Prozess gegen Magdeburger Todesfahrer: Zeugin erfuhr erst nach Tagen vom Tod ihrer Mutter
Magdeburg - Am Dienstag steht der neunte Verhandlungstag im Prozess gegen den Todesfahrer vom Magdeburger Weihnachtsmarkt an. Seine Tat steht weiterhin im Mittelpunkt.
Der 51-jährige Angeklagte Taleb A. steht wegen sechsfachem Mord und über 300-fachem versuchten Mord vor Gericht. Ihm droht Sicherheitsverwahrung.
Grundlegende Informationen zu dem Attentat und dem langwierigen Gerichtsverfahren findet Ihr im Artikel "Eigenes Gerichtsgebäude gebaut: Mega-Prozess gegen Magdeburger Amokfahrer startet".
TAG24 ist vor Ort und berichtet live.
12.45 Uhr: Prozess pausiert
Richter Sternberg wünscht der Geschädigten viel Kraft und bedankt sich für die Aussage. Der Prozess wird für die Mittagspause unterbrochen.
Der Verhandlungstag wird um 13.30 Uhr fortgesetzt.
12.40 Uhr - Betroffene: "Dieser Abend bestimmt mein ganzes Leben"
Die Familie leidet bis heute. Die beiden Töchter können den Schulweg nicht alleine meistern. Auch mit Freunden treffen, Straßenbahn fahren oder shoppen ist nicht möglich. Das jüngere Mädchen möchte nicht einmal mehr Weihnachten feiern.
"Es gibt keine Nacht, die wir durchschlafen", schildert die Zeugin. Seit dem Anschlagsabend hat sie keinen Appetit mehr und hat über 15 Kilogramm abgenommen.
"Ich wünschte, ich könnte an was anderes denken, aber dieser Abend bestimmt mein ganzes Leben", heißt es, "ich gehe weder auf Feste und Feiern, noch treffe ich mich mit Freunden oder gehe tanzen." Viele Freundschaften seien dadurch zerbrochen.
Auf die Rückfrage, weswegen sie heute aussagt, erklärt die 40-Jährige: "Als ich die ersten Tage erlebt hab, wie viel der Täter hier zu Wort kommt, hab ich gedacht 'so darf es nicht sein'. Ich finde es wichtig, dass auch die Opfer zu Wort kommen."
12.27 Uhr: Verletzte hat sich nach Anschlag "zu Hause versteckt"
Am Ende ihrer knapp 45-minütigen, höchst emotionalen Aussage schildert die gelernte Erzieherin, dass ihre 11- und 14-jährigen Kinder große Probleme hatten, wieder zur Schule zu gehen.
"Meine Kinder hatten wahnsinnige Angst um mich. Sie dachten an dem Abend wo sie mich gesehen haben, dass sie ihre Mama verlieren würden", heißt es. Die Familie hatte große Angst, überhaupt das Haus zu verlassen.
"Ich habe mich zu Hause versteckt", gibt die Geschädigte zu, "jeden Tag zum Friedhof, Kinder von der Schule abholen, mehr gab es nicht."
Bis heute können die Betroffenen nicht mit großen Menschenmengen oder lauten Geräuschen umgehen und sprechen nur wenig über den Abend. Das ältere Mädchen wurde an der Schulter verletzt und ist weiterhin in Reha. Die 40-jährige Geschädigte litt unter gestauchten Rippen sowie einer Beckenprellung. Die gesamte Familie ist derzeit in psychologischer Betreuung.
12.08 Uhr: Zeugin erfuhr erst nach Tagen vom Tod ihrer Mutter
Auf dem Heimweg aus dem Krankenhaus einen Tag später erfuhr die Geschädigte, was am Vorabend passiert war.
Ihre schwer verletzte Mutter habe demnach laut geschrien und wurde in ein Versorgungszelt gebracht. Die Schwester der Zeugin habe einen Helfer den Satz sagen hören: "Es gibt keine Kapazität für Reanimation."
Lange Zeit war die Familie auf der Suche nach ihrer Mutter. Sie gingen alle davon aus, dass ihr geholfen werden konnte, schildert die 40-Jährige vor Gericht. Auch die eingerichteten Hotlines konnten den Betroffenen nicht weiterhelfen. Sie schalteten sogar eine Vermisstenanzeige.
