Weil Kneipen nur halbvoll sein dürfen: Für Wirte wird's jetzt doppelt schwer

Dresden - Seit Freitag dürfen Gaststätten und Hotels mit strengen Hygieneauflagen in Sachsen wieder öffnen. Doch lohnt sich das überhaupt?

Zum Wohl! Die Gastronomie hofft, dass die Leute jetzt nach den Lockerungen wieder mit großem Durst und Hunger ausgehen und einkehren.
Zum Wohl! Die Gastronomie hofft, dass die Leute jetzt nach den Lockerungen wieder mit großem Durst und Hunger ausgehen und einkehren.  © 123rf/Volodymyr Melnyk

Kaum jemand in der Branche taumelt vor Glück wegen der Lockerungen. Der Pleitegeier kreist weiterhin über vielen Betrieben. 

Kampflos aufgeben will aber niemand. Die Hoffnung ist groß, dass die Gäste zurückkehren und mit ihnen das Glück. Ein Wirtschafts-Report - im wahrsten Sinne des Wortes. 

Sorgenfalten auf der Stirn

Das "Trotzdem" auf der Alaunstraße 81 in der Dresdner Neustadt ist eine Institution.
Das "Trotzdem" auf der Alaunstraße 81 in der Dresdner Neustadt ist eine Institution.  © Steffen Füssel

Lauer Frühlingswind wärmt die Dresdner Neustadt. Johanna Kalex sitzt im Hinterhof des Szene-Lokals "Trotzdem" und schaut nachdenklich über die Tische, die vereinzelt mit reichlich 1,5 Meter Abstand im Garten stehen und auf Gäste warten. 

"Wir haben alle Corona-Hygiene-Vorgaben penibel umgesetzt. Die Zahl unserer Tische und Plätze in der Kneipe hat sich dadurch fast halbiert", sagt die 55-Jährige mit Sorgenfalten auf der Stirn.

Seit 20 Jahren führen sie und ihr Mann Steffen Otto als Familienbetrieb das "Trotzdem". Die Kiez-Kneipe sichert dem Paar den Lebensunterhalt. Zum Anhäufen von Reichtümern taugt sie nicht. 

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Johanna Kalex: "Wir erlebten mit der Corona-Pandemie eine Zäsur." In der Zeit vom 9. März bis zum 15. Mai hatte die Familie keinen Cent an Einkommen.

Sie lobt: "Die beantragten Soforthilfen kamen über Nacht. Mit dem Geld von Bund und Land konnten wir die Fixkosten begleichen." Die Reserven des Betriebes gingen für das Kurzarbeitergeld der fünf Mitarbeiter drauf. Auf ihr privates Hartz-IV-Geld warten sie noch. 

Kalex: "Um über die Runden zu kommen, haben wir unser Erspartes für den Urlaub verfuttert." Jetzt ist das Paar privat und geschäftlich finanziell am Limit. Damit nicht genug. Die Dresdnerin sorgt sich auch um ihre Gesundheit: "Ich gehöre zur Risikogruppe."

Stammkundin zaubert Johanna Kalex ein Lächeln ins Gesicht

Das Szene-Lokal von Johanna Kalex macht jetzt eine Stunde früher auf. Die Wirtsleute hoffen, so Umsatzeinbußen durch die Verringerung des Platzangebotes wettmachen zu können.
Das Szene-Lokal von Johanna Kalex macht jetzt eine Stunde früher auf. Die Wirtsleute hoffen, so Umsatzeinbußen durch die Verringerung des Platzangebotes wettmachen zu können.  © Steffen Füssel

Das Ende ihrer erzwungenen Arbeitslosigkeit erlebt Johanna Kalex mit gemischten Gefühlen: "Ich hoffe innig, dass unter den gegebenen Umständen unsere Einnahmen reichen, um alle Kosten zu decken." 

Sie freut sich, dass die Politik dem Gastgewerbe helfen will. Warum die vereinbarte Mehrwertsteuer-Senkung aber nur für Speisen gelten soll, will sie nicht verstehen.

"Unser Lokal hat kein Speiseangebot. Diese Steuersenkung bringt Bars, Vinotheken und Kneipen gar nichts", sagt sie zornig. Die Wirtin ergänzt diplomatisch: "Ich fände es darum nur fair, wenn man bei Gastronomen, die keine Speisen anbieten, die Getränke fördert."

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Das Summen ihres Telefons übertönt das Hinterhof-Rauschen. Die Nachricht einer Stammkundin zaubert Johanna Kalex ein Lächeln ins Gesicht. 

Sie sagt nun trotzig: "Wir meistern diese Krise, wenn die Gäste zu uns halten. Hauptsache alle bleiben gesund und es gibt keine zweite Corona-Welle."

DEHOGA sieht die Lage dramatisch

Ingrid Hartges ist Hauptgeschäftsführerin des DEHOGA Bundesverbandes.
Ingrid Hartges ist Hauptgeschäftsführerin des DEHOGA Bundesverbandes.  © PR/DEHOGA Bundesverband/Svea Piets

Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) erwartet ein Gastro-Sterben als unmittelbare Folge der Corona-Pandemie und des Lockdowns. DEHOGA-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges: "Ende Mai könnte es besonders dramatisch werden."

Das Runterfahren und Schließen der Betriebe innerhalb weniger Tage war für die Branche ein Schock. Die weit größere Herausforderung steht aber jetzt an: das Wiederhochfahren. 

Die Unternehmen müssen schauen, wie sie bei weniger Gästezahlen und weniger Umsatz die Kosten in den Griff bekommen und gleichzeitig die neuen Schutz- und Hygienemaßnahmen verantwortungsvoll umsetzen. Die Größe oder Lage des Betriebes spielt dabei keine Rolle - alle sind betroffen.

Besonders ernst ist die Lage für Eventcaterer, Discotheken und Clubs. Für sie gibt es noch keine Öffnungsperspektiven. Hartges: "Das wird besonders dramatisch, wenn Ende Mai die Gehälter fällig werden und das Kurzarbeitergeld für April noch nicht da ist."

Die DEHOGA fordert vom Bund mehr Hilfen in Form von Krediten, Stundungen, Steuersenkungen, Nothilfe-Fonds sowie Nachbesserungen beim Kurzarbeitergeld, denn auf sogenannte Nachholeffekte können Gastronomie und Hotellerie nicht hoffen. 

Hartges wünscht sich von der Politik, dass sie "in Verantwortung für Gesundheit und Wirtschaft" handelt. Mit Blick in den Herbst erklärt sie: "Die nächsten Wochen und Sommermonate sind entscheidend in der Frage, wie es weitergeht."

Im Berghotel Bastei wird jetzt die Karte abgespeckt

Das Berghotel Bastei, das von Petra Morgenstern (62) und ihrem Sohn Kai Reiße (35) geführt wird, hat schrittweise seinen Betrieb wieder aufgenommen. Das Panoramarestaurant öffnet Himmelfahrt wieder.
Das Berghotel Bastei, das von Petra Morgenstern (62) und ihrem Sohn Kai Reiße (35) geführt wird, hat schrittweise seinen Betrieb wieder aufgenommen. Das Panoramarestaurant öffnet Himmelfahrt wieder.  © Petra Hornig

Das beliebte Berghotel Bastei in der Sächsischen Schweiz steht seit Freitag auch wieder Touristen offen - mit eingeschränktem Angebot. "Wir fangen auf kleiner Flamme wieder an", sagt Bastei-Chefin Petra Morgenstern.

Das Hotel, das Hotel- und Kaminrestaurant im Hotelgebäude sowie im Außenbereich der Biergarten erwarten Besucher. Bratwurst, Eis, Braumstriezel und Souvenirs werden zudem draußen angeboten. 

Petra Morgenstern: "Ab dem Himmelfahrtstag ist dann auch das Panoramarestaurant wieder geöffnet." Um wirtschaftlich arbeiten zu können, "speckte" die Bergwirtschaft die Speisekarte des Panoramarestaurants ab. Nur noch acht bis zehn verschiedene Gerichte - darunter Spargel-Spezialitäten - sollen serviert werden.

Für die Salami-Taktik und die Zurückhaltung beim Re-Start hat die Unternehmerin gute Gründe: "Wir wissen, dass auf absehbare Zeit keine ausländischen Touristengruppen die Bastei besuchen werden. Darauf müssen wir uns einstellen. Gleichzeitig können wir nur schwer abschätzen, wie viele einheimische Besucher den Weg zu uns finden werden", so Morgenstern.

Die Corona-Zwangspause war für die Managerin und ihren Sohn Kai Reiße nervenaufreibend. Weil das Berghotel Bastei über 100 Mitarbeiter beschäftigt, kam der Betrieb in den vergangenen Monaten nicht in den Genuss staatlicher Hilfen.

Petra Morgenstern optimistisch: "Uns erreichen pro Tag jetzt zwischen 100 und 150 Buchungsanfragen. Das macht uns Mut."

Titelfoto: Petra Hornig/Steffen Füssel

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