Raubserie auf Biomärkte in Hamburg: Täter war angeblich Opfer einer Drogenbande

Hamburg - Zwischen August 2021 und Mai 2022 soll ein Mann maskiert mit einer Latex-Maske und bewaffnet mit einer Soft-Air-Waffe verschiedene Filialen der Biomarktkette "TJADEN's Bio Frischemarkt" in Hamburg überfallen haben. Dem 44 Jahre alten Angeklagten wird nun Raub in sechs Fällen zur Last gelegt - fünfmal davon sogar im besonders schweren Fall. Ihm drohen bis zu fünf Jahre Haft. Am ersten Prozesstag am Donnerstag gestand der Angeklagte die Taten, sprach aber davon, keine andere Wahl gehabt zu haben.

Der Angeklagte verbirgt im Gerichtssaal sein Gesicht hinter einem Aktendeckel. Er soll zwischen August 2021 und Mai 2022 mehrere Filialen einer Biomarkt-Kette überfallen und insgesamt 4125 Euro erbeutet haben.
Der Angeklagte verbirgt im Gerichtssaal sein Gesicht hinter einem Aktendeckel. Er soll zwischen August 2021 und Mai 2022 mehrere Filialen einer Biomarkt-Kette überfallen und insgesamt 4125 Euro erbeutet haben.  © Markus Scholz/dpa

Ziemlich aufgeregt und teilweise mit den Tränen kämpfend erzählte der Angeklagte, wie er angeblich in die Fänge einer Drogenbande geraten sei. Alles habe schon 2004 begonnen, als sein bester Freund, der regelmäßig von der Dominikanischen Republik nach Hamburg Drogen geschmuggelt haben soll, an einer Überdosis starb.

Der Angeklagte will ein paar seiner Geschäftspartner privat kennengelernt haben. Er selbst hätte aber nie etwas mit ihnen zu tun gehabt, geschweige denn mit Drogen gehandelt. Er nehme nur "hin und wieder" selbst Kokain.

2011 wollte der Angeklagte zusammen mit einem Kollegen "Silvesterkokain" in einem Laden in Altona-Nord kaufen. Zwei der Verkäufer sollen Bekannte seines verstorbenen Freundes gewesen sein. Die Stimmung sei dann sehr schnell gekippt, die Männer hätten ihn im Keller des Geschäftes mit einer Waffe bedroht und 5000 Euro von ihm verlangt. Die angeblichen Verluste, die durch den verstorbenen Drogenschmuggler entstanden seien.

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Voller Angst hätte er mit Mühe und Not das Geld zusammengekratzt und bezahlt. Über die erste Forderung hätte er seine Frau und seine Schwiegereltern noch informiert und sie hätten gemeinsam entschieden, die Polizei aus Angst vor Vergeltungsschlägen nicht zu verständigen.

Über die weiteren Forderungen habe er geschwiegen - auch, als Streit und psychische Probleme die Folgen waren.

Der Angeklagte soll jahrelang erpresst worden sein

Dieser Biomarkt im Hamburger Stadtteil Eppendorf wurde überfallen.
Dieser Biomarkt im Hamburger Stadtteil Eppendorf wurde überfallen.  © HamburgNews/Christoph Seemann

Bis 2018 sei Ruhe gewesen und dann sei es wieder von vorne losgegangen. Mehrere Männer hätten ihm regelmäßig auf seinem Weg nach Hause aufgelauert und immer wieder die 5000 Euro gefordert, obwohl er die bereits bezahlt haben will.

Um den Forderungen nachzukommen, habe der Angeklagte Kredite aufgenommen, mehrere Uhren und seinen Ehering verpfändet und sich Geld von Freunden geliehen.

Er sei dann in einer Art Spirale gefangen gewesen, so der dreifache Familienvater. Unter dem ganzen Druck hätte er auch wieder damit angefangen, zu trinken und Kokain zu konsumieren. Auf die Frage des Richters hin, woher er denn das Geld für das Kokain gehabt hätte, druckste der Angeklagte nur herum.

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Außerdem hätte er sich wegen Panikstörungen in therapeutische Behandlung begeben, allerdings verschwieg er, warum es ihm wirklich so schlecht ging.

Bei seinen Taten war der Angeklagte oft betrunken

Die Kassen im Biomarkt "Tjaden" wurden nach dem Überfall von der Polizei gesperrt.
Die Kassen im Biomarkt "Tjaden" wurden nach dem Überfall von der Polizei gesperrt.  © HamburgNews/Christoph Seemann

Als der Angeklagte alle finanziellen Mittel ausgeschöpft hatte, die Männer aber immer mehr Geld von ihm erpressten, hätte er sich zu den Raubüberfällen entschieden. Aufgrund seines starken Alkoholkonsums könne er sich aber nicht mehr an alle erinnern und sei dann selbst von der Anzahl der Überfälle überrascht gewesen.

Für seine auffällige Gangart, die auf den Überwachungsvideos der Biomarktkette aufgefallen war, hatte er aber eine Erklärung: Er leide unter einer Versteifung des Großzehengrundgelenks.

Die Maske hätte er noch von einer Halloween-Feier zu Hause gehabt und die Soft-Air-Waffe von einem Freund, mit dem er im Garten öfter auf Dosen geschossen habe. Sie sei aber nicht funktionsfähig gewesen, da das Magazin immer herausgefallen sei.

Für die Überfälle, bei denen er 4125 Euro erbeutet hatte, entschuldigte er sich offen vor Gericht, er hätte sich einfach nicht anders zu helfen gewusst. Laut eigener Aussage hat der 44-Jährige auch Entschuldigungsbriefe verschickt.

Biomarkt-Chefin hofft auf gerechte Strafe

Petra Tjaden, die Chefin der Biomarktkette, wartet auf ihren Brief noch heute: "Wir haben weder einen Brief noch eine andere Entschuldigung von ihm bekommen", sagte sie gegenüber TAG24. Die Geschädigte war bei der Anhörung dabei und will auch alle zukünftigen Prozesstermine besuchen: "Ich wollte ihn sehen, wissen, wer er ist und wer dahintersteckt."

Seit dem 20. Juni sitzt der Angeklagte in Untersuchungshaft, für Tjaden eine Erleichterung: "Die Kassierer waren schwer unter Druck. Es gab viele, die gesagt haben, sie möchten nicht mehr in der Abendschicht arbeiten. Und von unseren anderen Filialen wollte keiner mehr in der Filiale in der Fruchtallee aushelfen, das war ihnen zu gefährlich."

Die Chefin kauft dem Angeklagten seine Drogengeschichte nicht ab und hofft auf eine "gerechte und harte" Strafe.

In weiteren Prozessterminen werden weitere Mitarbeiter der Biomärkte und Polizisten als Zeugen gehört.

Titelfoto: Markus Scholz/dpa

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