Anklage gegen Klinik-Personal nach Urteil gegen Patientenmörder Niels Högel

Oldenburg - Jahrelang konnte Niels Högel Patienten zu Tode spritzen. Die Staatsanwaltschaft geht aber davon aus, dass damalige Führungskräfte des Klinikums Oldenburg sehr wohl wussten, welche Gefahr vom Krankenpfleger ausging.

Aktuelles und ehemaliges Personal des Klinikums Oldenburg ist angeklagt. (Archivbild)
Aktuelles und ehemaliges Personal des Klinikums Oldenburg ist angeklagt. (Archivbild)  © dpa/Hauke-Christian Dittrich

Die juristische Aufarbeitung der wahrscheinlich größten Mordserie der deutschen Nachkriegsgeschichte geht weiter.

Knapp vier Monate nach dem Urteil gegen Ex-Krankenpfleger Niels Högel wegen 85 Morden hat die Oldenburger Staatsanwaltschaft Anklage gegen fünf frühere und aktuelle Führungskräfte des Klinikums Oldenburg erhoben.

Sie wirft vier Männern und einer Frau Totschlag durch Unterlassen vor, wie ein Sprecher der Behörde am Donnerstag sagte.

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Zu den Beschuldigten gehören der frühere Geschäftsführer Rudolf Mintrop, eine ehemalige Pflegedirektorin und ein früherer Chefarzt. Diese arbeiten nicht mehr in dem Krankenhaus.

Außerdem sollen sich zwei aktuelle Führungskräfte des Klinikums vor Gericht verantworten.

Diese beiden Männer wurden bis auf weiteres freigestellt, wie eine Sprecherin des Klinikums sagte. Dies geschehe auch zu deren Schutz: "Das Klinikum versteht diese Maßnahme nicht als Vorverurteilung der betroffenen Personen. Die Gerichte werden klären, ob und in welcher Form eine strafrechtliche Verantwortlichkeit vorliegt."

Mintrop bleibt trotz der Vorwürfe Vorsitzender der Geschäftsführung des Klinikums Dortmund. "Solange kein Richter ein Urteil gesprochen hat, gilt in unserem Rechtsstaat die Unschuldsvermutung. Ich sehe daher zum jetzigen Zeitpunkt keinen Handlungsbedarf", sagte die Aufsichtsratsvorsitzende des Klinikums Dortmund, Ulrike Matzanke. Sie schätze Mintrops Arbeit sehr.

Die Staatsanwaltschaft wirft Mintrop und der ehemaligen Pflegedirektorin jeweils Totschlag durch Unterlassen in 63 Fällen vor.

Gab es eine Mentalität des Wegschauens?

Niels Högel steht vor einem Prozesstag im Gerichtssaal. (Archivbild)
Niels Högel steht vor einem Prozesstag im Gerichtssaal. (Archivbild)  © dpa/Hauke-Christian Dittrich

Einem weiteren Beschuldigten werden 60 Fälle zur Last gelegt. Die beiden anderen sollen sich laut Anklage in drei Fällen wegen Totschlags durch Unterlassen verantworten.

Högel hatte vom Jahr 2000 bis 2005 Intensiv-Patienten in Oldenburg und Delmenhorst mit Medikamenten zu Tode gespritzt. Viele brachte er in lebensbedrohliche Lagen, um bei der Reanimierung Lob von seinen Kollegen zu bekommen. Anfang Juni verurteilte das Landgericht Oldenburg den Deutschen zu lebenslanger Haft.

Der 42-Jährige hat gegen das Urteil Revision eingelegt. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs dazu wird im kommenden Jahr erwartet. Högel wurde schon mehrfach verurteilt, 2015 unter anderem wegen zweifachen Mordes an Patienten zu lebenslanger Haft.

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Die Frage, warum der Krankenpfleger ungehindert morden konnte, steht seit langem im Raum. Viele Beobachter des Prozesses fragten sich, ob es im Klinikum Oldenburg eine Mentalität des Wegschauens gab. Ein Zeuge berichtete, Högel sei nicht der einzige gewesen, der nach rechtswidrigem Verhalten mit einem guten Zeugnis weggelobt worden sei.

"Das hatte Struktur", sagte der Mann, der von 1993 bis 2014 in Oldenburg als Pfleger beschäftigt war. Kritik an der Klinikleitung gab es auch. Der Richter betonte, er zweifle am Aufklärungswillen der Geschäftsführung.

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg will nun damalige Vorgesetzte Högels vor Gericht stellen. Sie geht davon aus, dass vier der Beschuldigten spätestens ab Ende Oktober 2001 erkannten, dass von dem damaligen Krankenpfleger Gefahr ausging.

Demnach soll es eine intern erstellte Liste gegeben haben, aus der hervorging, dass es in Anwesenheit des Pflegers übermäßig viele Todesfälle nach Reanimationen gab.

Prozessbeginn ist noch unklar

Nach Auffälligkeiten in Oldenburg fand Niels Högel in Delmenhorst eine neue Stelle.
Nach Auffälligkeiten in Oldenburg fand Niels Högel in Delmenhorst eine neue Stelle.  © dpa/Hauke-Christian Dittrich

Laut Anklage meldeten sich die damaligen Führungskräfte nicht bei der Polizei, weil sie sich um ihren Ruf und das Ansehen des Klinikums sorgten.

Im November 2001 sei es zu drei Morden des damaligen Krankenpflegers gekommen. Laut Ermittler wären die Beschuldigten verpflichtet gewesen, das Leben dieser Patienten zu schützen.

Zwei Beschuldigte hätten sich aber unter Einbindung der Klinikleitung dafür eingesetzt, Högel auf eine andere Station zu versetzen.

Nachdem es auch auf der Anästhesiestation zu Auffälligkeiten gekommen war, sollen drei der Beschuldigten dafür gesorgt haben, dass Högel freigestellt wurde und das Klinikum mit einem guten Zeugnis verlassen konnte. Laut Anklage haben die Führungskräfte dem Mann ermöglicht, in Delmenhorst zu arbeiten.

Die Staatsanwaltschaft kommt daher zu dem Schluss, dass die drei Beschuldigten auch für die weiteren 60 Morde beziehungsweise Mordversuche in Delmenhorst wegen Totschlags durch Unterlassen verantwortlich sind.

Wann das Landgericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet, war unklar. Totschlag durch Unterlassen wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 5 und höchstens 15 Jahren bestraft. Der Prozess wird kaum der einzige bleiben, in dem sich Ex-Kollegen Högels verantworten müssen.

Vier frühere Mitarbeiter der Klinik Delmenhorst sind auch wegen Totschlags durch Unterlassen angeklagt.

Titelfoto: Montage: dpa/Hauke-Christian Dittrich

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