Sachse schafft den Absprung: Erst half ihm Crystal durch den Tag, dann wurde es zur Hölle

Adorf - Experten schlagen Alarm: Nach Alkoholmissbrauch steht der Konsum von Crystal Meth weiter an zweiter Stelle der sächsischen Drogenstatistik, gefolgt von Cannabis. Der Freistaat unterstützt Präventionsprogramme mit Millionen. Doch das Crystal-Problem bleibt - vielleicht auch wegen der Grenzlage Sachsens und damit schneller Beschaffungsmöglichkeit aus den Crystal-Küchen in Tschechien. Hinter jeder Zahl in der Statistik steckt ein Schicksal. Wir geben einem Süchtigen ein Gesicht, der der Crystal-Hölle entkommen konnte.

Erst zerkleinert, dann geschnieft: Mit diesem Rohr aus dem Baukasten seines Modellbau-Hobbys zog Daniel Menz das Crystal Meth ein.
Erst zerkleinert, dann geschnieft: Mit diesem Rohr aus dem Baukasten seines Modellbau-Hobbys zog Daniel Menz das Crystal Meth ein.  © Uwe Meinhold

Am Ende kam alles zusammen. Nach 18 Jahren in der Firma wurde der Abwassermeister Daniel Menz (41) in seinem Entsorgungsunternehmen plötzlich versetzt. "Statt wie sonst mit Leuten, als Dozent und meist draußen zu arbeiten, sollte ich plötzlich am Computer sitzen und ein Datenbanksystem mit vielen Kinderkrankheiten aufbauen. Ich kam mit den unbekannten Problemen, aber auch mit dem Leerlauf nicht klar, nichts Produktives zu leisten."

Zu Hause kam der Stress beim Bau des Eigenheims dazu. Eine Abmahnung wegen einer Lappalie brachte das Fass schließlich zum Überlaufen und machte ihn zum Junkie. Bis dahin lebte Menz aus der 5000-Seelen-Kleinstadt Adorf im Vogtland ein Bilderbuchleben: glücklich verheiratet, zwei Kinder.

"Ich besaß Haus, Hof und einen Traktor", sagt er. In seiner Freizeit ging er zum Kraftsport, baute Modellflugzeuge und schnitzte Holzfiguren mit der Kettensäge. Er raucht nicht, mag kein Bier.

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Er hatte sogar schon Freunde an die verloren, die LSD- oder Crystal-süchtig waren. Doch dann wurde er es selbst.

Heiße Ware wurde heimlich übergeben

Ehefrau Stephanie Menz (34) entwickelte eine Co-Abhängigkeit: "Ich litt unter Schlafstörungen, wurde depressiv und wollte meinen Mann mit den Kindern verlassen."
Ehefrau Stephanie Menz (34) entwickelte eine Co-Abhängigkeit: "Ich litt unter Schlafstörungen, wurde depressiv und wollte meinen Mann mit den Kindern verlassen."  © Uwe Meinhold

Seine erste Line vergisst er nie. "Es war vor sieben Jahren auf einer Party unter Freunden, bei der plötzlich ein dubioser Mann auftauchte." Er dealte mit der Droge, war schnell wieder verschwunden.

Der gerade arg frustrierte Menz war neugierig auf den verbotenen Reiz. Seine Freunde animierten ihn: "Du trinkst doch kein Bier, versuch's mal damit!"

Die Wirkung setzte schnell ein. "Erst brennt es in der Nase wie Meerrettich, nur zehnmal stärker. Dann ist man stundenlang hellwach." Er wurde extrem leistungsfähig - überdreht bis zum Umfallen. "Ich hackte zum Beispiel stundenlang Holz - auch noch, als es längst dunkel war - und kaufte schließlich eine Flutlichtanlage, damit ich auch nachts weiter hacken konnte."

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Das Crystal-Ziehen zelebrierte er wie Weintrinker, die ihre edelsten Tropfen aus einem Dekanter eingießen. Bei Menz waren das Weihe-Equipment eine Fliese, Klarsichtfolie, ein Metallröhrchen aus seinem Modellbaukasten und eine abgelaufene Kreditkarte - alles fein säuberlich in seiner Werkstatt versteckt. "Mit dem Metallröhrchen zerdrückte ich die Kristalle unter der Folie auf der Fliese, legte mit der Geldkarte eine etwa 3 Millimeter breite Line zum Schnupfen durch die Nase."