Erst am Montag - drei Tage nach dem Anschlag - erfuhr die Geschädigte, dass ihre Mutter getötet worden war. "Es stand nie jemand vor der Tür, der uns das gesagt hat. Das ist bis heute nicht passiert."
11.48 Uhr: Geschädigte erinnert sich an die letzten Worte an ihre getötete Mutter
Die Verletzte erklärt, wie ihr erster Instinkt war, nach ihrer Familie zu suchen. Die Kinder und Schwester der 40-Jährigen waren unversehrt, ihre Mutter lag jedoch schwer verletzt auf dem Boden.
"Ich hab gemerkt, dass sie ganz, ganz schlecht Luft bekommt", erinnert sich die 40-jährige Geschädigte unter Tränen, "ich hab gesagt 'Mutti du musst schön weiteratmen'. Das war das Letzte, was ich jemals zu ihr gesagt hab."
Sie erinnert sich, dass ihre eigenen Schmerzen erst später einsetzten. "Meine Hose war voll Blut, meine Hände waren voll Blut, mein Brustkorb und mein Becken tat weh", schildert die zweifache Mutter.
11.43 Uhr: Erziehern wurde gegen Weihnachtsmarktbude geschleudert
Eine 40-jährige Erzieherin sagt als dritte Geschädigte des Tages aus. Schon zu Beginn ringt die Betroffene mit den Tränen.
Sie war mit ihrer Mutter, Schwester und drei Kindern am 20. Dezember auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg. Einige Stunden verlebte die Gruppe eine schöne Zeit im Budenzauber, schildert die 40-Jährige ausführlich. Die Geschädigte trennte sich von der Gruppe, um in der Sparkasse Bargeld abzuheben.
Auf dem Weg dorthin durch die Menschenmenge wurde sie von dem Todesauto erfasst. "Ich bin durch die Luft geflogen und weiß noch, dass ich gegen so eine Weihnachtsmarktbude geschleudert wurde. Ich hab nur gemerkt, dass meine Hände voller Blut waren, wusste aber nicht, woher es kam."
11.25 Uhr: Nachfragen von Taleb A. unterbunden
Der Zeuge lässt Nachfragen des Angeklagten zu.
Taleb A. fragt über seinen Verteidiger, wie der 52-Jährige den bisherigen Prozess und die Schilderungen des Täters einschätzen würde. Auch möchte er erfahren, ob seine Ex-Frau die Beweggründe des Attentäters kennen würde.
Richter Dirk Sternberg unterbindet die Fragestellung und entlässt den Zeugen.
11.17 Uhr: Betroffenes Kind "möchte sein altes Leben zurück"
Die Ex-Frau des Zeugen leidet noch immer unter starken Schmerzen. Durch die Versteifung nach dem Lendenwirbelbruch ist eine "lebenslange Beeinträchtigung" absehbar, erklärt der 52-Jährige.
Bis heute ist die Geschädigte in medizinischer sowie psychologischer Betreuung.
Die Kinder im Alter von 8 und 13 Jahren waren glücklicherweise weitgehend körperlich unverletzt, sind aber ebenfalls in psychologischer Betreuung. Einer der Söhne könne bis heute nicht über den Vorfall sprechen.
"Er möchte nie wieder Mandeln essen, weil es am Mandelstand passiert ist. Er will auch nie wieder Weihnachtsmärkte besuchen", schildert der Vater, "er möchte sein altes Leben zurück."
11.05 Uhr: Zeuge eilte am Anschlagsabend Ex-Frau und Kindern zur Hilfe
Ein 52-jähriger JVA-Beamter aus Niedersachsen erklärt, wie er am Abend des Anschlags von seiner Ex-Frau angerufen wurde, die mit den Kindern auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt war.
Der Mann reiste sofort an, um zu helfen, schildert er. Seine Ex-Frau erlitt einen gebrochenen Lendenwirbel.
