Stadtfest-Abbruch: Veranstalter wollte mit einer "Notlüge" Panik vermeiden

Chemnitz - Informations-Wirrwarr rund um den Stadtfest-Abbruch (TAG24 berichtete). Wie konnte es so weit kommen?

Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (56, SPD) bei einer Pressekonferenz am Sonntag.
Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (56, SPD) bei einer Pressekonferenz am Sonntag.  © Sven Gleisberg

Stadt, Veranstalter CWE und Polizei hatten es gut gemeint, doch der Schuss ging nach hinten los: Nach der tödlichen Attacke in der Nacht zu Sonntag, bei der ein 35 Jahre alter Mann starb, startete das Stadtfest pünktlich 10 Uhr, als wäre nichts gewesen.

In den Sozialen Netzwerken wurden da bereits Stimmen laut, man solle die Veranstaltung absagen, doch von den offiziellen Stellen war zu hören: Die Tat habe nichts mit dem Stadtfest zu tun. Daran hielten Stadt und die CWE, bis in den Nachmittag fest.

Gegen 14 Uhr kam eine Mitteilung der Polizei, in der eine positive Bilanz des Festes gezogen wurde: "In den beiden vergangen Tagen führte die Polizeidirektion Chemnitz einen Einsatz zur Absicherung des Chemnitzer Stadtfestes durch. In den Nächten zum Samstag als auch zum Sonntag war aus polizeilicher Sicht ein veranstaltungstypischer Ablauf ohne nennenswerte Störungen zu verzeichnen", hieß es in der Mitteilung.

Stadtsprecher Robert Gruner (33) wiegelte Nachfragen auf Reaktionen von der Oberbürgermeisterin ab: "Es wird keine Stellungnahme der Stadt geben. Das ist Sache des Veranstalters."

Bei spontanen Demos versammelten sich am Sonntagnachmittag rund 1000 Menschen in Chemnitz.
Bei spontanen Demos versammelten sich am Sonntagnachmittag rund 1000 Menschen in Chemnitz.  © Harry Härtel/Haertelpress

Eine Stunde später änderte sich die Situation plötzlich radikal. Von den Bühnen war zu hören, dass das Stadtfest abgebrochen werde und CWE-Chef Sören Uhle (42) teilte auf TAG24-Nachfrage mit: "Wir haben die Lage nach einer Besprechung noch einmal neu eingeschätzt und uns aus Pietät den Angehörigen gegenüber dazu entschlossen."

Enttäuscht verließen die Besucher das Fest. In der Brückenstraße sammelt sich zu dem Zeitpunkt Trauernde am Tatort und legten Blumen nieder. Nur wenige Meter davon entfernt fanden schon erste Spontan-Demos statt. Immer mehr Demonstranten schlossen sich an, darunter auch gewaltbereite Rechte. Insgesamt sollen rund 1000 Teilnehmer bei den Demos gewesen sein.

Um 19 Uhr meldete sich dann doch Stadt, Polizei und CWE noch einmal zu Wort, bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Dort kam die Wahrheit über das abrupte Ende des Stadtfestes ans Licht: "Es wurde befürchtet, dass Fußballfans aus ganz Sachsen und Brandenburg nach Chemnitz kommen könnten. Es wurden Polizisten aus Dresden und Leipzig vom Fußball abgezogen und nach Chemnitz verlegt."

Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (56, SPD) verteidigte die Notlüge: "Es war richtig, um Panik zu vermeiden" und zeigte sich betroffen und sagte dem MDR: "Es sollte ein friedliches Stadtfest werden. Wir hatten ja einen besonderen Anlass, den Stadtgeburtstag. Und wenn ich sehe, was sich in den Stunden am Sonntag hier entwickelt hat, dann bin ich entsetzt."

Bis in die Nacht zeigte die Polizei starke Präsenz in der Stadt. Bei den Demos kam es zu vereinzelten Flaschenwürfen und rechten Parolen. Das Image der Stadt ist, trotz der gut gemeinten Notlüge erstmal ruiniert.

Die Polizei am Sonntag auf dem fast leeren Stadtfestgelände.
Die Polizei am Sonntag auf dem fast leeren Stadtfestgelände.  © Sven Gleisberg

Update 16:30 Uhr

Jetzt live aus der Polizeidirektion Chemnitz. Sachsens Innenminister Prof. Roland Wöller gibt gemeinsam mit der Chemnitzer Polizeipräsidentin Sonja Penzel ein Statement zu den gestrigen und aktuellen Ereignissen in Chemnitz ab.

Titelfoto: Sven Gleisberg