Karriere trotz künstlichem Gehör: Auf diesen Chef hören 270 Mitarbeiter

Grimma - Felix Baumeier kam schwerhörig auf die Welt, mit Ende 20 drohte ihm der komplette Hörverlust. Heute lebt er mit einem künstlichen Gehör. Ein Cochlea-Implantat, also eine Elektrode in der Hörschnecke, bewirkt, dass der 42-Jährige wieder hören kann. Trotz schweren Handicaps ist er Chef von 270 Angestellten. Seit Mai 2020 leitet er das Kommunale Jobcenter im Landkreis Leipzig. Baumeier möchte Menschen dazu ermutigen, auch mit Einschränkung Karriere zu machen.

Felix Baumeier (42) ist beinahe taub auf die Welt gekommen. Er ermutigt andere Menschen, trotz Einschränkung Karriere zu machen.
Felix Baumeier (42) ist beinahe taub auf die Welt gekommen. Er ermutigt andere Menschen, trotz Einschränkung Karriere zu machen.  © Eric Münch

Felix Baumeier wurde 1979 in Halle geboren. "Über ein Jahr lang dachten meine Eltern, ich höre ganz 'normal'", sagt Baumeier. Als die Familie Auffälligkeiten bei dem Jungen feststellte, ließ sie ihn untersuchen. Die Diagnose: Felix Baumeier war beinahe taub.

"Die Ärzte rieten meinen Eltern, mich gehörlos und mit Gebärdensprache aufzuziehen", sagt Baumeier. Doch die fragten sich: Ist das wirklich das Ende der Fahnenstange? "Meine Mutter kämpfte für mich, in der DDR waren Hörgeräte noch Mangelware."

Nach einigen Anträgen und Beschwerden schließlich mit Erfolg: Felix Baumeier bekam zumindest ein Hörgerät, lernte mit drei Jahren das Sprechen, besuchte mit fünf Jahren die Schwerhörigenschule und wechselte einige Jahre zu einem "normalen" Gymnasium, studierte öffentliche Verwaltung in Mannheim.

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"Hören war nicht mühelos, sondern ein anstrengender Prozess. Ich bin einmal am Tisch vor Erschöpfung eingeschlafen."

Inklusion als emphatisches Miteinander

Im Kommunalen Jobcenter des Landkreises Leipzig ist Baumeier Chef von 270 Angestellten.
Im Kommunalen Jobcenter des Landkreises Leipzig ist Baumeier Chef von 270 Angestellten.  © Eric Münch

Mit Ende 20 schwebte die Diagnose eines Arztes wie ein dunkles Schwert über Baumeier. Der sagte ihm, dass er bald ganz taub sein werde. "Ich habe alle Geräusche in mich aufgesaugt. Wer weiß, wie lange ich noch hätte hören können."

Etwa ein halbes Jahr lang rang er mit sich, bevor er den wichtigsten Schritt Richtung Zukunft wagte: ein Cochlea-Implantat.

"Nach der OP ist es, als ob man eine Fremdsprache lernt. Anfangs klingt es wie in einem Käfig voll kreischender Tiere", beschreibt es der 42-Jährige. Mit dem Cochlea-Implantat auf der linken Seite hört er zu 90 Prozent, mit seinem Hörgerät rechts die restlichen zehn Prozent. "Ich erinnere mich noch an einen tollen Moment nach der OP - ich strich im Auto über mein Lenkrad und konnte den Kontakt mit dem Leder hören."

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Felix Baumeiers Traum war es, am Flughafen zu arbeiten. Dieser platzte allerdings nach einem Praktikum. "Wegen der ständigen Hintergrundgeräusche im Terminal und auf dem Rollfeld hat mein Hörgerät unaufhörlich gefiept, das war unerträglich."

Schnell wurde ihm klar, er braucht die ruhige Geräuschumgebung eines Büros. 20 Jahre lang arbeitete er für die Bundesagentur für Arbeit. Seit zwei Jahren ist er in Grimma der Chef von den knapp 300 Mitarbeitern des Kommunalen Jobcenters des Landkreises Leipzig. Mit seinem unsichtbaren Handicap geht Felix Baumeier auch auf der Arbeit ganz offen um. "Es ist wichtig, dass nicht durcheinandergeredet wird - das finden alle aber auch ganz unabhängig von meiner Einschränkung ganz gut."

Inklusion bedeutet für Baumeier vor allem ein emphatisches Miteinander. "Ich erwarte nicht, dass alles um mich herumgebaut wird, denn nicht jeder findet an seinem Wunscharbeitsplatz die richtigen Rahmenbedingungen. Es geht um Rücksichtnahme."

Das Cochlea-Implantat und Arbeiten mit Handicap in Sachsen

Das Cochlea-Implantat wird operativ hinter dem Ohr eingesetzt.
Das Cochlea-Implantat wird operativ hinter dem Ohr eingesetzt.  © Eric Münch + 7activestudio/123RF

Eine Hörschädigung kann in den meisten Fällen durch ein Hörgerät ausgeglichen werden. Doch in manchen Fällen reichen selbst diese leistungsstarken Geräte nicht mehr aus. Dann kann ein Cochlea-Implantat Abhilfe schaffen.

In ganz Deutschland hören schon knapp 30.000 Menschen mit solch einem Implantat.

Diese elektronische Innenohrprothese wird operativ in den Schädelknochen eingesetzt. Der Sprachprozessor hinter dem Ohr besteht aus Mikrofon, Kabel und einer Spule. Er nimmt Schallwellen - wie etwa von Gesprächen oder Musik - aus der Umgebung auf und wandelt sie in codierte Signale um. Die Sendespule überträgt diese Signale dann durch die Haut hindurch zum Implantat, das die Signale in elektrische Impulse umwandelt, die über Elektroden direkt an die Nervenfasern in der Cochlea (Hörschnecke) weitergeleitet werden. Dort stimulieren die Impulse den Hörnerv. Er gibt die Signale ans Gehirn weiter, wo sie schließlich zu Höreindrücken verarbeitet werden.

Oftmals sind Menschen mit Behinderung genau jene Fachkräfte, die in Betrieben dringend gebraucht werden. In Sachsen arbeiten laut Arbeitsagentur rund 46.000 Menschen mit Handicap (Stand 2019). Das waren insgesamt 1097 zusätzliche Beschäftigungsverhältnisse (plus 2,4 Prozent), die innerhalb eines Jahres durch sächsische Unternehmen bereitgestellt wurden.

Das ist ein neuer Höchststand - die Soll-Quote an Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderung liegt bei mindestens fünf Prozent aller Arbeitsplätze. Aktuell erfüllen in Sachsen nicht alle Betriebe diese Pflicht. Die Quote liegt im Freistaat bei 4,1 Prozent.

Titelfoto: Eric Münch

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