Die gemeinsamen Kinder wurden zwischenzeitlich in Sicherheit gebracht, doch niemand wusste wohin. Der 52-Jährige suchte sowohl in der Johanniskirche als auch im Allee-Center nach den Kindern. Die beiden wurden in einem Feuerwehrfahrzeug von Seelsorgern betreut.
Die zwei Söhne waren schwer verstört, einer der Jungen war ohnmächtig geworden. Das andere Kind habe sogar die eigene Mutter aus der Gefahrenzone gezogen, erklärt der Beamte.
10.57 Uhr: Verhandlungsfähigkeit von Taleb A. soll erneut geprüft werden
Richter Dirk Sternberg spricht den Betroffenen, die freiwillig vor Gericht aussagen, seinen "größten Respekt" aus.
Rechtsanwalt von Rüden stellt erneut in den Raum, die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten zu prüfen. Taleb A. versprach am letzten Verhandlungstag, den Geschädigten keine Fragen stellen zu wollen - daran hält sich der 51-Jährige am Dienstag nicht. Auch befindet er sich in einem wochenlangen Hungerstreik.
Sternberg vertagt die Anfrage und lädt den nächsten Zeugen vor.
10.43 Uhr: Geschädigte "findet es unmöglich, wie sich der Angeklagte die Bühne nimmt"
Sowohl die 57-Jährige als auch ihr Mann waren bis Frühjahr 2025 krankgeschrieben. Beide mussten sich mehreren Operationen unterziehen und waren in psychologischer Behandlung, erklärt die Zeugin.
Inzwischen arbeitet sie wieder. Doch mit körperlichen Einschränkungen hat sie weiter zu kämpfen: "Ich habe bei jedem Schritt Schmerzen." Treppensteigen, knien, hocken oder lange Strecken gehen sind kaum möglich, schildert sie. Aufgrund der Kopfwunde ist ihre linke Kopfseite noch heute taub.
Auf die Nachfrage, warum sie freiwillig vor Gericht aussagt, findet die Verletzte klare Worte: "Ich finde es unmöglich, wie sich der Angeklagte hier die Bühne nimmt. Er spricht immer von den saudischen Frauen - bin ich weniger wert, als eine saudische Frau? [...] Ich wollte meine Geschichte erzählen."
"Ich hoffe einfach, dass Weihnachten dieses Jahr schöner wird als letztes Jahr", schließt die dreifache Mutter.
10.30 Uhr: Höchst emotionale Aussage von verletzter Frau
Der Angeklagte Taleb A. will zur ersten Befragten eine Erklärung abgeben. Richter Sternberg erteilt ihm das Wort nicht und lädt die nächste Geschädigte vor.
Die 57-jährige Zeugin schildert unter Tränen, dass sie am 20. Dezember mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt war. Das Anschlagsauto raste von der Seite aus auf sie zu.
"Ich weiß noch, wie ich mit dem Kopf auf die Motorhaube aufschlug und dann war ich erstmal weg", erklärt die Geschädigte. Sie erinnert sich an eine stark blutende Kopfwunde und Schmerzen im Knie. Ihr Ehemann wurde an den Rippen und am Bein verletzt.
Immer wieder ringt die 57-Jährige vor Gericht mit den Tränen. "Ich saß alleine zwischen zwei Menschen, die auf der Straße lagen und um ihr Leben gekämpft haben und das auch verloren haben."
10.19 Uhr: Geschädigte lernt, wieder auf Weihnachtsmärkte zu gehen
Zwischenzeitlich konnte die 38-Jährige ihre Arbeit wiederaufnehmen. Doch seit Prozessbeginn ist sie erneut krankgeschrieben. Die Verhandlung nimmt sie emotional schwer mit, erklärt sie.
Die Verletzte liebt eigentlich Weihnachtsmärkte - auf einen großen wie in Magdeburg traut sie sich aber nicht mehr. Sie und ihr Partner besuchten zuletzt einen kleinen Weihnachtsmarkt in ihrer Heimat.
"Wir wollen nicht, dass der Täter gewonnen hat", schildert die Geschädigte, "wir tasten uns langsam ran."
