Prozess um Magdeburg-Anschlag, Geschädigte: "Meine Tochter dachte, wir sind tot"
Magdeburg - Der Prozess um den Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt ging am Mittwoch weiter. Die Getöteten standen erneut im Mittelpunkt.
Am Mittwoch waren zwei Sachverständige vor und gaben Auskunft über die Obduktion der Toten. Sie berichteten schockierende Details zu den Todesursachen zweier Frauen sowie des getöteten neunjährigen Jungen.
Eine Ärztin, die am Anschlagsabend als Ersthelferin vor Ort agierte, schilderte ihre Erlebnisse. Auch zwei Verletzte sagten vor Gericht aus.
TAG24 war vor Ort und berichtete live. In diesem Artikel könnt Ihr den gesamten Verhandlungstag nachlesen.
14.29 Uhr: Prozess beendet
Nach der höchst emotionalen und fast einstündigen Aussage der Geschädigten beendet Richter Sternberg den Verhandlungstag.
Der Prozess wird am Donnerstag um 9.30 Uhr fortgesetzt.
14.25 Uhr: Zeugin von Richter unterbrochen
Auf Nachfrage, was sich die Lehrerin von dem Prozess um den Magdeburger Todesfahrer erhofft, findet sie klare Worte.
"Ich wünsche mir, dass das Gericht ganz deutlich macht, dass solche Taten Konsequenzen haben. Ich möchte, dass die Verantwortung des Abends ganz klar festgestellt wird", fordert die Frau. Sie kritisiert, dass mit der Verantwortung zwischen Stadt und Polizei "Pingpong gespielt" wird.
Als sich die Geschädigte in Rage redet, wird sie von Richter Dirk Sternberg unterbrochen.
14.20 Uhr: Lehrerin seit einem Jahr arbeitsunfähig
Seit dem 20. Dezember ist die Lehrerin arbeitsunfähig.
"Ich habe Schüler mit Migrationshintergrund, ich hatte Schüler die heißen Taleb", schildert die 50-Jährige. Sie spricht zudem von einer kurzen "Zündschnur" und Angst vor großen Menschengruppen, unter der sie seit dem Anschlag leidet. Aufgrund dessen ist für die Zeugin derzeit nicht absehbar, ob sie ihre Arbeit bald wieder aufnehmen kann.
14.15 Uhr: Verletzte hat "Vertrauen in die Sicherheit verloren"
"Wir waren rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen aber es gab keine Hilfe, die Hilfe kam aus dem Familienkreis." Die 50-Jährige erläutert, dass ihre Tochter sie und ihren Mann pflegen musste.
Beide Beine der Lehrerin waren gebrochen und sie war monatelang an Krücken gefesselt. Ihr Ehemann erlitt eine Fleischwunde am Fuß sowie Bänderrisse.
Mental beschäftigt sie der Anschlag ebenso weiter. Seitdem leidet sie unter Schlafstörungen und hat Angst vor Autos und Straßenverkehr. "Ich hab das Vertrauen in die Sicherheit verloren."
Die Geschädigte ist auf der Suche nach psychologischer Betreuung und nimmt derzeit an Selbsthilfegruppen teil.
13.58 Uhr: Betroffene macht wütende Aussagen gegen Taleb A.
Sie schildert ihre schwierige Knieoperation, der sie sich nach Anschlag unterziehen musste. Der Bericht der Geschädigten ist gespickt von wütenden Kommentaren gegen den Angeklagten Taleb A.
Sie bemängelt seine wirren Erklärungen vor Gericht und die Beschwerden über seine Handhabung im Gefängnis. "Seine Folter, dass er alle zwei Stunden geweckt wird - ich brauche niemanden, der mich alle zwei Stunden weckt", erklärt die 50-Jährige wütend, "ich wäre froh, wenn ich mal zwei Stunden schlafe."
13.50 Uhr - Geschädigte: "Meine Tochter dachte, wir sind tot"
"Es sind ja nicht nur die Verletzten die Geschädigten dieser furchtbaren Tat, sondern auch die Familien", bemerkt die Zeugin. Ihre eigene Tochter erfuhr über ein Online-Video von dem Anschlag.
Mittels der "Wo ist"-App überprüfte sie demnach den Standort ihrer Eltern. "Ich saß dort bewegungsunfähig und meine Tochter dachte, wir sind tot", erläutert die 50-Jährige unter Tränen.
"Ich bin auf den Weihnachtsmarkt gegangen, um ein paar ruhige Stunden zu erleben [...] und auf einmal bin ich Opfer geworden", sagt sie wütend mit Blick auf den Angeklagten.
