Bürger genervt! Obstfirma schießt mit Kanone auf Hagel

Leisnig - Am heutigen Samstag drohen in Mittelsachsen wieder Gewitter. Doch den ersten Donner dürften die Bewohner um Leisnig von unten hören. Denn die Obstland Dürrweitzschen AG betreibt auf ihren Plantagen sechs Hagelschutzkanonen. Sie sollen schlimmen Hagel verhindern. Doch nachts verhindern sie vor allem den Schlaf der Anwohner.

Im Mai verhagelte das Wetter die Ernte - trotz Hagelschutzkanone.
Im Mai verhagelte das Wetter die Ernte - trotz Hagelschutzkanone.  © PR

Mit lautem Knall lassen die Kanonen Gas explodieren. Durch ein Rohr entweicht gepresste Luft. Sie soll Gewitterwolken verwirbeln und die Bildung großer Hagelkörner verhindern. Für die Wissenschaft ist das Unfug.

Michael Schreiber (65), Physik-Professor an der TU Chemnitz, sagt:

"Es ist unmöglich, dass eine solche Kanone bis zur vier Kilometer hohen Gewitterwolke reicht. Ein Hagelkorn würde nur mit den Schultern zucken. Das ist eine unsinnige Lärmbelästigung der Bevölkerung." Dem stimmt Meteorologe Jörg Kachelmann (60) zu. Er schrieb auf Twitter zu Leisnig: "Völliger Schwachsinn."

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Anwohnerin Gitta Grasselt-Dehmelt (51) ist empört: "Nachts fällt man bei dem Lärm aus dem Bett. Für die Tiere muss es noch schlimmer sein." Andrea Mücke (57) aus Böhlen schrieb sogar einen Protestbrief an die Stadt Grimma: "Das ist sinnloser Lärm ohne Einfluss auf den Hagel."

Dem widerspricht Bürgermeister Tobias Goth (46, CDU): "Nur wenige beschweren sich über den Lärm. In der Wirkung vertraue ich auf das Unternehmen." Auch Obstland-Vorstand Mathias Möbius (40) wehrt sich gegen Kritik: "Der Hersteller der Kanonen sagt, dass es funktioniert. Wenn sie nicht funktionierten, gäbe es sie nicht. Bei Lärmbeschwerden gehen wir auf die Bürger zu."

Hagel und Kanonen: Ein Kommentar von Bernd Rippert

In Leisnig schießt eine Obstbaufirma mit Luftkanonen auf Gewitterwolken, um die Bildung großer, gefährlicher Hagelkörner zu verhindern. Wie bitte? Leben wir in der Zeit des Aberglaubens?

Die Menschheit versucht seit Jahrtausenden, das Wetter zu beeinflussen. In der Antike mit Blutopfern, im Mittelalter mit Gebeten und seit einigen Jahrzehnten mit Hagelflugzeugen oder Hagelkanonen. All diese Methoden haben eines gemeinsam: Sie haben keinen Einfluss aufs Wetter.

Darin ist sich die Wissenschaft einig. Eine Luftkanone am Boden kann keine Gewitterwolke erreichen, sie gar verwirbeln und Hagelkörner beeinflussen. Die Wolke ist zu hoch und zu mächtig.

Das ist nichts als Geschäftemacherei mit Landwirten, die sich zu recht Sorgen um ihre Ernte machen. Die Obstbauern in Dürrweitzschen sollten auf die Wissenschaftler hören und das Kanonenfeuer einstellen - schon allein, um den Schlaf der Nachbarn nicht länger zu stören.

Einige Anwohner behaupten, dass die Hagelkanonen den Regen über Leisnig verhindern. Deshalb sei es dort so trocken. Falsch, die Kanonen beeinflussen weder Hagel noch Regen.

So sieht die Hagel-Kanone aus. Bei Gewitter schießt sie alle paar Sekunden Luft zum Himmel.
So sieht die Hagel-Kanone aus. Bei Gewitter schießt sie alle paar Sekunden Luft zum Himmel.  © Ralf Seegers/PR
Andrea Mücke (57) beklagt sich - wie viele - über den Kanonen-Donner.
Andrea Mücke (57) beklagt sich - wie viele - über den Kanonen-Donner.  © Norbert Neumann

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