Anti-AfD-Demos: Wird aus den Protesten eine neue politische Bewegung?

Marburg - Die zahlreichen Demonstrationen in Deutschland gegen Rechtsextremismus und die AfD der vergangenen Wochen könnten nach Einschätzung des Protestforschers Tareq Sydiq in eine langfristige Protestbewegung münden.

Mehr als 30.000 Menschen demonstrierten am 20. Januar in Frankfurt am Main gegen die AfD und Rechtsextremismus.
Mehr als 30.000 Menschen demonstrierten am 20. Januar in Frankfurt am Main gegen die AfD und Rechtsextremismus.  © Andreas Arnold/dpa

Ein Anzeichen dafür sei, dass bereits seit knapp einem Monat immer wieder tausende Menschen in zahlreichen Städten gegen rechts auf die Straßen gehen. Entscheidend für einen Fortbestand der Bewegung sei aber auch, ob sich die Teilnehmenden zu Bündnissen zusammenschließen und sich auf gemeinsame Ziele und Strategien verständigen, sagte Sydiq der Deutschen Presse-Agentur.

Der promovierte Politologe ist Mitarbeiter des Zentrums für Konfliktforschung an der Marburger Philipps-Universität und auf politische Partizipation und soziale Bewegungen spezialisiert. Überrascht habe ihn, dass es schon wenige Tage nach den Enthüllungen der Investigativ-Plattform Correctiv zu einem Treffen radikaler Rechter mit einzelnen Politikern von AfD, CDU und Werteunion aus dem November in Potsdam bereits deutschlandweit zu großen Demonstrationen kam.

Auch die teils starke Mobilisierung im ländlichen Raum habe ihn beeindruckt, sagte Sydiq. So versammelten sich etwa in Marburg zuletzt rund 16.000 Menschen - was mehr als einem Fünftel der Einwohnerzahl der mittelhessischen Stadt entspricht.

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Mögliches Vorbild für die aktuellen Proteste könnten die Demonstrationen während der 1990er-Jahre sein, sagte der Wissenschaftler. Sie hätten viele Menschen dazu bewegt, sich für Geflüchtete zu engagieren und brachten somit langfristige Effekte hervor.

Politologe Tareq Sydiq: AfD versucht, Proteste "wegzureden und alles zu delegitimieren"

Der Politologe und Protestforscher Tareq Sydiq ist Mitarbeiter des Zentrums für Konfliktforschung an der Marburger Philipps-Universität.
Der Politologe und Protestforscher Tareq Sydiq ist Mitarbeiter des Zentrums für Konfliktforschung an der Marburger Philipps-Universität.  © privat/DPA

Auch die jetzigen Proteste könnten solch eine politisierende und demokratiefördernde Wirkung entfalten.

Zwar sei noch keine klare Zielsetzung zu erkennen - einen Erfolg könnten die Demonstrierenden aber schon jetzt für sich verbuchen: Mit ihrem Zeichen gegen rechts hätten sie einen "gewissen Narrativ-Wechsel" erzeugt, indem nun nicht ständig über Inhalte der AfD gesprochen werde, "sondern dass man über Rechtsextremismus in der AfD spricht", sagte Sydiq.

Die Strategie der Partei bestehe derzeit darin, "das wegzureden und alles zu delegitimieren, was irgendwie an Kritik ihre Anhängerschaft erreichen könnte", so der Protestforscher. Das gelinge auch, denn gerade die Kern-Anhänger seien nicht durch Proteste oder durch Skandalisierung zu erreichen.

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Diese glaubten, was die Partei sage, und könnten durch Gegenproteste in ihrem Weltbild bestärkt werden, sagte Sydiq. Darauf setze die Partei offenbar auch.

Vorstellungen von Martin Sellner seien "völkisches Verständnis des Deutschseins"

Den Grund für die derzeit breite Mobilisierung sieht der Forscher nicht nur in dem bei dem Potsdamer Treffen thematisierten Begriff der "Remigration". Wenn Rechtsextremisten diesen verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang.

Vielmehr hätten die Vorstellungen des früheren Kopfs der Identitären Bewegung Österreichs, Martin Sellner, vielen verdeutlicht, dass es auch um Menschen gehe, die sich für Geflüchtete engagieren sowie um deutsche Staatsbürger der dritten, vierten oder fünften Generation.

"Das ist ja ein völkisches Verständnis des Deutschseins. Und wir reden auch über politische Gegner. Engagement ist kein ethnischer Marker. Und das ist dann natürlich schon auch noch mal ein Tabubruch und eine ganz andere Art von Eskalation", sagte Sydiq.

Titelfoto: Andreas Arnold/dpa

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