13.35 Uhr: Betroffene klagt über "unbeschreibliche Schmerzen"
Die 50-Jährige war am Anschlagsabend mit Freunden auf dem Weihnachtsmarkt, um letzte Weihnachtsgeschenke zu shoppen, als das Auto angefahren kam.
Die Zeugin dachte zunächst, dass es sich bei dem Auto um ein Lieferfahrzeug gehandelt hätte.
"Er erwischte mich seitlich mit der Beifahrerseite, er ist mir brutal gegen die Knie gefahren", erinnert sie sich. Auch ihre Füße wurden überrollt und sie fiel zu Boden. "Es waren unbeschreibliche Schmerzen."
Das, was sie um sich herum erblickte, vergleicht die Lehrerin mit einem Kriegsschauplatz.
13.25 Uhr: Prozess wird fortgesetzt
Nach einer 70-minütigen Mittagspause wird der Verhandlungstag jetzt fortgesetzt.
Als Nächstes steht eine 50-jährige Lehrerin vor Gericht. Sie war zunächst erfreut, nicht als Nebenklägerin aussagen zu müssen, erläutert sie. Allerdings konnte sie wenige Tage nach dem Anschlag die Langzeitfolgen noch nicht abschätzen, die sie inzwischen zum Ausdruck bringen kann und will.
"Das Auto kam irgendwann zum Stillstand, doch für mich ist es noch nicht beendet", beklagt die Zeugin.
11.52 Uhr: Prozess pausiert
Richter Dirk Sternberg kündigt die Mittagspause an, während auf die nächsten Geladenen gewartet wird.
Der Prozess setzt voraussichtlich um 13.15 Uhr fort.
11.45 Uhr: Geschädigter (48) wurde "durch die Luft geschleudert"
Ein Augenzeuge (48), der am Anschlagsabend auf dem Weihnachtsmarkt verletzt wurde, sagt jetzt aus.
"Mich hat es durch die Luft geschleudert und ich bin da irgendwo in der Ecke gelandet", erklärt der Magdeburger. Er erlitt Hämatome an Kopf und Körper.
Er schildert, wie sein bester Freund neben ihm landete und eine große Kopfwunde aufwies. "Er hat geschrien 'mein Kopf ist auf, mein Kopf ist auf'", erinnert sich der Mann. Er betreute seinen Kumpel bis zum Eintreffen der Einsatzkräfte.
Zwar ist der 48-Jährige nicht in psychologischer Betreuung, kämpft aber dennoch mit den Folgen des Vorfalls. "Man ist schreckhafter geworden bei lauten Geräuschen, zum Beispiel wenn ein Auto hinter einem quietscht", meint der Geschädigte. Auch leidet er unter Schlafstörungen.
11.33 Uhr: Anschlagsopfer (†75) wurde vom Tatwagen überrollt
Die Rechtsmedizinerin gibt Auskunft über die Obduktion einer weiteren Toten.
Die 75 Jahre alte Geschädigte erlitt ebenfalls ein stumpfes Rumpftrauma, eine zertrümmerte Leber und Milz sowie ein gebrochenes Becken und Schambein. Auch wurden einige Rippen gebrochen und die Frau am Kopf verletzt.
Die Sachverständige betont, dass die Tote vermutlich angefahren oder überrollt wurde und erläutert, dass die Dame nur "eine einstellige Minutenzahl" lang überlebt habe.
11.21 Uhr: Kleiner André (†9) starb aufgrund eines durchtrennten Luftleiters
Die 41-jährige Sachverständige gibt jetzt schockierende Einblicke in die Obduktion des getöteten Jungen.
Der neunjährige André wurde am Anschlagsabend von dem Tatauto erfasst, aber nicht überrollt. Dabei erlitt das Kind ein stumpfes Brustkorbtrauma, einen gebrochenen Brustwirbel sowie eine Einblutung am Kopf. Der Hauptluftleiter und die Spitze des linken Lungenflügels wurde durchtrennt, was zum Tod des Kindes führte.
Die Rechtsmedizinerin gibt an, dass der kleine André nur noch kurz weiterlebte und so gut wie keine Überlebenschance hatte.
11.14 Uhr: Ärztin nach Anschlag in psychologischer Betreuung
Die 55-Jährige erläutert, dass sie in ihren über 30 Jahren im Dienst noch nie so eine schlimme Situation erlebt hat.
"Ich war an diesem Abend nicht Ärztin, die dazugekommen ist, um zu helfen, ich war nur ein Gast auf dem Weihnachtsmarkt", erklärt sie.
Am Anschlagsabend wurde sie gegen die Scheibe einer Bude gedrückt, wurde körperlich aber nicht verletzt. Der Vorfall belastet sie weiterhin und sie hat unter anderem mit Stimmungsschwankungen zu kämpfen.
