Umweltschützer in Sorge! Jetzt trifft die Krise auch Kläranlagen

Sachsen - Das Thema mag mancher unappetitlich finden. Doch man muss darüber reden, denn es berührt Stadt, Land, Mensch und Tier gleichermaßen: Bundesweit ist in den Kläranlagen, salopp gesagt, die "K... am Dampfen", denn bestimmte Chemikalien zur Reinigung des Abwassers werden knapp. Das wiederum könnte zukünftig - auch in Sachsen - Auswirkungen auf Gewässer, Gebühren und Gesetze haben.

Blick auf die Kläranlage in Dresden-Kaditz. Die Stadtentwässerung Dresden wirkt über die Stadtgrenzen hinaus. Im Rahmen von Abwasserüberleitungen oder Betriebsführungen erreicht das Unternehmen 690.000 Kunden in der Region Ostsachsen.
Blick auf die Kläranlage in Dresden-Kaditz. Die Stadtentwässerung Dresden wirkt über die Stadtgrenzen hinaus. Im Rahmen von Abwasserüberleitungen oder Betriebsführungen erreicht das Unternehmen 690.000 Kunden in der Region Ostsachsen.  © PR/ Stadtentwässerung Dresden

Konkret gibt es Lieferengpässe bei sogenannten Fällmitteln. Es handelt sich dabei um Eisen- oder Aluminiumsalze, die normalerweise bei der chemischen Wasserreinigung im Abwasser gelöste Phosphate binden und damit verhindern, dass diese in hoher Konzentration in Flüsse gelangen.

Dazu muss man wissen: Phosphor ist nicht toxisch für Mensch und Umwelt. Er wirkt aber wie ein Dünger für Wasserpflanzen und Algen (Eutrophierung). Das üppig wachsendes Grün schürt in Gewässern die Gefahr, dass der Sauerstoffgehalt im Wasser so dramatisch abnimmt, dass Fische und andere Lebewesen absterben.

Fällmittel entstehen als Nebenprodukte in der Industrie - zum Beispiel bei der Herstellung von Lacken und Farben. In der Energiekrise drosseln jetzt viele Fabriken ihre energieintensive Produktion. Das hat zur Folge, dass auch Wertschöpfungsketten ins Wanken geraten, die auf "Abfallprodukten" basieren.

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"Wenn wir noch Fällmittel zu kaufen bekommen, dann sind es halbe Mengen zum doppelten Preis", stöhnen sächsische Kläranlagen-Betreiber unisono. Der Versorgungsnotstand bereitet ihnen gleich auf drei Ebenen Kopfzerbrechen:

Ohne Fällmittel können ihre Anlagen nicht störungsfrei laufen und die Einleitegrenzwerte für Phosphor zum Gewässerschutz können nicht eingehalten werden. Für derlei Verstöße drohen saftige Bußgelder.

Umweltminister Wolfram Günther will handeln

Die Güte der gereinigten Abwässer, welche in die Flüsse abgegeben werden, wird streng überwacht.
Die Güte der gereinigten Abwässer, welche in die Flüsse abgegeben werden, wird streng überwacht.  © 123RF

Die Abwasserbetriebe stehen langfristig vor Finanzproblemen wegen der anfallenden Mehrkosten für Fällmittel (oder alternative Ersatz-Produkte) sowie Energie. Otto-Normalbürger und Gewerbetreibende müssen deshalb damit rechnen, dass bald noch eine Welle von Gebührenerhöhungen bei der Abwasser-Entsorgung anrollt.

Das Sächsische Staatsministerium für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft (SMEKUL) hat das Problem auf dem Radar. Die Katastrophenschutzbehörden im Freistaat geben an das Haus von Minister Wolfram Günther (49, Grüne) regelmäßig im Zuge des Ukraine-Krieges eine Lageeinschätzung weiter.

Die öffentliche Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung sind Bestandteil dieser Berichte, denn sie gehören zur sogenannten "kritischen Infrastruktur".

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Auf die Lieferengpässe bei Fällmitteln hat das Ministerium mit "Handlungsanleitungen" reagiert. Betreiber von abwassertechnischen Anlagen sind angehalten, "durch Ausnutzung der individuell bestehenden technischen und betrieblichen Möglichkeiten" (u. a. Strecken oder Umstellen des Betriebsmittels, Minimieren der betrieblichen Sicherheitspuffer zur Werteeinhaltung) ihren Betrieb so zu organisieren, dass Grenzwert-Überschreitungen für Einleitungen "so lange wie möglich" vermieden bzw. reduziert werden können.

Eine Lösung des Problems wird auf bundespolitischem Parkett gesucht - gemeinsam mit der chemischen und der eisenverarbeitenden Industrie.

Betroffener Betrieb sieht die Politik in der Pflicht

Ein Mitarbeiter der Stadtentwässerung Dresden beim Entnehmen einer Abwasser-Probe in der Dresdner Kanalisation.
Ein Mitarbeiter der Stadtentwässerung Dresden beim Entnehmen einer Abwasser-Probe in der Dresdner Kanalisation.  © PR/ Stadtentwässerung Dresden

Der Entsorgungsbetrieb der Stadt Chemnitz (ESC) hat die Abwasserbeseitigung der Kommune dem Unternehmen eins energie übertragen.

Eins energie beantwortet hier vier Fragen zum aktuellen Fällmittel-Notstand.

TAG24: Wie stellt sich für Sie gegenwärtig die Lage dar?

eins energie: Wir verwenden in Chemnitz für die chemische Fällung Eisen(III)-chloridsulfatlösung. Aktuell erhalten wir nur 50 Prozent unseres Bedarfs, das entspricht zwei Tanklastern pro Monat. Die Verfügbarkeit von Eisenprodukten stellt deutschlandweit ein Problem dar.

Ende 2022 läuft der Liefervertrag für die Zentrale Kläranlage Chemnitz aus. Wir rechnen ab Januar, so überhaupt noch eine Belieferung erfolgt, mit mindestens einer Verdoppelung der Kosten.

Erhöhte Phosphor-Einträge in die Flüsse befördern das Algen- und Pflanzenwachstum im Sommer. Sie sind insbesondere auch kritisch für die Nord- und Ostsee.
Erhöhte Phosphor-Einträge in die Flüsse befördern das Algen- und Pflanzenwachstum im Sommer. Sie sind insbesondere auch kritisch für die Nord- und Ostsee.  © picture alliance / imageBROKER

Fällmittel werden knapp, Lieferanten antworten nicht

Blick auf Gebäude der zentralen Kläranlage von Dresden. Zum Betrieb Stadtentwässerung gehört auch ein etwa 1850 km langes Kanalnetz.
Blick auf Gebäude der zentralen Kläranlage von Dresden. Zum Betrieb Stadtentwässerung gehört auch ein etwa 1850 km langes Kanalnetz.  © PR/ Stadtentwässerung Dresden

TAG24: Welche Bedeutung haben Fällmittel in Chemnitz für die Abwasserbehandlung?

Chemnitz besitzt ein etwa 1000 Kilometer langes Kanalnetz, in dem Abwasser gemeinsam mit Niederschlagswasser von versiegelten Flächen zur Kläranlage transportiert wird.

Gerade im Winter ist ein biologischer Abbau von Phosphatverbindungen im Abwasser nicht möglich. Deshalb wird die Reduzierung des Phosphatgehaltes ausschließlich über die Zugabe des Fällmittels erreicht.

In der Wasserrechtlichen Erlaubnis für die Einleitung von Abwasser in den Chemnitzfluss wurde für Phosphor ein Grenzwert von 1 mg/l festgelegt.

Die verfahrenstechnischen Abläufe wurden so umgestellt, dass bei guten Bedingungen und regelmäßigen Nachlieferungen dieser Wert einhaltbar ist. Der behördlich festgelegte sogenannte Zielwert von 0,5 mg/l im Jahresmittel am Ablauf der Kläranlage ist aber nicht mehr einhaltbar.

TAG24: Haben Sie Grund zur Hoffnung, dass 2023 mehr Fällmittel verfügbar sind?

Nein. Wir fragen wöchentlich Lieferanten an. In 90 Prozent der Fälle erhalten wir momentan nicht mal eine Antwort. Die restlichen 10 Prozent sind Absagen.

TAG24: Wo liegt ihrer Meinung nach die Lösung für dieses Dilemma?

Die liegt bei der Industrie und letztlich der Politik. Preispoker und Versteigerung von Fällmitteln an den Höchstbietenden können nicht die Lösung sein.

Umweltminister Wolfram Günther (49, Grüne). Sein Ministerium verlangt von den Abwasserbetrieben gegenwärtig ausführliche Statistiken und Berichte über den Einsatz von Fällmitteln auf Kläranlagen.
Umweltminister Wolfram Günther (49, Grüne). Sein Ministerium verlangt von den Abwasserbetrieben gegenwärtig ausführliche Statistiken und Berichte über den Einsatz von Fällmitteln auf Kläranlagen.  © Ralf Seegers

Hunderte Anlagen sorgen für sauberen Wasserkreislauf

Wenn Algen wie Teppiche die Gewässeroberfläche abdecken, kann das zu großem Fischsterben führen.
Wenn Algen wie Teppiche die Gewässeroberfläche abdecken, kann das zu großem Fischsterben führen.  © DPA/ Carmen Jaspersen

In Sachsen gibt es derzeit 661 öffentliche und knapp 200 betriebliche Kläranlagen. Sie behandeln neben Abwässern aus Haushalten auch gewerbliche und industrielle Abwässer sowie Regenwasser.

Umwelt- und gesundheitsgefährdende Schadstoffe, wie Chemikalien, Schwermetalle, Pharmaka sowie Bakterien, aber auch viele Nährstoffe werden bei der Reinigung aus dem Wasser entfernt.

Nach der Reinigung des Abwassers führen Kläranlagen gereinigtes Abwasser zurück in den Wasserkreislauf unserer Umwelt.

Als Abfallprodukt der Reinigung der Abwässer entsteht Klärschlamm (2019 insgesamt 68.688 Tonnen Trockenmasse in öffentlichen Kläranlagen), der zumeist vergast oder verbrannt wird.

Titelfoto: PR/ Stadtentwässerung Dresden

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