Ein Stück DDR-Geschichte: Filme, Farben, Fasern – Filmmuseum Wolfen startet wieder durch

Bitterfeld-Wolfen - Mit einem neuen Ausstellungsraum unterm Dach sowie Veranstaltungs- und Depoträumen startet das Industrie- und Filmmuseum Wolfen (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) wieder durch.

Der ehemalige Museumsleiter Uwe Holz (60) zeigt Verpackungen vom ersten Mehrschichtenfarbfilm der Welt, der ab 1936 in Wolfen produziert wurde.
Der ehemalige Museumsleiter Uwe Holz (60) zeigt Verpackungen vom ersten Mehrschichtenfarbfilm der Welt, der ab 1936 in Wolfen produziert wurde.  © Waltraud Grubitzsch/dpa

Wie ein schwerfälliges, klobiges Mahnmal steht der haushohe Zellulosekocher neben dem denkmalgeschützten Backsteinbau des Industrie- und Filmmuseums Wolfen. Der schmucklose Kocher ähnelt einer aufgestellten Riesenzigarre mit Trichter. Vandalen haben ihn mit ein paar wirren Schriftzügen besprüht.

"Das ist unser Wahrzeichen", sagt der ehemalige Museumsleiter Uwe Holz (60) mit einem Schmunzeln. "Und unser Sparschwein. Der Schrottwert ist enorm hoch."

Das tonnenschwere Stahlungetüm ist ein Zeitzeuge weltberühmter Chemiefaser-Geschichte. Auch sie wurde von der Filmfabrik Wolfen geschrieben. Doch über die Herstellung von Kunstfasern oder Farbstoffen am Standort ist wenig bekannt. Das ändert sich nun.

Nach jahrelanger Hängepartie: Landtag wählt neue Datenschützerin
Sachsen-Anhalt Nach jahrelanger Hängepartie: Landtag wählt neue Datenschützerin

Den berühmten ersten Mehrschichtenfarbfilm von 1936 und die Marke Orwo als Akronym für "Original Wolfen" kennt fast jeder, doch vom Wolfener Viskose-Darm für Wurstwaren und von Angelsehnen weiß kaum jemand. "Die erste vollsynthetische Textilfaser der Welt kam aus der Filmfabrik Wolfen", sagt Holz. "Hier befand sich das, zu damaliger Zeit, weltgrößte Zellstoffwerk mit angeschlossener Viskosefabrik."

Ab 1938 wurde in Wolfen großtechnisch die sogenannte PeCe-Faser produziert, 1946 kamen Perlon-Seide und Perlon-Borsten hinzu. "Das war alles extrem innovativ und produktiv", sagt der 60-Jährige. "Während die Filmfabrik wuchs und wuchs, kam hier in den 1920er Jahren auch die Faserforschung in Gang."

Das sorgte Holz zufolge in der Unternehmensgeschichte für einen Quantensprung und dafür, dass auf Erfindung die Anwendung folgte.

Neuer Ausstellungsraum für 3,4 Millionen Euro im Filmmuseum Wolfen

Das Museum erweitert sein Spektrum, schließlich wurde in Wolfen einst auch ein Garn für Bekleidung entwickelt.
Das Museum erweitert sein Spektrum, schließlich wurde in Wolfen einst auch ein Garn für Bekleidung entwickelt.  © Waltraud Grubitzsch/dpa

Der Ur- und Frühgeschichtler hat das Industrie- und Filmmuseum Wolfen seit 1998 geleitet, sich dann in die Kulturverwaltung des Landkreises Anhalt-Bitterfeld zurückgezogen und das Zepter Ende 2020 an Sven Sachenbacher (48) übergeben.

Vor gut zweieinhalb Jahren musste das Traditionsmuseum seine Türen wegen Corona schließen. Nahtlos ging die pandemiebedingte Zwangsschließung in den ohnehin geplanten Umbau samt Besucherstopp über. An diesem Samstag öffnet das Museum wieder – und kann nun den Bogen von der Fotografie bis zur Dederon-Schürze spannen.

Dafür wurde dem etwa 70 Meter langen, monolithischen Block mit seinen dicken Wänden ein neuer Ausstellungsraum hinzugefügt. Eine zweite, lichtdurchflutete Etage für die ehemalige Begießerei, die trotz massiver Stahlträger der alten und neuen Generation locker und luftig wirkt. Gut 3,4 Millionen Euro hat das gekostet, der größte Teil davon waren EU-Fördermittel.

Fußball-Jugendleiter stirbt bei Baum-Crash: Verein sagt seine Spiele ab
Sachsen-Anhalt Fußball-Jugendleiter stirbt bei Baum-Crash: Verein sagt seine Spiele ab

Unter dem vollsanierten Dach des ersten neugegründeten Museums nach der Wende in Sachsen-Anhalt soll sich künftig alles um die Faser drehen. Also um Nylon, Perlon oder Dederon made in Wolfen – oder eben um Angelschnüre und Wurstpelle.

"Wir wollen in der neuen Dauerausstellung den Bereich der Chemiefaserproduktion und auch den immens wichtigen Forschungsstandort und die schwierigen Arbeitsbedingungen würdigen", sagt Museumsleiter Sachenbacher.

Ein ebenso engagiertes wie schwieriges Projekt, denn obwohl die Wolfener Filmfabrik mehr als 70 Jahre lang Chemiefasern produzierte, gibt es kaum Sachzeugnisse.

