sich Abstand und Zeit zu verschaffen. Nicht, um sie wirklich zu benutzen.

Vater und Tochter hätten sogar noch zusammen in der Wohnung ferngesehen und erst dann sei die Mutter "plötzlich" aus der Wohnung gerannt und habe nach Hilfe geschrien.

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Als die Mutter und ein Nachbar auf seiner Flucht zum Auto hinter ihm herliefen, soll der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft einmal in die Luft geschossen und gerufen haben: "Ihr werdet mich zum Mörder machen!"

Die Aussage bestritt der Angeklagte, den Schuss gab er zu.

Anschließend fuhr der Angeklagt mit seiner Tochter zum Hamburger Flughafen, wo er kurz nach 20 Uhr drei Sicherheitsschranken durchbrach und erst direkt unter einer "Turkish Airlines"-Maschine zum Stehen kam.

Eigentlich habe er schon auf dem Rollfeld mit den Polizisten reden wollen, doch die Wetterverhältnisse seien für eine Kommunikation zu schlecht gewesen, also sei er weitergefahren, wie der Angeklagte über seine Anwältin verlauten ließ.

Angeklagter gibt zu: "Die drei Bomben waren eine Lüge!"

Am Morgen des 5. Novembers ließ sich der Angeklagte nach 18 Stunden Geiselnahme widerstandslos festnehmen.
Am Morgen des 5. Novembers ließ sich der Angeklagte nach 18 Stunden Geiselnahme widerstandslos festnehmen.  © Jonas Walzberg/dpa

Kurz bevor er auf dem Vorfeld ankam, habe er zwei aus Benzinkanistern improvisierte Molotow-Cocktails aus dem Wagen geworfen, zweimal in die Luft geschossen und per Notruf ein Flugzeug in die Türkei verlangt.

"Ich habe dreimal Bombe. Bin jetzt Flughafen. Ich habe meine Tochter. Ausreise jetzt", soll er laut Staatsanwaltschaft gesagt haben.

Mit einer Sprengstoff-Gürtel-Attrappe habe er außerdem gedroht, alle in die Luft zu sprengen. "Entweder werden wir alle sterben oder wir gehen, ohne das jemand Schaden nimmt!", so der Vorwurf in der Anklageschrift.

Der 35-Jährige bestritt diese Vorwürfe am Montag nicht, betonte aber, dass es die angedrohten Bomben nie gegeben habe: "Das war eine Lüge. Ich wollte mit Abstand mit den Polizisten kommunizieren. Ich wollte, dass sie mir zuhören müssen."

Nach Gesprächen mit einer von ihm geforderten Dolmetscherin und "stundenlangen" Besprechungen der Polizei sei ihm jedoch klar geworden, dass er aufgeben muss. Zumal ihm auch von der Polizei versprochen worden sei, dass der Sorgerechtsstreit mit der Mutter seines Kindes – der seiner Tat zugrunde liege – noch einmal neu aufgerollt wird.

Ob er der scheinbar verzweifelte Vater wirklich jemals geglaubt hat, mit seinem Plan erfolgreich zu sein, blieb am Montag offen. Ebenso die Frage, wie weit im Vorfeld er seine Tat geplant hatte.

Tochter des Geiselnehmers habe die ganze Zeit geschlafen

Der Angeklagte (r.) und Torsten Schwarz (m), Vorsitzender Richter am Landgericht, stehen zu Beginn des Prozesses wegen Geiselnahme, Entziehung Minderjähriger, vorsätzlicher Körperverletzung und Waffendelikten im Sitzungssaal im Strafjustizgebäude.
Der Angeklagte (r.) und Torsten Schwarz (m), Vorsitzender Richter am Landgericht, stehen zu Beginn des Prozesses wegen Geiselnahme, Entziehung Minderjähriger, vorsätzlicher Körperverletzung und Waffendelikten im Sitzungssaal im Strafjustizgebäude.  © Marcus Brandt/dpa

Auf die Frage des vorsitzenden Richters, Torsten Schwarz, warum es trotz der frühen Einsicht 18 Stunden bis zu seiner Aufgabe gedauert hat, hatte der 35-Jährige eine einfache Antwort: "Meine Tochter hat die ganze Zeit wunderschön geschlafen, ich habe versucht, sie aufzuwecken, aber das ging nicht."

Nach einem gemeinsamen Frühstück am nächsten Morgen im Auto stellte er sich schließlich der Polizei, so der 35-Jährige. "Ich wollte nicht, dass sie aufwacht und nur fremde Menschen sieht. Sie sollte ihren Papa sehen und ich wollte mich verabschieden!"

Bei der Verabschiedung habe seine Tochter zum ersten Mal während des ganzen Geschehens angefangen zu weinen.

"Meine Tochter ist das Wertvollste, was ich habe, das war so und wird auch immer so bleiben. Ich weiß, dass ich schlechte Dinge gesagt habe, aber ich hätte ihr niemals wehgetan!", betonte er am Ende seiner Einlassung.

Ebenso war es ihm wichtig, noch einmal hervorzuheben, dass er niemanden verletzt habe.

"Aber ich weiß, dass ich Panik ausgelöst habe. Ich entschuldige mich bei allen – auch der Polizei!" Über den von ihm verursachten finanziellen Schaden sei er sich mehr als bewusst und auch bereit diesen zu bezahlen.

Der Angeklagte sitzt seit seiner Festnahme am 5. November 2023 in Untersuchungshaft. Der Prozess wird am 13. Mai 2024 vor dem Landgericht Hamburg fortgesetzt.

Erstmeldung: 6.24 Uhr, Aktualisierung: 14.54 Uhr.

Titelfoto: Tag24/Madita Eggers

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