Jagdfieber im afrikanischen Busch: Sächsischer Libellenforscher entdeckt an die 80 neue Arten

Taucha - Den großen Kescher immer in Griffweite strolcht Jens Kipping (57) durch das Gras an afrikanischen Flüssen und Sümpfen. Auf gelegentlich anzutreffende Krokodile oder Flusspferde muss er natürlich achten. Seine große Aufmerksamkeit aber gilt den bunt schillernden Libellen.

Jens Kipping (57) aus Taucha ist Experte für afrikanische Libellen. Viele Unterschiede lassen sich erst am Mikroskop erkennen.
Jens Kipping (57) aus Taucha ist Experte für afrikanische Libellen. Viele Unterschiede lassen sich erst am Mikroskop erkennen.  © Ralf Seegers

An der Entdeckung von knapp 80 bisher unbekannten Arten war er bereits beteiligt. Dabei lernte er zu DDR-Zeiten eigentlich etwas ganz anderes.

Am Abend eines Expeditionstages sitzt der Randleipziger in seinem Zelt und nimmt an den gefangenen Exemplaren die taxonomische Bestimmung vor. Er trocknet und präpariert sie und entnimmt auch eine genetische Probe.

Jens Kipping: "Wenn dann im Gebüsch Löwengebrüll ertönt, zuckt man als Europäer schon zusammen." Doch auf die Forschungsabenteuer mit Gleichgesinnten kann er nicht verzichten.

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Bereits als Jugendlicher begann er in der Freizeit mit feldornithologischen Forschungen an den Hasselbacher Teichen (bei Borna), arbeitete dann ehrenamtlich als Beringer für Brutvögel.

Das Fachabitur als Instandhaltungsmechaniker verbaute ihm allerdings den Berufsweg zum Biologiestudium - so waren damals halt die Regeln.

Erst als er schon Mitte 30 war, wurde an der Fachhochschule Bernburg ein Diplom-Studiengang "Naturschutz und Landschaftsplanung" etabliert. Kipping sah die Chance, sein geliebtes Hobby zum Beruf zu machen. Seither verdient der Diplomingenieur sein Geld vor allem mit Artenschutzgutachten.

Diese neu entdeckte Phyllomacromia-Libelle fand Kipping erst im Dezember in Sambia.
Diese neu entdeckte Phyllomacromia-Libelle fand Kipping erst im Dezember in Sambia.  © privat/Jens Kipping
Zehn Kilometer von der Quelle entfernt ist der Fluss Sambesi für die Feldarbeit geeignet.
Zehn Kilometer von der Quelle entfernt ist der Fluss Sambesi für die Feldarbeit geeignet.  © privat/Falk Petzold

Fähigkeiten der Libelle auch für Bionik interessant

Die "Drachenfliegen" - hier eine Aethriamanta - gibt es in unterschiedlich schillernden Farben.
Die "Drachenfliegen" - hier eine Aethriamanta - gibt es in unterschiedlich schillernden Farben.  © privat/Jens Kipping

Zum Experten für afrikanische Libellen wurde der Vogelfreund aber erst durch einen großen Zufall.

Während des Studiums erhielt er die Chance, als Praktikant bei einer Forschungsexpedition im Okavango-Delta (Botswana) mitzuwirken. Weil der Spezialist für Süßwassertiere und Libellen krankheitsbedingt ausfiel, übernahm Kipping. Und er entdeckte gleich eine bisher unbekannte Art.

So erwachte seine Faszination für diese "Drachenfliegen". Kipping: "Libellen sind groß genug, auffällig und damit gut zu beobachten - beim Jagen, Balzen, der Paarung oder beim Eierlegen. Und sie vollbringen mit ihren vier Flügeln, die sie unabhängig voneinander bewegen können, atemberaubende Flugleistungen."

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Sie sind nicht nur bis 50 Kilometer pro Stunde schnell, sondern können auch in der Luft stehen, Loopings drehen oder rückwärts fliegen.

