Virologe Streeck hält nichts von Impfpflicht: Probleme "endlich bei der Wurzel anpacken"

Bonn - Der Bonner Virologe Hendrik Streeck (44), Mitglied im Expertenrat der Bundesregierung, hält nichts von einer allgemeinen Impfpflicht: Man müsse die Probleme "endlich bei der Wurzel anpacken", statt sie über eine Impfpflicht lösen zu wollen, sagte Streeck im Interview mit dem Nachrichtenmagazin Focus.

Virologe Hendrik Streeck (44) fordert ein alternatives Vorgehen von der Regierung. Von der Impfpflicht hält er nichts.
Virologe Hendrik Streeck (44) fordert ein alternatives Vorgehen von der Regierung. Von der Impfpflicht hält er nichts.  © dpa/Rolf Vennenbernd

"Unser Gesundheitswesen ist marode, Verbesserungen sind überfällig. Der Job im Pflegeberuf muss wieder attraktiver werden, die Arbeit muss machbarer und besser vergütet werden und, und, und …", führte er aus.

Da habe es ihn zudem "milde ausgedrückt, geärgert", dass das RKI den mit der Impfpflicht-Debatte zusammenhängenden Genesenenstatus jüngst auf drei Monate reduziert habe. "Nach allen Studien zu diesem Thema, die mir bekannt sind, weisen Genesene einen gleich guten oder zum Teil besseren Schutz auf als Geimpfte." Auch der "Schutz vor allem vor einem schweren Verlauf ist bei Genesenen wirklich sehr gut".

Die bisherige Eile, "sich danach schnell auch noch boostern zu lassen, ist daher nicht geboten", so Streeck.

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Die Impfung, das zeige die bisherige Empirie, sei "ein Eigen-, weniger ein Fremdschutz". Insofern sei das Argument für eine Impfpflicht vor allem der Schutz vor einer Überlastung des Gesundheitswesens. Und da fordert der Virologe auch von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (58, SPD), "dass er sich nicht vom Tagesgeschäft auffressen lässt und auf die längerfristigen Fragen konzentrieren kann".

Es gehe darum, "die Resilienz der Krankenhäuser wiederherzustellen; das verloren gegangene Personal dort wieder aufzubauen; den Pflegebereich generell zu verbessern; die Digitalisierung des Gesundheitssystems voranzutreiben. Da liegen noch große Brocken vor ihm."

Streeck vergleicht Inzidenzen mit Wetterbericht: "Nur wenig Aussagekraft"

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbachs (58, SPD) Arbeit beginne erst richtig, wenn die Inzidenzen wieder fallen, meint Streeck.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbachs (58, SPD) Arbeit beginne erst richtig, wenn die Inzidenzen wieder fallen, meint Streeck.  © dpa/Wolfgang Kumm

Die eigentliche Arbeit fange an, "wenn im Frühjahr die Inzidenzen wieder fallen. Nach der Ebbe wird nämlich wieder die Flut kommen. Deshalb sollte man die Zeit nutzen, um die Deiche zu verstärken", fordert Streeck gegenüber dem Focus-Magazin, welches am Samstag erscheint.

Zugleich vermisst der Experte, "dass wir es als Gesellschaft noch nicht geschafft haben, aus dem Ausnahmezustand herauszufinden, den Corona uns anfangs beschert hat. So ein Zustand ist auf Dauer nicht nur enorm ermüdend, sondern suggeriert auch eine Hoffnungslosigkeit, die es nicht geben müsste."

Man müsse endlich "in eine gewisse Normalität zurückfinden". Dazu gehöre auch, dass wir nicht mehr "jeden Tag auf die Inzidenzen starren wie das Kaninchen auf die Schlange".

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Streeck weiter: "Es kommt mir vor wie der morgendliche Wetterbericht. Dabei wissen wir längst alle, dass diese Zahl nur noch wenig Aussagekraft hat."

Im täglichen Umgang der Gesellschaft mit der Pandemie sieht er mittlerweile vor allem ein Land als Vorbild: Schweden habe speziell zu Beginn zwar "deutliche Fehler im Kampf gegen Corona gemacht, und auch dort wurden teils harte Maßnahmen angeordnet. Aber das Land hat sich immer ein weit höheres Maß an Normalität bewahrt als wir."

Titelfoto: dpa/Rolf Vennenbernd

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