15.000 Menschen haben in der DDR in der Filmfabrik gearbeitet

Hier soll ab Samstag eine Interimsausstellung zum Thema Fasern stattfinden.
Hier soll ab Samstag eine Interimsausstellung zum Thema Fasern stattfinden.  © Waltraud Grubitzsch/dpa

Als 1989 gleich nach der Wende erste Bereiche geschlossen wurden, "schüttete man das Kind mit dem Bade aus", erklärt Holz, der gebürtig aus dem Schwarzwald stammt. "Alles wurde plattgemacht. Wir haben von der Faserproduktion so gut wie nichts mehr."

Auch, weil dieser Produktionsbereich wegen seiner hohen Umweltschädlichkeit und der gesundheitlichen Belastung für Mensch und Natur in der Kritik stand. "Bis Mitte der 1980er Jahre hatte man das ungeliebte Kind namens Faser schon größtenteils in andere Standorte wie Guben ausgelagert."

Und so startet der Museumsbetrieb im neuen Bereich zunächst mit einer Interimsausstellung, die vor allem von alten Fotos, Plänen und viel Lesestoff lebt. Luftaufnahmen zeigen das Ausmaß des Geländes mit der 1896 von der Agfa gegründeten Farbenfabrik und der 1910 eröffneten Filmfabrik. Zu Spitzenzeiten sollen hier insgesamt 15.000 Menschen gearbeitet haben.

"Alles ist rar, aber wir arbeiten mit Hochdruck am endgültigen Konzept für die Ausstellung zur Faser", sagt der Historiker und Politikwissenschaftler Sachenbacher, der aus Berlin kommt. "Zeitzeugen mit Wissen und Material sind uns sehr willkommen."

Und während oben alles hell und im neuen, modernen Industrie-Design hergerichtet ist, ist es unten so düster wie immer schon. Lange Gänge und lückenlos geflieste Reinräume mit sehr hohen Decken – hier steht Originaltechnik am Originalort.

Das ist weltweit einmalig. "Wir können bei einem Rundgang alle Schritte zur Herstellung fotografischen Films zeigen", sagt Holz.

Kamerasammlung umfasst tausend Exponate

Eins der Highlights der Ausstellung: Ein Treppenhaus in Form einer historischen Plattenkamera.
Eins der Highlights der Ausstellung: Ein Treppenhaus in Form einer historischen Plattenkamera.  © Waltraud Grubitzsch/dpa

Beispielsweise die gewaltige Begießmaschine aus den 1930er Jahren, die Holz und Sachenbacher zufolge schon zu DDR-Zeiten kein Rückgrat der Produktion mehr war. "Für Versuche wurde sie allerdings immer noch genutzt. Das hat die Maschine für die Nachwelt erhalten und sie gerettet", sagt Sachenbacher. "Mit ihr wurden die Emulsionsschichten auf den Film aufgetragen."

Die größte öffentlich zugängliche Kamerasammlung in Sachsen-Anhalt umfasst gut tausend Exponate und ist bei Fotofreunden ein sehr beliebter Ort.

Dank der Sanierung und des Umbaus, zu dem auch ein neues Treppenhaus und neue Veranstaltungs- und Depoträume gehören, schauen der Museumsleiter und sein Vorgänger optimistisch in die Zukunft des Spartenhauses. "Wir sprechen ein viel größeres Publikum an und legen in der musealen Königsdisziplin der Vermittlung noch eine Schippe drauf", sagt Holz.

Es sei wichtig "Relevanz zu erzeugen". "Filmfabrik Wolfen bedeutet eben auch Farben, Fasern und Forschung. Das war viel zu lange unbeachtet. Das hat einige Menschen, die hier gearbeitet haben, auch wütend gemacht. Immer nur Film, Film, Film. Und das haben sie auch so geäußert."

Vor der Schließung im Frühjahr 2020 zählte das von einem Verein gegründete und im Dezember 1993 eröffnete Museum bis zu 10.000 Besucherinnen und Besucher im Jahr. 1998 wurde es vom Landkreis Anhalt-Bitterfeld aus der Vereinsträgerschaft übernommen.

Eine Handvoll Festangestellte kümmern sich um den Betrieb, der in Zukunft mit mehr Sonderausstellungen und Veranstaltungen glänzen soll.

Neben dem Eingang zum Industrie- und Filmmuseum Wolfen steht als "Wahrzeichen" der haushohe Zellulosekocher neben dem denkmalgeschützten Backsteinbau.
Neben dem Eingang zum Industrie- und Filmmuseum Wolfen steht als "Wahrzeichen" der haushohe Zellulosekocher neben dem denkmalgeschützten Backsteinbau.  © Waltraud Grubitzsch/dpa

Das Industrie- und Filmmuseum Wolfen ist neben der Baggerstadt Ferropolis ein sogenannter Ankerpunkt auf der Europäischen Route der Industriekultur in Sachsen-Anhalt und Teil der Initiative "FrauenOrte".

Den Initiatoren zufolge wurden Frauen in der Filmfabrik Wolfen vor allem bei der Konfektionierung der Filme und in der Chemiefaserherstellung eingesetzt. In den 1980er Jahren galt der Betrieb mit mehr als 8000 Mitarbeiterinnen als größter Frauenbetrieb in der DDR.

Titelfoto: Bildmontage: Waltraud Grubitzsch/dpa

Mehr zum Thema Sachsen-Anhalt: