"Fördermittel-Wahnsinn"! Zorniger Bürgermeister will jetzt klagen

Leipzig - Statt des erhofften Wumms gab es nicht mal ein laues Lüftchen: Kurz vor Pfingsten ließ Finanzminister Hartmut Vorjohann (59, CDU) die Verhandlungen für die Finanzierung der notleidenden Kommunen platzen. Dabei hatte Ministerpräsident Michael Kretschmer (48, CDU) noch im April einen dreistelligen Millionenbetrag in Aussicht gestellt.

Grimmas Bürgermeister Matthias Berger (55, parteilos) hat die Faxen langsam dicke - überall fehlen Fördergelder.
Grimmas Bürgermeister Matthias Berger (55, parteilos) hat die Faxen langsam dicke - überall fehlen Fördergelder.  © Ralf Seegers

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass einigen Bürgermeistern die Hutschnur platzt. Grimmas OB Matthias Berger (55, parteilos) prangert jetzt mit scharfen Worten den ineffektiven "Fördermittel-Wahnsinn" an, Amtskollegen stimmen ihm zu.

Dem Stadtchef von Sachsens viertgrößter Gemeinde (nach Fläche) flatterten seit Anfang des Jahres ungewöhnlich viele Absagen zu Fördermitteln auf den Schreibtisch.

Berger: "Bisher kam wenig, aber dieses zumindest kontinuierlich. Es gab ein gewisses Kontingent, mit dem man rechnen konnte." Das habe sich nun geändert. "In diesem Jahr erreichte der Fördermittelwahnsinn seinen Höhepunkt. So eine Häufung an Ablehnungen gab es noch nie."

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Das bedeutet, dass in Grimma derzeit vier komplett durchgeplante Millionen-Projekte auf Eis liegen: der geplante Kindercampus in Mutzschen, ein Schulerweiterungsbau in Hohnstädt, die Entlüftungs-Anlage in der Grundschule "Bücherwurm" und die Sanierung der 120 Jahre alten und denkmalgeschützten Sporthalle in Nerchau.

"Wir reden hier nicht über Spaßeinrichtungen und Luxus. Es geht um Schulen und Infrastruktur", macht sich das Stadtoberhaupt Luft.

Stadt beantragt seit 2020 Förderung für Sporthalle

Finanzminister Hartmus Vorjohann (59, CDU) macht nicht so viel Geld locker, wie von den Kommunen gewünscht.
Finanzminister Hartmus Vorjohann (59, CDU) macht nicht so viel Geld locker, wie von den Kommunen gewünscht.  © Petra Hornig

Trauerspiel und Posse zugleich ist die Sanierung der Sporthalle.

Dieser Bau aus der Kaiserzeit ist komplett ausgebucht - Schulsport, Fußball, Kunstradler und viele weitere Vereine haben hier ihr Zuhause. Der Dachstuhl ist marode, Fassade, Fenster, Hallendecke und Sportboden müssen ausgetauscht werden. Ein verschlissener Sanitärtrakt aus den 1960er-Jahren benötigt Ersatz. Knapp 100.000 Euro investierte die Stadt in die Sanierungsplanung und beantragte 2020 knapp drei Millionen Euro Fördermittel.

Die Sächsische Aufbaubank nahm den Antrag für 2021 nicht in ihr Programm auf, die Wiederholungsanträge für 2022 und 2023 ebenfalls nicht. Dann die komplette Absage: Es werden nur noch Vorhaben gefördert, die teurer als sechs Millionen sind. Diese Anweisung kam vom Kultusministerium, weil nur ein Sechstel der benötigten Summe für alle Anträge im Topf ist. Der Sächsische Städte- und Gemeindetag kritisierte dies vehement, blieb jedoch ungehört.

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Die Bank verwies auf das Förderprogramm, das abgelehnte Anträge auffangen soll. Bei diesem stehen für den Landkreis Leipzig nur 6,5 Millionen Euro zur Verfügung - und hier warten bereits dutzende Anträge der anderen Gemeinden. Ist dieses Geld aufgeteilt, ist wieder der Bund zuständig - doch da gilt die Sechs-Millionen-Regel der Sächsischen Aufbaubank.

Inzwischen würde die Sanierung wegen der Inflation etwa 3,8 Millionen Euro kosten ...

Intransparente Bewilligungsroutinen, undemokratische Vergabe

Die Turnhalle Nerchau: von außen hui, von innen "na ja".
Die Turnhalle Nerchau: von außen hui, von innen "na ja".  © Ralf Seegers

Man wird also ergebnislos von Pontius zu Pilatus geschickt. Matthias Berger: "Aktuell stehen wir wie Bettler da. Und zwar um Geld, das für ureigenste kommunale Aufgaben, wie etwa Schulen und Straßenbeleuchtung, zwingend notwendig ist. Bei Förderprogrammen müssen wir nach der berühmten Nadel im Heuhaufen suchen, ohne zu wissen, ob es sie überhaupt gibt."

Die Bewilligungsroutinen sind intransparent, die Vergabe mitunter undemokratisch. Auch die Stadt Eilenburg (Nordsachsen) kämpfte drei Jahre um den dringend notwendigen Erweiterungsbau der Oberschule. Bei einer Gesprächsrunde gab der Ministerpräsident dem Bürgermeister die Zusage, dass er sich persönlich kümmern werde, was er auch tat - plötzlich waren die Mittel kurzfristig da. Eilenburgs Bürgermeister Ralf Scheler (59, parteilos): "Ein solches Vorgehen charakterisiert die Untauglichkeit und Unfähigkeit dieses Systems."

Und Scheler setzt nach: "Der Fördermittelwahnsinn beginnt schon mit der undurchdringlichen Anzahl fördermöglicher Vorhaben. Und was fast allen Programmen gemeinsam ist: Sie sind völlig überzeichnet, als dass die Mittel ausreichend für die Masse notwendiger landesweiter Vorhaben ist."

Er prangert auch an, dass sich unzählige Behörden und Abteilungen mit jedem einzelnen Antrag beschäftigen. Scheler: "Abgesehen von den unerträglichen Bearbeitungszeiten halte ich das für Ineffizienz in Potenz! Diese Bearbeitungsweise erscheint mir ökonomisch unhaltbar, denn die Kosten überschreiten nach meinem Ermessen den Wert des erreichten Ergebnisses."

Grimma verklagt Bundesrepublik auf Schadenersatz

Die "Bücherwurm"-Schule bekommt vorerst keine Entlüftungsanlage.
Die "Bücherwurm"-Schule bekommt vorerst keine Entlüftungsanlage.  © Ralf Seegers

Amtskollege Maik Kunze (57, CDU) aus Groitzsch (Leipziger Land) pflichtet bei: "Wenn man uns Pflichtaufgaben wie Kindergärten oder Feuerwehr aufdrückt, dann soll man uns dafür auch die uns zustehenden Mittel geben. Der Steuerzahler wohnt nicht in Ministerien oder Behörden, sondern bei uns in den Städten und Gemeinden. Ich versichere, wir Kommunen bekommen das besser hin."

Zurück nach Grimma und zur Belüftungsanlage der Grundschule Bücherwurm. Der Bund hatte im April 2022 für die 400.000 Euro teure Maßnahme 320.000 Euro Förderung zugesagt. Wegen der weltweiten Lieferengpässe für Steuer- und Regeltechnik konnten die Arbeiten aber nicht in den Herbstferien ausgeführt werden - und im Dezember endete die Bewilligungsfrist.

Die beantragte Maßnahmenverlängerung - Einbau während der Sommerferien 2023 - wurde vom Fördermittelgeber nicht akzeptiert. Auch der Widerspruch beim zuständigen Bundesamt wurde zurückgewiesen.

Jetzt informierte Bürgermeister Berger seinen Stadtrat über eine Eilentscheidung, dass die Stadt Grimma zum äußersten Mittel greift: "Wir verklagen die Bundesrepublik Deutschland auf Schadenersatz. Es lagen keinerlei Versäumnisse seitens der Stadtverwaltung vor."

Titelfoto: Montage: Ralf Seegers

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