Durch die Droge erhöht sich der Herzschlag, die Pupillen erweitern sich, man schwitzt und der Schweißgeruch ändert sich. Trotzdem blieb seine Sucht unbemerkt. "Sogar meiner eigenen Frau, die jede Nacht neben mir schlief, blieb sie verborgen."

Die heiße Ware wurde heimlich übergeben, wobei der Stoff wie im Krimi den Besitzer wechselte. "Einmal wurde das Crystal Meth in einen toten Briefkasten gesteckt, ein anderes Mal sollte es unter einen bestimmten Stein in unserem Steingarten gelegt werden", enthüllt Menz. "Auch vorm Supermarkt habe ich mich persönlich mit meinem Dealer getroffen." Oder er legte das Päckchen auf einen Reifen unter den Kotflügel seines Wagens.

Jede Woche 250 Euro für Drogen

Der Stoff, der Freundes- und Kollegenkreise zerstört sowie Ehen zerrüttet: weiße Meth-Kristalle in einer Tüte frisch vom Dealer.
Der Stoff, der Freundes- und Kollegenkreise zerstört sowie Ehen zerrüttet: weiße Meth-Kristalle in einer Tüte frisch vom Dealer.  © David Ebener/dpa

Die Handyverbindung zu seinem Beschaffer wurde zur Standleitung. "Zum Schluss brauchte ich zwei bis dreimal am Tag den Kick, schnupfte drei Gramm in der Woche", gesteht Menz. Bei einem Grammpreis von rund 80 Euro eine teure Angewohnheit. Menz: "Jede Woche brauchte ich 250 Euro!"

Die fehlenden 1000 Euro im Monatsbudget vertuschte er, indem er sie als Material- und Werkzeugkäufe für den Hausbau ausgab. Er rutschte in den Dispo, verlor fast das Haus.

"Crystal hat auch mein Gefühlssystem außer Kraft gesetzt, unterdrückte Emotionen. Ich habe nicht gemerkt, wie ich langsam zum A...loch mutierte, fuhr schnell aus der Haut, wurde ausfallend und aggressiv." Zum Abreagieren von Ärger und Frust brauchte er wieder eine Line.

Erst ein Zufall stoppte diesen Teufelskreis: "Auf einer Schulanfangsfeier erfuhr meine Frau von einem Bekannten von meiner Sucht. Ich war nicht dabei, lag wieder mal völlig erschöpft auf dem Sofa."

Zu Hause stellte sie ihn zur Rede. Menz gestand unter Tränen sein Doppelleben mit der Droge.

Ehefrau stellte Ultimatum

Während der Sucht hatte Daniel Menz (41) einen Schutzengel. Nachdem er sie überwunden hatte, schnitzt er jetzt wieder.
Während der Sucht hatte Daniel Menz (41) einen Schutzengel. Nachdem er sie überwunden hatte, schnitzt er jetzt wieder.  © Uwe Meinhold

Seine Frau stellte ihm ein Ultimatum: "Ich sollte meinen Eltern reinen Wein einschenken, die Sucht dem Hausarzt beichten - und sie sprach ein sofortiges Sex-Verbot aus."

Seit diesem Tag im August 2019 ist Menz clean - ohne Aufenthalt in einer Entzugsklinik, ohne Entzugserscheinungen, ohne Rückfall. Er setzte alle Auflagen seiner Frau um, durfte sie geläutert nach sechs Wochen auch wieder berühren. "Zudem meldete ich mich bei unserer Selbsthilfegruppe an."

Sein Drogenbesteck hat er vernichtet. Sein starker Wille und Halt in Familie und durch Leidensgenossen bewahrten ihn vor Schlimmerem: "Ich hatte Glück, Psychosen und körperlicher Verfall blieben aus. Ich habe gelernt, Probleme zu lösen, statt daran kaputtzugehen."

Seine Ehefrau Stephanie (34) lobt ihn: "Heute bist du eine verbesserte Version deiner selbst."

Titelfoto: Uwe Meinhold

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