Ein Dresdner fährt Hilfsgüter in die Ukraine: Einmal Krieg und wieder zurück

Dresden - Extrem-Radler, Filmemacher, Unternehmer - und ehemaliger Morgenpost-Reporter: Langweilig war das Leben von Markus Weinberg (38) in den vergangenen Jahren nie. Und doch blieb immer auch Zeit für soziales Engagement. In dieser Woche fuhr der Dresdner mit einem Hilfskonvoi in die Westukraine. Hier sein Bericht.

Redakteur Markus Weinberg wollte die Spendenaktion nur dokumentieren, unterstützte dann aber spontan selbst. Hier steht er am Krankenhaus in Lwiw vor den mitgebrachten Spenden.
Redakteur Markus Weinberg wollte die Spendenaktion nur dokumentieren, unterstützte dann aber spontan selbst. Hier steht er am Krankenhaus in Lwiw vor den mitgebrachten Spenden.  © Markus Weinberg

Fliegeralarm, Straßensperren und Hilfsgüter. Die Fahrt in die westukrainische Stadt Lwiw (Lemberg) wird zu einer Grenzerfahrung.

Mit meinem 9-Sitzer Bus, vollbeladen mit medizinischen Hilfsgütern, stehe ich mit zwei weiteren Fahrzeugen an der polnisch-ukrainischen Grenze, um einen Hilfsaufruf von Freunden nicht nur zu begleiten, sondern auch zu unterstützen.

Den Kliniken in Lemberg fehlten vor allem verschreibungspflichtige Medikamente wie Schmerzmittel, Antibiotika, wundstillende Mittel, Operationsmaterialien wie Kochsalzlösungen, Kanülen etc. Kurzerhand startete ich selbst einen Spendenaufruf über die Sozialen Medien, um weitere Medizin zu erwerben.

Höchste Beschäftigungsquote in Sachsen: Wirtschaftsminister Dulig singt Loblied auf die Teilzeit!
Sachsen Höchste Beschäftigungsquote in Sachsen: Wirtschaftsminister Dulig singt Loblied auf die Teilzeit!

Erfolgreich: Binnen weniger Stunden kamen über 4000 Euro zusammen. Die Dresdner Hilfsorganisation Mission Lifeline wickelte die Geldspenden ab, Sanitätshäuser brachten Schienen, Verbandsmaterialen etc. und die Dresdner International School Kisten voller Artikel wie Desinfektionsmittel, Hygieneartikel und Windeln.

Keine 24 Stunden später fahren wir auf der Autobahn A4 durch Polen. Ausgestattet mit einer Sondergenehmigung der Lwiwer Regionalverwaltung verläuft die Grenzüberfahrt problemlos.

Der Initiator der privaten Spendenaktion, Matthias Wagner, mit einer Mitarbeiterin der unterstützenden "Pluspunkt Apotheke" aus Görlitz.
Der Initiator der privaten Spendenaktion, Matthias Wagner, mit einer Mitarbeiterin der unterstützenden "Pluspunkt Apotheke" aus Görlitz.  © Markus Weinberg

Sandsäcke, Betonquader und Panzersperren zeugen vom Krieg

Lwiw ist voller Flüchtender aus der Ostukraine wie auch das Hotel "Terminal A" in einem Vorort der Stadt. Die Menschen rücken zusammen.
Lwiw ist voller Flüchtender aus der Ostukraine wie auch das Hotel "Terminal A" in einem Vorort der Stadt. Die Menschen rücken zusammen.  © Markus Weinberg

Die erste Nacht auf ukrainischer Seite verbringen wir mit etwa 50 Geflüchteten in einer Hotellobby auf Matratzen - alles rutscht zusammen. Beim Kaffee hören wir Geschichten aus Charkiw, Sumy, Mariupol oder Kiew.

Yurba zeigt mir ein Video, wie um seine Wohnung in Kiew die Bomben einschlagen und die Zerstörungen im Nachgang. Sichtlich geschockt hat er an der polnischen Grenze für seine Familie ein überteuertes Apartment gemietet - er darf wie alle Männer zwischen 18 und 60 Jahren das Land nicht verlassen.

Wer die Innenstadt erreichen möchte, passiert zahlreiche militärische Checkpoints. Noch wird hier nicht gekämpft, doch die Sandsäcke, Betonquader, Panzersperren und zahlreiche bewaffnete Einheiten zeugen von dem näher rückendem Krieg.

Giftige Chemikalien ziehen vom Acker direkt in sächsische Kita: Acht Verletzte!
Sachsen Giftige Chemikalien ziehen vom Acker direkt in sächsische Kita: Acht Verletzte!

Jedes Auto wird von Männern in gelben Westen gestoppt und in Augenschein genommen, stichprobenartig kontrolliert, wie auch unser Konvoi aus drei Bussen, voll beladen mit medizinischen Hilfsgütern. Fotografieren? Streng verboten!

Wir werden Zeuge, wie sich eine Stadt verschanzt und auf einen möglichen Angriff vorbereitet. Noch ist es privaten Helfer möglich, über die polnisch-ukrainische Grenze zu fahren und Lieferungen direkt in die Ukraine zu bringen.

Vor allem Lemberg hat sich zu einem Umschlagplatz entwickelt - für Flüchtende Richtung Polen und Deutschland in die eine Richtung, für Hilfslieferungen in die andere.

