Pandemie verschärft die Lage: Immer mehr Sachsen hängen an der Flasche

Weinböhla - Ein Prosit der Gemütlichkeit! "Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren", sagt der Volksmund arglos und einladend. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Doch diese lockeren Sprüche haben längst ihre Harmlosigkeit verloren. Die Deutschen sind weltweit ziemlich führend, wenn es ums Trinken von alkoholischen Getränken geht. Gar mancher kommt "ohne" gar nicht mehr aus. Macht den Test: Habt Ihr Euren Alkoholkonsum noch im Griff?

Sven Kaanen (56) leitet als Chefarzt die Sucht-Klinik Weinböhla.
Sven Kaanen (56) leitet als Chefarzt die Sucht-Klinik Weinböhla.  © Norbert Neumann

Alkohol, Medikamente und illegale Drogen: Sven Kaanen (56) arbeitet tagtäglich mit Menschen, die gegen ihre Sucht kämpfen und den Weg zurück in ein zufriedenes, abstinentes Leben finden wollen.

Der Chefarzt der Fachklinik Weinböhla der Evangelischen Fachkliniken Heidehof sagt: "Seit Beginn der Corona-Pandemie ist der Absatz von Alkohol in Deutschland gewaltig gestiegen.

Wir spüren die Auswirkungen davon jetzt deutlich. Aktuell erleben wir eine drastische Zunahme bei den Alkohol-Abhängigkeiten. Außerdem hat sich die Rückfallrate bei Patienten mit diesem Suchtproblem fast verdoppelt."

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Laut dem sächsischen Sucht-Bericht 2020 sind Alkohol-bezogene Störungen die häufigsten Suchtdiagnosen in den Krankenhäusern (78 Prozent aller Suchtdiagnosen) und in den Suchtberatungsstellen (46  Prozent der Beratungen).

Die Pandemie verschärfte nun diese Situation. Vielen Menschen verloren ihren Halt und den Boden unter den Füßen, weil sie mit der Isolation, ihren Ängsten und mit dem Stress in Familie und Beruf nicht umzugehen wussten. So mancher griff zur Flasche, ertränkte Kummer und Sorgen in Schnaps, Wein, Bier.

Corona verschlimmert Suchtkrankheiten, aber es gibt Hilfe in Sachsen

Die evangelische Fachklinik Heidehof Weinböhla ist ein Unternehmen der Diakoniestiftung in Sachsen.
Die evangelische Fachklinik Heidehof Weinböhla ist ein Unternehmen der Diakoniestiftung in Sachsen.  © Norbert Neumann

Sven Kaanen zeigt dafür Verständnis: "Der Gebrauch von Suchtmitteln gehört zum Menschsein. Zudem gibt es in Deutschland eine gesellschaftliche Akzeptanz und Trinkkultur, die Alkoholmissbrauch nicht ächtet, sondern toleriert."

Als erfahrener Sucht-Mediziner warnt er aber auch vor den Gefahren, die diese berauschte Lebensart birgt: Bereits der regelmäßige Genuss von relativ kleinen Mengen Alkohol reiche aus, um psychisch rasch abhängig zu werden. Dr. Kaanen: "Wie anfällig ein Mensch für eine Suchterkrankung ist, hängt von seinen Genen, seiner körperlichen Konstitution und der psychischen Belastbarkeit ab."

Suchtkranke Menschen, die zu Beginn der Pandemie Hilfe suchten, hatten es schwer. Das Netzwerk der Berater, Therapeuten und Fachkliniken musste 2020 viel Mühe darauf verwenden, um unter Corona-Bedingungen effektiv arbeiten zu können. Rückschläge gab es dabei vor allem bei der Therapievermittlung (minus 12 Prozent im Vergleich zum Vorjahr).

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Chefarzt Sven Kaanen ist dennoch positiv gestimmt, wenn es um die Suchthilfe-Angebote im Freistaat geht. Er lobt: "In Sachsen laufen mit staatlicher Unterstützung viele Pilotprojekte, die zum Beispiel suchtkranken Eltern oder Haftinsassen Therapiemöglichkeiten eröffnen. Das ist absolut vorbildlich." Der Mediziner stellt fest: "Wer abhängig ist und Unterstützung beim Ausstieg will, bekommt die hier auch."

Wie stark Verlangen nach dem nächsten Schluck?

Alkohol ist eine Droge. Wenn sich das eigene Leben zunehmend um den Alkohol dreht, sollten bei jedem die Alarmglocken läuten, denn das ist ein Anzeichen für eine krankhafte Sucht.
Alkohol ist eine Droge. Wenn sich das eigene Leben zunehmend um den Alkohol dreht, sollten bei jedem die Alarmglocken läuten, denn das ist ein Anzeichen für eine krankhafte Sucht.  © 123RF/imago images

Ab wann ist man Alkoholiker? Diese Frage hat sich mancher vielleicht schon gestellt, nachdem er seine eigenen Trinkgewohnheiten kritisch betrachtet hat. Hier ein Test.

Solltet Ihr drei oder mehr Fragen mit "Ja" beantworten, liegt eine Alkoholabhängigkeit vor:

• Spürt Ihr häufig einen starken Drang, eine Art unbezwingbares Verlangen, Alkohol zu trinken?

• Kommt es vor, dass Du nicht mehr aufhören kannst zu trinken, wenn Du einmal begonnen hast?

• Trinkst Du manchmal morgens, um eine bestehende Übelkeit oder das Zittern (z. B. der Hände) zu lindern?

• Trinkst Du in den letzten Jahren zunehmend mehr Alkohol, um eine bestimmte (gewünschte) Wirkung zu erzielen?

• Änderst Du Tagespläne, um Alkohol trinken zu können, bzw. richtest den Tag so ein, dass Du regelmäßig Alkohol konsumieren kannst?

• Trinkst Du, obwohl Du weißt, dass der Alkoholkonsum bereits zu schädlichen körperlichen, psychischen oder sozialen Folgen geführt hat?

Indizien für Abhängigkeit und Statistik in Deutschland

Viele Alkoholabhängige versuchen zunächst, ihren Alkoholismus auf eigene Faust zu bekämpfen. Doch alleine ist es sehr, sehr schwer, eine Alkoholsucht zu überwinden.
Viele Alkoholabhängige versuchen zunächst, ihren Alkoholismus auf eigene Faust zu bekämpfen. Doch alleine ist es sehr, sehr schwer, eine Alkoholsucht zu überwinden.  © 123RF

Indizien für eine Abhängigkeit:

Das Auftreten von (nicht unbedingt körperlichen) Entzugserscheinungen. Ohne Alkohol geraten Körper und Psyche aus dem Lot. Bekannte Entzugserscheinungen sind Schlafstörungen, Schweißausbrüche, Zittern am Morgen, Brechreiz, Unruhe und Angst, depressive Verstimmungen, Krampfanfälle, Halluzinationen sowie das Delirium Tremens (schwere Störung von Wahrnehmung, Bewusstsein, Psyche).

Die Entzugserscheinungen klingen ab, sobald wieder Alkohol getrunken wird. Sie kehren zurück, wenn die Wirkung des Alkohols verfliegt. Alkohol wird in diesem Stadium der Abhängigkeit getrunken, um Entzugserscheinungen zu vermeiden.

Konsum geht zurück

Pro Jahr trinkt jeder Deutsche im Schnitt eine Badewanne voll alkoholischer Getränke. Die Bundesrepublik gilt als Hochkonsumland. 2019 nahm jeder ab 15 Jahren im Durchschnitt 10,9 Liter reinen Alkohols zu sich (OECD-Länderschnitt pro Kopf 8,9 Liter).

Eine gesellschaftliche Trendwende zeichnet sich aber ab: Der Alkoholkonsum in Deutschland sinkt seit Jahren. Immer weniger Menschen trinken regelmäßig Alkohol. Zudem nehmen die täglichen Alkoholmengen ab.

Titelfoto: Montage: Norbert Neumann, 123RF/imago images

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