Diese Wunderdinge interessieren auch Experten anderer Forschungsbereiche - etwa wie die Erkenntnisse aus der Natur für technische Fluggeräte genutzt werden können (Bionik).

Verblüffend ist, dass Libellen katapultartig mit 30-facher Erdbeschleunigung (30 g) losschießen können - ein Eurofighter schafft nur 9 g. Unglaublich auch, dass dabei der schwere Kopf nicht abreißt. Denn da sind 30.000 Facetten-Augen platziert, denen nichts entgeht.

Der Kescher ist immer dabei, wenn der Forscher durch die Sümpfe streift.
Der Kescher ist immer dabei, wenn der Forscher durch die Sümpfe streift.  © privat/Falk Petzold

Libellenforscher benannte neue Art nach Pink Floyd-Album

Im Feldlager der Libellen-Forscher werden bereits erste Laborarbeiten vorgenommen.
Im Feldlager der Libellen-Forscher werden bereits erste Laborarbeiten vorgenommen.  © privat/André Günther

Jens Kipping interessiert vor allem die Artenvielfalt und deren Klassifizierung. Deutschland jedoch ist mit seinen 81 Arten abgegrast.

Bei Leipzig fand er immerhin die "Kleine Zangenlibelle", die bereits seit 100 Jahren nicht mehr nachgewiesen wurde. Wirklich neue Arten entdeckt man noch in Südostasien oder Südamerika - und eben in Afrika.

So sorgte Kipping vor acht Jahren für ein großes Blätterrauschen in der Fachpresse. Gemeinsam mit einem französischen und einem niederländischen Expeditionskollegen beschrieb er gleich 60 bis dahin noch unbekannte Libellenarten von diesem Kontinent - etwa aus Sambia, Liberia und Gabun.

Somit wuchs die afrikanische Libellenwelt auf einen Schlag von 700 auf 760 Arten. Einem herrlichen Exemplar gab Kipping den Namen "Ummagumma" nach einem Album von Pink Floyd - die Prachtlibelle wurde 2016 zu den Top 10 der neu entdeckten Tierarten gewählt. Etwas später war er dann an der Entdeckung weiterer 15 Arten in Angola beteiligt.

Erst daheim erfolgt die detaillierte Bestimmung der Art. Kipping: "Bei afrikanischen Libellen genügt die Untersuchung mit der Lupe oft nicht, da muss schon das Mikroskop heran." Von Taucha aus führt er auch die mit 150.000 Datensätzen gefüllte Datenbank zu afrikanischen Libellen, auf welche die spezialisierten Forscher zugreifen.

Liebesleben an fernen Ufern: Die Libellen-Art Nesciothemis farinosa bei der Paarung - als Fotograf braucht man Geduld und Glück.
Liebesleben an fernen Ufern: Die Libellen-Art Nesciothemis farinosa bei der Paarung - als Fotograf braucht man Geduld und Glück.  © privat/Jens Kipping

Seine Erstentdeckungen hängt er natürlich nicht wie Jagdtrophäen an die Wand. Auch das Prachtexemplar der Phyllomacromia-Libelle, die er im vorigen Jahr in Sambia fand, wird als Referenzobjekt in das darauf spezialisierte Naturkundemuseum nach Leiden (Niederlande) gehen und ist dort Forschern für vergleichende Studien zugänglich.

In diesen Tagen ist Kipping erneut in Sambia unterwegs, der Chief eines Nationalparks hat ihn in das Forschungscamp Kalwelwa nahe der Grenze zum Kongo eingeladen. Kipping frohlockt: "Diese Gegend ist für Libellenforscher noch völlig unbekanntes Terrain. Vielleicht komme ich hier der dreistelligen Zahl von neu entdeckten Arten schon ein kleines Stück näher."

Titelfoto: Bildmontage: Ralf Seegers, privat/Jens Kipping

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