Der Haupbahnhof in Lwiw. Ab hier fahren kostenlose Züge und Busse nach Polen. Zwei Männer sorgen mit Klavier und Gesang für bessere Stimmung.
Der Haupbahnhof in Lwiw. Ab hier fahren kostenlose Züge und Busse nach Polen. Zwei Männer sorgen mit Klavier und Gesang für bessere Stimmung.  © Markus Weinberg

Auf dem Weg zum Krankenhaus bricht Fliegeralarm los

Lwiw bereitet sich auf seine Verteidigung vor. Nahezu an jedem Kilometer gibt es Checkpoints.
Lwiw bereitet sich auf seine Verteidigung vor. Nahezu an jedem Kilometer gibt es Checkpoints.  © Markus Weinberg

Wir holen in der Stadt unsere Übersetzerin Irina ab. Sie ist sichtlich aufgewühlt. Mit ihrem Mann und den Kindern hat sie sich nach Lwiw in Sicherheit bringen wollen. Doch letzte Nacht fielen auch hier in benachbarten Städten Bomben.

Wir selbst hatten in der Hotellobby davon noch nichts mitbekommen. Wir werden sie am Ende des Tages mit ihren Kindern mit in Sicherheit nehmen. Doch erst mal bricht sie mit uns auf Richtung Krankenhaus. Nachdem wir mehrere Checkpoints passiert haben, bricht Fliegeralarm los. Militärische Flugzeuge überfliegen unsere Köpfe. Der Krieg ist nun nicht mehr fiktiv. Er ist da. Auch für uns.

Vor Ort erklärt der Herzchirurg Oleksiy Myshakivsky von der Regional-Klinik Lemberg: "Das größte Problem, das wir an den Lwiwer Krankenhäusern haben, ist die Menge der Flüchtlinge. Mehr als 300.000 Menschen sind nun zusätzlich in der Stadt, darauf waren wir nicht vorbereitet. Unsere Vorräte gehen zur Neige."

Er erzählt davon, wie die Krankenhäuser sich untereinander aushelfen und Medikamente in umkämpfte Städte wie Charkiw, Sumy oder Kiew weiterversandt werden. Zweimal am Tag bringen sie die Patienten während des Fliegeralarms in die Keller.

Er selbst hat seit Beginn des Krieges nahezu 24 Stunden täglich gearbeitet. Sein Chef Mykhaylo Hychka erklärt, dass die Lieferkette für verschreibungspflichtige Medikamente unterbrochen ist. "Die größte Fabrik für Medikamente stand in Charkiw - und existiert nicht mehr."

Flüchtende kommen auf der polnischen Seite der Grenze an und steigen in Busse, die sie in Notunterkünfte bringen.
Flüchtende kommen auf der polnischen Seite der Grenze an und steigen in Busse, die sie in Notunterkünfte bringen.  © Markus Weinberg
Übersetzerin Irena Lesiv ist mit ihrer Familie aus Kiew geflohen und wähnte sich in Lwiw in Sicherheit. Am Abend ist sie mit ihren Kindern mit nach Polen geflohen.
Übersetzerin Irena Lesiv ist mit ihrer Familie aus Kiew geflohen und wähnte sich in Lwiw in Sicherheit. Am Abend ist sie mit ihren Kindern mit nach Polen geflohen.  © Markus Weinberg

Auf der Rückfahrt nach Dresden ruft Mission Lifeline an

Mykhaylo Hychka (r.) und Chirurg Oleksiy Myshakivsky vom Kommunalen Krankenhaus Lwiw bei einem Videocall mit einer niederländischen Hilfsorganisation.
Mykhaylo Hychka (r.) und Chirurg Oleksiy Myshakivsky vom Kommunalen Krankenhaus Lwiw bei einem Videocall mit einer niederländischen Hilfsorganisation.  © Markus Weinberg

Spenden aus dem Ausland sind schwer zu bekommen, da Medikamente nicht so einfach gekauft werden können. Auch wir mussten in Deutschland erst ein blaues Rezept für Praxisbedarf organisieren, bevor wir die Medikamente von einer Apotheke erhalten konnten.

An dringend notwendige Betäubungsmittel wie Morphium sind aber auch wir nicht gelangt. Herr Hychka gibt uns eine Liste mit, auf dem das Notwendigste steht. Und hofft, dass wir wiederkommen.

Wir fahren zum Hauptbahnhof Lemberg: beheizte Zelte, Feuertonnen, Essensausgaben. Lange Schlangen an den Schaltern und den Zügen Richtung Polen. Auf dem Vorplatz verweisen Schilder auf kostenlose Bussen Richtung Grenze.

An einem Klavier am Bahnhofseingang sitzt ein Mann und spielt. Über Mikrofone werden kostenfreie Autofahrten Richtung, Polen und Deutschland angeboten. Auch wir stellen unsere Sitzplätze zur Verfügung und bringen Flüchtende mit nach Dresden.

Auf der Rückfahrt nach Deutschland läuft mein Telefon heiß. Mission Lifeline will die praktischen Erfahrungen meiner "Testfahrt" nutzen: Schon nächste Woche sollen große Medikamentenlieferungen losgeschickt werden. Nötig sind sie allemal.

Titelfoto: Bildmontage: Markus Weinberg

Mehr zum Thema Sachsen: