Geheimschrift fürs Protokoll: Wo Stenografie immer noch wichtig ist

München - Sie ist eine aussterbende Zunft, aber in deutschen Parlamenten noch immer unverzichtbar - die Stenografie. Hauptberuflich gebe es in Deutschland nur noch ein paar Hundert Stenografen, sagt Regina Hofmann, Präsidentin des Deutschen Stenografenbundes. Der derzeit schnellste von ihnen arbeitet in München: Stefan Schubert.

Stenografie ist mehr als eine aussterbende Kunst.
Stenografie ist mehr als eine aussterbende Kunst.  © Sven Hoppe/dpa

Seit 1990 schreibt der 56-Jährige die Debatten im bayerischen Landtag mit, leichter ist sein Job seitdem nicht geworden. "Politiker, die besonders einfach zu schreiben sind, gibt es nicht mehr", sagt Schubert.

Denn in der Politik wie im Alltag sei in den vergangenen 30 Jahren eine klare Entwicklung hörbar: Die Menschen sprächen immer schneller. Im Parlament gelte das im Besonderen, denn dort ist die Redezeit am Pult fast immer begrenzt.

Da trifft es sich gut, dass Tempo kein großes Problem für Schubert ist: Er ist amtierender Deutscher Stenografie-Meister in der Disziplin "Kurzschrift".

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Beim jüngsten Wettbewerb Ende Mai in Worms in Rheinland-Pfalz traten die 76 schnellsten Schreiber in verschiedenen Tempoklassen gegeneinander an. In der höchsten Stufe, der sogenannten "Meisterklasse", wird ein Text immer schneller vorgelesen, bis der Sprecher nach zehn Minuten eine Geschwindigkeit von 475 Silben pro Minute erreicht. Zum Vergleich: Menschen sprechen im Alltag nur rund 300 Silben pro Minute.

Der Text müsse bei diesem Tempo für die Stenografen sehr deutlich artikuliert werden, sagt Schubert. Schließlich werde das Aufgeschriebene übersetzt und Korrektur gelesen. Anhand von Fehlern und Abweichungen zum Ursprungstext werde dann der Sieger ermittelt.

Das sind die Vorteile der Stenografie gegenüber moderner Technik

Stefan Schubert (56) ist amtierender Deutscher Stenografie-Meister.
Stefan Schubert (56) ist amtierender Deutscher Stenografie-Meister.  © Sven Hoppe/dpa

Doch Stenografie wird heute an immer weniger Orten unterrichtet. Bis in die 90er-Jahre war die Kurzschrift laut Stenografiebund-Präsidentin Hofmann noch Teil mehrerer Ausbildungen, zum Beispiel in der Bürokommunikationslehre. Mittlerweile müssen sich Interessenten selbst nach Kursen umschauen, zum Beispiel bei Stenografie-Vereinen oder Volkshochschulen.

Wegen der Pandemie gebe es zwar auch zahlreiche Online-Kurse, sagt Hofmann. Dennoch gebe es immer stärkere Nachwuchsprobleme. Im Alltag brauche die Hand-Stenografie kaum noch jemand, Interessenten auf Veranstaltungen zu werben sei wegen Corona in den vergangenen Monaten schwierig gewesen.

Dabei bringt die Kurzschrift immer noch einige Vorteile gegenüber der modernen Technik mit sich. So können die Stenografen beispielsweise bei Gesprächen direkt Zwischenrufe erfassen und einordnen, sagt Hofmann.

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Ebenso können sie Floskeln weglassen, die nicht zur Sache gehören. Deshalb fänden sich immer noch Freischaffende, die zum Beispiel in Gerichten, in Aufsichtsratsversammlungen und als Journalisten mit der Schrift arbeiteten.

Die Sprache zu lernen, sei aber nicht so einfach, sagt Hofmann. "Steno" zu lernen, könne mehr als ein Jahr dauern. Es liege aber immer am persönlichen Einsatz, wie schnell man sich verbessere.

13 Stenografen arbeiten im Bayerischen Landtag

Der Arbeitsplatz von Schubert: der bayerische Landtag.
Der Arbeitsplatz von Schubert: der bayerische Landtag.  © Peter Kneffel/dpa

Stenografie-Meister Schubert hat die Kurzschrift noch in der Schule gelernt. Er sei von der ersten Stunde an begeistert gewesen, sagt der studierte Volkswirt.

Mit wenigen Strichen ganze Worte zu schreiben, habe ihn gereizt – auch weil er Stenografie als Geheimschrift nutzen konnte. Denn dort werden Buchstaben reduziert und ganze Begriffe teils mit Häkchen und Linien abgekürzt. Wer die Kurzschrift nicht beherrscht, sieht darin meist nur ein einziges Gekrakel.

Heute ist Schubert nach Angaben der Parlamentsverwaltung einer von 13 Stenografen und Stenografinnen im bayerischen Landtag. Jeweils zehn Minuten lang schreiben sie demnach im Plenum mit. Danach haben sie zwei Stunden Zeit, ihre Protokolle in Hochdeutsch zu übersetzen. Dann protokollieren sie wieder, was im Plenum gesagt wird.

Mittlerweile müsse er über die Schreibweisen von Worten und Sätzen nicht mehr nachdenken, sagt Schubert. Das gehe ihm vom "Hirn in die Hand".

Dennoch gibt es auch für ihn eine besondere Herausforderung bei seiner Arbeit im Landtag – die Dialekte der Abgeordneten in Bayern. Die übersetze er grundsätzlich gedanklich ins Hochdeutsche und schreibe dann erst den Text in Stenografie, sagt Schubert. Nur einzelne Aussprüche, Redewendungen und Betonungen schreibe er auch im jeweiligen Dialekt auf.

Titelfoto: Sven Hoppe/dpa

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