Bei diesem Retro-Barbier ist der Kunde noch Kaiser

Grimma - Mit strenger Milde schaut Reichskanzler Bismarck von der Wand in den Frisiersalon "Kaiserstübchen". Denn hier wird das Haupthaar noch gescheitelt und der Bart gezwirbelt wie zu Kaisers Zeiten - ohne Föhn und elektrischen Rasierer. Friseur Markus Berthold (33) trägt selbst Zwirbelbart, vornehme Brille und eine braune Melone auf dem Kopf, für den Dienst am Kunden streift er sich einen weißen Kittel über. Angefangen hat dies einst aber mit einer Elvis-Tolle.

Markus "Teddy" Berthold (33) in seinem Kaiserreich.
Markus "Teddy" Berthold (33) in seinem Kaiserreich.  © Ralf Seegers

Sind Hals, Kinn und Wangen eingeseift, legt der Friseur eine heiße Kompresse auf das Gesicht seines Klienten. Geredet wird in diesem Augenblick nicht, denn diese fünf Minuten sind der Wellness-Moment für den Herren. Er schließt die Augen, lauscht der Musik und genießt.

Währenddessen wird das Barthaar samtweich, die Poren öffnen sich, die Haarbalgmuskeln entspannen. Später wird die scharfe Klinge wie ein sanftes Streicheln empfunden.

Wer auf dem alten Frisierstuhl unweit des Grimmaer Rathauses Platz nimmt, hat bereits eine kleine Zeitreise hinter sich. Denn das Kaiserstübchen heimelt einen mit historischem Ambiente wie in einem Museum an.

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Eine Pickelhauben-Figur bewacht die gemütliche Sofaecke, neben einer altertümlichen Registrierkasse prangt ein Fernsprechapparat mit Wählscheibe und Telefongabel. An den Wänden hängen Bildnisse und Dokumente von anno dazumal, und es mangelt nicht an historischen Friseur-Utensilien.

Sein Faible für Kamm und Haarlack entdeckte Markus Berthold, den seine Freunde "Teddy" nennen, in einer anderen Zeitperiode.

Von der Elvis-Tolle zum Meister

Hier ist der Kunde noch Kaiser: Für den Herrenschnitt werden 45 Minuten kalkuliert, einschließlich des "Wellness-Moments".
Hier ist der Kunde noch Kaiser: Für den Herrenschnitt werden 45 Minuten kalkuliert, einschließlich des "Wellness-Moments".  © Ralf Seegers

Als Mittzwanziger war er in der Rockabilly-Szene unterwegs, in der man Fan von Musik und Style der US-amerikanischen 1950er-Jahre ist. Ein Kumpel fragte, ob er ihm nicht für einen Abend eine Elvis-Tolle frisieren könnte - das Ding blieb stabil und erhielt ausschweifende Bewunderung.

In dieser Zeit wollte sich die gelernte Fachkraft für Lagerlogistik ohnehin beruflich neu orientieren. Berthold: "In der Branche verdiente man trotz Vollzeitjob so wenig, dass man am Monatsende doch noch aufstocken musste. Eine befreundete Frisörin fragte ich, ob ich bei ihr für vier Wochen ein Schnupperpraktikum absolvieren darf."

Im Leipziger Salon "Rockhairbella" wurde er schnell zur Verstärkung. Mit ein paar Tricks gelang es ihm, als 26-Jähriger noch zur Friseur-Lehre zugelassen zu werden. Und der spätere Geselle hatte das Glück, dass ihm ein alter Meister noch sämtliche Tricks und Wässerchen beibrachte. Berthold: "Obwohl ich schon richtig gut am Kunden war, musste ich noch immer am Luftballon trainieren - ganz alte Schule halt."

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Den letzten Feinschliff holte er sich bei Europas besten der Herrenfriseure - den Schorem Haarsnijder in Rotterdam. Noch eine Prüfung steht aus, dann darf Markus Berthold sich in diesem Jahr auch noch "Meister" nennen.

Kunden kommen aus Saalfeld und Dresden zu ihm

Der Scheitel schnurgerade, das Haupthaar gegelt. Die jüngeren Kunden müssen auf den im Preis inbegriffenen Schnaps und den Zigarillo selbstredend verzichten.
Der Scheitel schnurgerade, das Haupthaar gegelt. Die jüngeren Kunden müssen auf den im Preis inbegriffenen Schnaps und den Zigarillo selbstredend verzichten.  © Ralf Seegers

Inzwischen hat sich der geschichtlich interessierte Haarschneider auch noch andere Zeitepochen erschlossen und ist Vereins-Chef der "Wettiner Löwen". Berthold: "Während meine Freunde bei Mittelalter-Festen als Ritter ihre Schaukämpfe zeigen, demonstriere ich für kleine Münze das alte Bader-Handwerk." Da wird - natürlich nur als Show - auch mal ein Zahn gezogen oder ein Aderlass vorgenommen.

Mitten in der Pandemie wagte Teddy, was inzwischen eine Art Künstlername ist, den Schritt in die Selbstständigkeit. Sein Kaiserstübchen in Leipzig fand schnell viele Liebhaber. Da in der Straße aber gerade riesige Sanierungsarbeiten anstehen, suchte er sich eine ruhigere Gegend.

Die Wahl fiel vor wenigen Wochen auf Grimma, weil hier auch seine Verlobte lebt, die - das Leben bindet manchmal kuriose Schleifen - mit Familiennamen ausgerechnet Kaiser heißt.

Einige Stammkunden halten ihm die Treue und nehmen für einen guten Friseur auch eine längere Fahrt in Kauf, sie kommen selbst aus Saalfeld oder Dresden.

Markus Berthold: "Ich nehme mir für einen Herren-Nassschnitt 45 Minuten Zeit. Viel wichtiger ist aber die fachliche Beratung im Vorfeld." In seinen Angeboten, die sich im mittleren Preissegment bewegen, sind jeweils noch ein Schnaps und ein Zigarillo enthalten, halt wie zu Kaisers Zeiten. Auch wenn sich Teddy auf das Herrenfach spezialisiert hat, gibt er auch Damen auf Wunsch einen gepflegten Kurzhaarschnitt. Oder Kindern - dann natürlich ohne Alkohol und Tabak.

Klingelt's im Salon, geht der Meister tatsächlich an diesen alten Apparat.
Klingelt's im Salon, geht der Meister tatsächlich an diesen alten Apparat.  © Ralf Seegers

Auch das Ondoliereisen, durch welches der Zwirbelbart seine Form erhält, kann dann kalt bleiben. Dieses Werkzeug erhitzt er - wie in alten Zeiten - über offenem Feuer. Berthold: "Ich muss es dann bis zur richtigen Temperatur abkühlen lassen, damit ich die Haare nicht versenge." Zum Abschluss erhalten die Herren dann noch eine kalte Kompresse auf die frische Rasur, damit sich die Poren wieder schließen.

Info: kaiserstuebchen-herrenfriseur.de

Titelfoto: Ralf Seegers

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