Auch bemerkte sie, dass sie radikale Gedanken gegenüber "Bürgern mit arabischem Migrationshintergrund" hegte. "Das wollte ich aber nicht zulassen", erläutert sie und gibt an, sich daraufhin professionelle Hilfe gesucht zu haben.
Bis heute ist die Ärztin in psychologischer Betreuung.
11 Uhr: Ärztin versuchte, getöteten André (†9) zu reanimieren
In der Nähe der Sparkasse wurde kurz nach dem Anschlag ein kleines Kind reanimiert, erinnert sich die Magdeburgerin. Dort stellte sie sich als Ärztin vor und half aus.
Das Kind blutete stark im Gesicht. Erst wenige Minuten später trafen die ersten Rettungswagen ein. Trotz aller Maßnahmen wurde schnell klar, dass das Kind den Vorfall nicht überleben würde.
"Wir konnten den Kleinen nicht für tot erklären, wir wollten das nicht", erklärt die 55-Jährige, während sie dauerhaft mit den Tränen ringt. Die Einsatzkräfte haben den Jungen dennoch in die Klinik gebracht, doch der kleine André überlebte den Abend nicht.
Die Ärztin erklärt, dass sie sich an nur zwei Geräusche des Anschlagsabends erinnert: die Geräusche des Todeswagens und die Schreie von Andrés Stiefvater.
10.51 Uhr: Ärztin war am Tatabend Ersthelferin auf dem Weihnachtsmarkt
Die 55-jährige Magdeburgerin erinnert sich, dass sie am Tatabend mit Kollegen den Weihnachtsmarkt besuchte. Um kurz nach 19 Uhr vernahm sie ein seltsames Geräusch.
"Es klang wie eine Sturmböe oder eine brechende Welle", erinnert sich die Ärztin. Auf ihrer linken Seite sah sie dann das Todesauto, was kurz neben ihr hielt und dann weiterfuhr. "Mein erster Gedanke war, 'Großer Gott, doch nicht hier in Magdeburg'."
Die 55-Jährige setzte den Notruf ab und ist im Anschluss mit ihren elf unverletzten Kollegen "ausgeschwärmt", um den Verletzten zu helfen.
10.48 Uhr: Prozess wird fortgesetzt
Nach einer etwa 30-minütigen Pause, in der auf die nächste Geladene gewartet wurde, wird der Prozess jetzt fortgesetzt.
Eine zweite rechtsmedizinische Sachverständige (41) erstattet Bericht über die Obduktion einer toten Frau. Auch eine Zeugin, eine 55-jährige Ärztin, die am Anschlagsabend als Ersthelferin vor Ort war, steht vor Gericht.
10.10 Uhr: Prozess pausiert
Richter Dirk Sternberg verkündet nach dem ersten Sachverständigen eine kurze Pause. Jetzt muss abgewartet werden, bis der nächste Geladene vor Ort eintrifft.
Der Prozess soll 10.30 Uhr weitergehen.
9.48 Uhr: 52-jährige Frau starb an Lungenembolie
Als Erster sagt ein rechtsmedizinischer Sachverständiger (54) aus, der mit seinem Team die Obduktion einer Getöteten durchgeführt hat.
Die 52 Jahre alte Tote erlitt durch den Anschlag Hämatome am Kopf, der Hüfte und den Extremitäten. Das Becken war gebrochen, worauf es zu massiven Einblutungen kam. Das lässt darauf schließen, dass die Tote auf Hüfthöhe vom Todeswagen angefahren wurde, berichtet der 54-Jährige.
Die Frau lag noch knapp zwei Wochen im Krankenhaus, bevor sie kurz nach Neujahr verstarb. Sie starb an einer Lungenembolie, die durch die Einblutungen ausgelöst wurde, gibt der Sachverständige an.
9.28 Uhr: Prozesstag beginnt
Kurz vor Prozessbeginn wird der Angeklagte Taleb A. (51) wieder unter schwerem Personenschutz in seine Sicherheitszelle geführt.
Pressevertreter dürfen für kurze Zeit Fotos vom Todesfahrer machen, bevor der Verhandlungstag um kurz nach 9.30 Uhr beginnt.
Am mittlerweile zehnten Prozesstag sind die Besucherreihen im Gericht weiterhin gefüllt, nur wenige Plätze sind frei.
6.05 Uhr: Sachverständige und Ersthelferin sagen aus
Am zehnten Prozesstag sind zwei Sachverständige geladen, die Auskunft über die Obduktion der getöteten Menschen geben. Auch eine Krankenschwester, die am Anschlagsabend als Ersthelferin agierte, wird erwartet.
Der Prozesstag beginnt regulär um 9.30 Uhr.
Titelfoto: Klaus-Dietmar Gabbert/dpa