10.06 Uhr: Zeugin "hat niemandem mehr vertraut"
Die Geschädigte schildert ihren langen Klinikaufenthalt und Heilungsprozess. Die 38-Jährige war viele Wochen bettlägerig, sodass ihr Freund sie zu Hause pflegen musste.
"Ich musste ein halbes Jahr kämpfen, um überhaupt eine Reha zu bekommen", beklagt die Geschädigte vor Gericht. Sie habe sich auch vor dem Pflegedienst ständig rechtfertigen müssen.
Sowohl Gehen als auch Autofahren musste die Geschädigte wieder erlernen. Ihr Bein schmerzt noch immer. Ihr Becken hat sich durch den Bruch so verschoben, dass sie nie auf natürlichem Weg ein Kind haben kann, erläutert die Frau.
Neben den körperlichen Schmerzen bleiben aber auch die seelischen. "Ich habe niemandem mehr vertraut", so die 38-Jährige, "ich meide Menschenmengen und versuche immer, dass mir der Rücken frei bleibt. Ich habe Angst vor bestimmten Menschentypen."
Bis heute ist die Zeugin in psychologischer Betreuung.
9.53 Uhr: Verletzte erinnert sich an Anschlagsabend
Als Erstes am Dienstag sagt eine 38-jährige Geschädigte aus. Sie war am 20. Dezember mit ihrem Freund auf der Durchreise und besuchte auf dem Weg nach Merseburg den Magdeburger Weihnachtsmarkt.
Die Frau schildert, wie sie sich beim Budenzauber etwas zu essen geholt und sich dann auf dem Weg zu einem Stehtisch gemacht hat - dabei wurde sie vom Todesauto erfasst. Ihr Partner zog sie zwischen einige Buden, um sie zu schützen.
"Ich hatte tierische Schmerzen. Ich wollte mein Bein aufstellen, aber das ging nicht", erinnert sich die Geschädigte. Ihr Oberschenkel, ihr Becken, ihr Sitz-, Scham- und Kreuzbein sowie ein Lendenwirbel war gebrochen. "Ich hab die ganze Zeit gedacht, es ist ein Traum."
Ein Ersthelfer rettete ihr das Leben. "Ich bin da sehr, sehr dankbar", erklärt die 38-Jährige.
9.42 Uhr: Richter ermahnt Zuschauer
Noch vor dem ersten Zeugen macht Richter Dirk Sternberg zwei Ankündigungen: Ein Angehöriger eines Geschädigten meldete in einer E-Mail ans Gericht, dass sich einige Zuschauer daneben benehmen würden.
Demnach würden einige Besucher laut reden, lachen oder sogar essen. Der Richter bittet darum, dies künftig zu unterlassen. "Wir sind keine Theaterveranstaltung, kein Kino", so Sternberg.
Die zweite Ermahnung gilt dem Angeklagten: Taleb A. soll, wie auch schon an den vorherigen Prozesstagen, seine Fragen über seine Verteidiger stellen lassen. Am Dienstag sind zahlreiche Geschädigte geladen, die durch eventuelle Nachfragen zusätzlich belastet werden können, so Sternberg.
9.24 Uhr: Neunter Prozesstag beginnt
Auch knapp einen Monat nach Prozessbeginn ist das Interesse am Anschlagsprozess weiterhin groß. Der Zuschauerraum ist bis auf wenige Plätze prall gefüllt.
Um kurz vor halb 10 wird der Angeklagte Taleb A. (51) in seine Sicherheitszelle geführt. Pressevertreter dürfen kurzzeitig Fotos vom Todesfahrer schießen, bevor der Verhandlungstag beginnt.
6.28 Uhr: Zahlreiche Geschädigte erwartet
Am neunten Verhandlungstag im Prozess gegen den Magdeburg-Attentäter Taleb A. werden insgesamt sieben Geschädigte erwartet. Auch will mittags die Angehörige einer Toten aussagen.
Am Donnerstag berichteten zwei Augenzeugen sowie eine Verletzte von den Geschehnissen des Anschlagsabends. Nach einer Einigung der Prozessparteien müssen die Opfer eigentlich nicht vor Gericht aussagen, sie tun dies freiwillig.
Der Prozess soll regulär um 9.30 Uhr beginnen.
Titelfoto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa