Lebenshilfe streicht Angebote: Familien und Mitarbeiter geschockt

Göppingen - Große Aufregung im Landkreis Göppingen: Ab dem heutigen Dienstag fallen von der Lebenshilfe nahezu alle Angebote des Bereichs "Kinder, Familie und offene Angebote" weg. Darunter auch die im Kreis einzigartige Interdisziplinäre Frühförderstelle. Betroffene MitarbeiterInnen und Familien reagierten im Vorfeld geschockt und fühlten sich vor den Kopf gestoßen.

Die Lebenshilfe Göppingen hat zahlreiche entlastende Angebote für Familien gestrichen.
Die Lebenshilfe Göppingen hat zahlreiche entlastende Angebote für Familien gestrichen.  © Lebenshilfe Göppingen

Von dem Aus betroffen sind neben 34 MitarbeiterInnen zahlreiche Familien, für die wichtige und entlastende Stützen in der Wochenplanung sowie Förderung ihrer Kinder wegfallen.

"Ich war geschockt und enttäuscht, als ich davon erfahren habe", so Michaela S. (33) gegenüber TAG24. Ihr dreijähriger Sohn Samuel profitierte zwei Mal in der Woche von den Heilpädagogik- und Logopädie-Angeboten in der Frühförderstelle. Das wird es jetzt vorerst nicht mehr geben; im Kreis Göppingen gibt es kein vergleichbares Angebot.

Michaela S. traf die Ankündigung der Lebenshilfe wie alle anderen Eltern sehr plötzlich: "Man hätte definitiv besser darauf vorbereitet werden können, wenn schon länger klar war, dass die finanzielle Lage schlecht aussieht!"

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Auch eine Mitarbeiterin, die durch den Umbruch ihren Job verlor, drückte ihren Ärger gegenüber TAG24 aus. 

Sie habe zusammen mit ihren TeamkollegInnen Geschäftsführer Uwe Hartmann zu einem Gespräch eingeladen, da sie außer der schriftlichen Mitteilung "kein Wort von oben" gehört hätten.

Betroffene Mitarbeiterin enttäuscht von Geschäftsführung der Lebenshilfe

Für viele Eltern und Kinder brechen feste und wichtige Bestandteile der Wochenplanung weg. (Symbolbild)
Für viele Eltern und Kinder brechen feste und wichtige Bestandteile der Wochenplanung weg. (Symbolbild)  © Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa

"Der Vorstand unseres Vereins hat sich dazu entschlossen, einige Angebote aus dem Bereich 'Kinder, Familie und offene Angebote' auszudünnen, weil sie einfach hoch defizitär sind und weder durch Leistungsträger wie Krankenkassen, noch durch Spenden oder Sponsoring auch nur annähernd finanziert werden", begründete Uwe Hartmann, der Geschäftsführer des Lebenshilfe Göppingen, in einer Pressemitteilung Ende Juni den Schritt. Darüber hinaus habe die Corona-Krise die angespannte Situation noch weiter verschärft.

Auf die Einladung des Teams ging Hartmann nicht ein - ein Vorgehen, das die Mitarbeiterin verletzte: "Das finde ich sehr enttäuschend, vor allem, weil einige von uns teilweise schon länger als 15 Jahre bei der Lebenshilfe arbeiten."

Sie und ihre KollegInnen fragten sich auch, wieso die Lebenshilfe in so eine schlechte wirtschaftliche Lage geschlittert sei und wofür die ganzen Spenden aufgebraucht wurden. Der Verdacht, die Corona-Krise würde vom Trägerverein als geeigneter Sündenbock angeführt werden, dränge sich auf.

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Ruth Weber (62), die in diesem Prozess als Assistenz der Geschäftsführung der Lebenshilfe Göppingen tätig war und ist, kann den Unmut verstehen. Sie betonte jedoch gegenüber TAG24, dass die Corona-Krise eine ganz eigene Dynamik entwickelt hat.

Neuer Träger für Angebote in Aussicht

Der Landkreis Göppingen bemüht sich, schnell einen neuen Träger zu finden, der die weggebrochenen Dienstleistungen wieder anbietet. (Symbolbild)
Der Landkreis Göppingen bemüht sich, schnell einen neuen Träger zu finden, der die weggebrochenen Dienstleistungen wieder anbietet. (Symbolbild)  © Federico Gambarini/dpa

"Wenn Corona und der damit verbundene Engpass nicht gekommen wäre, hätten wir das bestimmt auch noch so durchgezogen. Die Angebote waren uns als Lebenshilfe immer sehr wichtig, da wir mit ihnen Familien entlasten konnten. Das haben wir über viele Jahre gemacht, auch mit dem Wissen, dass wir draufzahlen", so Weber. Sie machte jedoch klar, dass selbst ohne die Corona-Krise kein Weg um "radikale Umstrukturierungen" herumgeführt hätte.

Weber betonte außerdem, dass der "Schwarze Peter" nicht in Gänze der Lebenshilfe zuzuschieben sei, sondern auch dem Landkreis. Der habe schließlich für die Frühförderstelle den Versorgungsauftrag und sei in Gesprächen auf die stetige Verlustentwicklung aufmerksam gemacht worden.

Die Kreisbehindertenbeauftragte Claudia Oswald-Timmler stritt dies gegenüber der Geislinger Zeitung allerdings ab und zeigte sich "entsetzt von der Vorgehensweise der Lebenshilfe".

Der Landkreis bemüht sich jetzt darum, einen neuen Träger zu finden, der möglichst bald die weggebrochenen Dienstleistungen wieder anbieten soll. Ruth Weber zufolge seien die Gespräche bereits weit fortgeschritten. "Es deutet alles darauf hin, dass eine Institution gefunden wurde und auch zusagt, sollte der Landkreis sich finanziell beteiligen", so die 62-Jährige.

Dies sei aufgrund des entstandenen Drucks und der Dringlichkeit laut Weber sehr wahrscheinlich. "Der neue Träger würde das dann auch, soweit ich informiert bin, 1:1 wieder so anbieten, wie es bisher war - sprich: die Räumlichkeiten und offenbar auch das Personal übernehmen."

Sollte es so kommen, drängt sich die Frage auf, wieso man zu solch einer Lösung nicht gleich mit der Lebenshilfe Göppingen gefunden hat. "Der Lebenshilfe könnte man mit Sicherheit vorwerfen, dass sie nicht hartnäckig genug auf den Landkreis eingewirkt beziehungsweise mit ihm verhandelt hat", so Weber, "doch der Kreis hätte auch von sich aus aktiver sein können."

Titelfoto: Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa

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