Ausländischer Student blutig geschlagen: "Man hat mich gefragt, warum ich einen Deutschen verteidige"

Ilmenau - Die thüringische Studentenstadt Ilmenau steht dieser Tage stark im Fokus. Hintergrund ist ein Vorfall, der sich am Pfingstmontag ereignet hat. Es geht um einen ausländischen Studenten, der Zivilcourage ergriff, eine mutmaßliche Schlägerbande und ein deutsches Opfer.

Ahmad Raed (24) hat es schwer erwischt. Am Pfingstmontag musste der Maschinenbau-Student medizinisch versorgt werden.
Ahmad Raed (24) hat es schwer erwischt. Am Pfingstmontag musste der Maschinenbau-Student medizinisch versorgt werden.  © Ahmad Raed/Facebook/Montage

Ahmad Raed hat nach wie vor Schmerzen. Arbeiten kann der 24-Jährige momentan nicht. "Ich kann mich maximal zwei bis drei Stunden konzentrieren. Dann ist Schluss! Mir ist immer wieder schwindelig", berichtet er im Gespräch gegenüber TAG24. Auch der Rücken bereitet seinen Aussagen nach Probleme.

Aber das ist gar nicht sein größtes Problem! "Das wird schon wieder. Man muss sich um mich keine Sorgen machen", erklärt er. Sein größtes Problem sind gerade die Sorgen seiner Mutter, die im weit über 2000 Kilometer Luftlinie entfernten Palästina sehnsüchtig darauf wartet, ihren Jungen in den Arm zu nehmen. Am liebsten will sie, dass er zurück nach Hause kommt - weg aus Ilmenau, weg aus Deutschland. Doch das ist für den Maschinenbau-Studenten an der Technischen Universität (TU) Ilmenau keine Option.

Ilmenau ist der Ort, an dem er lernen und sich als Mensch weiterentwickeln will. Hier hat er Freunde. Hier jobbt er nebenbei in einem Fast-Food-Restaurant. Das alles will Ahmad nicht aufgeben.

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Auch, wenn er am Pfingstmontag blutig geschlagen wurde. Wie er berichtet, befand er sich gerade im Dienst, als er bemerkte, dass mehrere Personen auf einen Mann einschlugen. Er überlegte nicht lange und rannte los in Richtung Wetzlarer Platz.

Ahmad Raed: "Ich wurde so erzogen"

Nach MDR-Angaben wurden drei Verdächtige nach einer Auseinandersetzung am Pfingstmontag wieder auf freien Fuß gesetzt. (Symbolbild)
Nach MDR-Angaben wurden drei Verdächtige nach einer Auseinandersetzung am Pfingstmontag wieder auf freien Fuß gesetzt. (Symbolbild)  © 123RF/bartusp

Am Ende wurde der 24-Jährige selbst zum Opfer. Bilder zeigen ihn blutüberströmt, am Kopf klafft eine große Wunde. Ahmad, der in Dienstkleidung vor dem Fast-Food-Restaurant sitzt, wird medizinisch versorgt.

"Einer von ihnen (Anm. d. Red.: von den Angreifern) benutzte seine Schlüssel als Messer und schnitt meinen Kopf fünf Zentimeter auf. Ich habe nur noch versucht, meine lebenswichtigen Stellen zu schützen", sagt Ahmad. Zudem habe ein Angreifer versucht, mit einem Messer im Nackenbereich auf ihn einzustechen.

Wie er berichtet, hat er einen Deutschen verteidigt. Die Nationalität spielt nach seinen Aussagen zufolge keinerlei Rolle - egal, ob Syrer, Deutscher oder Afghane. "Und ich würde es wieder tun. Ich wurde so erzogen, die Schwachen in jeder Situation zu verteidigen", betont er - auch, wenn man ihm gedroht habe, ihn nach diesem Vorfall erneut aufzufinden und ihn zu töten.

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Unter den Schlägern soll es sich, wie TAG24 erfuhr, ebenfalls um Menschen mit einem ausländischen Hintergrund handeln. Laut Ahmad Raed habe man auf Deutsch, Englisch und Arabisch zu ihm gesprochen. "Man hat mich gefragt, warum ich einen Deutschen verteidige", erzählt er.

Wie der MDR berichtet, ermittelt derzeit die Polizei gegen eine mutmaßliche Schlägerbande in Ilmenau. Seit mehreren Wochen soll diese immer wieder kriminell in Erscheinung getreten sein, so der Sender, der sich dabei auf Aussagen einer Polizeisprecherin beruft. Es gehe dabei auch um Fälle von Körperverletzung im Bereich der TU Ilmenau sowie der Innenstadt. Es werde ermittelt, welche Taten der Gruppe zugeordnet werden können.

Bürgermeister Schultheiß fühlt sich weiterhin wohl in Ilmenau

Ilmenaus Oberbürgermeister Dr. Daniel Schultheiß (42, parteilos) hat dem Studenten Ahmad Raed (24) ausdrücklich für seine Zivilcourage gedankt. (Archivbild)
Ilmenaus Oberbürgermeister Dr. Daniel Schultheiß (42, parteilos) hat dem Studenten Ahmad Raed (24) ausdrücklich für seine Zivilcourage gedankt. (Archivbild)  © Michael Reichel/dpa

Drei Verdächtige wurden nach einer Auseinandersetzung am Pfingstmontag zunächst festgenommen, dann aber wieder auf freien Fuß gesetzt, berichtet der MDR. Auch Ahmad erzählt, dass die "Schläger" wieder freigelassen wurden.

Nachvollziehen kann er das nicht im Geringsten. Via Social Media macht der 24-Jährige auf den Fall aufmerksam. Damit will er Druck erzeugen - auf Behörden, Justiz, den Rechtsstaat.

Dieser sei nötig, "um zu verhindern, dass die Menschen in der Stadt weiter bedroht werden", so der Maschinenbau-Student, der sich eigenen Angaben nach bereits mit Ilmenaus Oberbürgermeister Dr. Daniel Schultheiß (42, parteilos) getroffen hat, um über diesen Umstand zu sprechen.

Auch an der TU Ilmenau reagiert man mit Unverständnis. Wie ein Sprecher der Hochschule TAG24 mitteilte, gingen allmählich die Argumente gegenüber den betroffenen Studierenden aus. Seit schätzungsweise mehreren Monaten komme es auf dem Campus immer wieder zu "Vorkommnissen", heißt es. Die Studierenden seien beunruhigt - "nicht nur die deutschen, auch die ausländischen", betont der Sprecher.

Inzwischen hat die Technische Universität den zuständigen Sicherheitsdienst beauftragt, ihre regulären Streifenfahrten zu erhöhen. Zudem solle das Personal bei Bedarf aufgestockt werden. Auch die Stadt habe ihren Sicherheitsdienst "instruiert" auf bestimmte Situationen, auch solche, die zunächst vielleicht nicht so offensichtlich erscheinen, sensibel zu reagieren, teilte Ilmenaus Oberbürgermeister Schultheiß gegenüber TAG24 mit.

Laut dem Bürgermeister dürfe nun nicht der Eindruck entstehen, dass Ilmenau nicht mehr sicher ist. Ein solcher "Reflex" zu dem auch eine mögliche "oberflächliche" Berichterstattung führen könne, sei durchaus möglich. Er selbst fühle sich jedenfalls nach wie vor sicher "in unserer beschaulichen, kleinen Stadt" mit internationaler Hochschule.

Sven F.: Niemand hat reagiert!

Nach Angaben der Technischen Universität Ilmenau sind die Studierenden aufgrund der Vorfälle beunruhigt. (Symbolbild)
Nach Angaben der Technischen Universität Ilmenau sind die Studierenden aufgrund der Vorfälle beunruhigt. (Symbolbild)  © Michael Reichel/dpa-Zentralbild/dpa

Auch Sven F. (30) studiert an dieser Hochschule. Er ist derjenige, dem Ahmad Raed am Pfingstmontag zur Hilfe eilte. "Es war 14.25 Uhr. Ich stand auf dem Wetzlarer Platz. Es war viel los. Ich habe auf einen Bekannten gewartet. Wir hatten uns zum Radfahren verabredet", berichtet er am Freitag gegenüber TAG24, als er gerade von einem Zahnarzttermin kommt.

Kleines Schleudertrauma, Schwellungen, Blutergüsse und kaputte Zähne hat er von diesem Angriff am Feiertag davongetragen.

Eine vierköpfige Gruppe habe sich dann auf eine Bank gesetzt. Der 30-Jährige blickte eigenen Angaben nach in diese Richtung. "Ich schlag’ dich, du Wichser", habe einer dann gesagt und auf Sven F. gezeigt. Er selbst sei ruhig geblieben, habe gar nicht reagiert, aber selbst dieses Verhalten konnte die Situation offenbar nicht deeskalieren.

Kurz darauf wird der Student umzingelt. "Abhauen ging nicht mehr", erklärt er. Kurz darauf bekommt er einen Schlag von hinten gegen den Kiefer und fällt vom Rad. "Ich habe dann um Hilfe gerufen. 'Ruft die Polizei', habe ich gerufen", schildert er. Reagiert habe niemand. Und das, obwohl der Platz zu diesem Zeitpunkt gut frequentiert gewesen sein soll.

"Etwa eine Minute später kam Ahmad mit zwei Freunden (Anm. d. Red.: ebenfalls Studenten) und hat eingegriffen", sagt Sven F., der mindestens noch einen weiteren Zahnarzttermin vor sich hat. Danach kursieren Berichte, wonach sich die Angreifer kurz darauf zur TU aufgemacht haben, um sich wohl für das beherzte Eingreifen bei Kommilitonen von Ahmad zu "revanchieren". Ein Video soll dies belegen.

Ahmad fliegt nach Palästina

Bürgermeister Dr. Daniel Schultheiß zeigt sich erschrocken, als wir ihn mit den Schilderungen, dass zunächst niemand Zivilcourage ergriff, konfrontieren. Auch, wenn Menschen in bestimmten Situationen Zweifel hätten, sich unsicher seien, könne jeder einen Beitrag leisten, selbst wenn man - in Anführungsstrichen - nur Hilfe hole.

Er selbst habe Ahmad jedenfalls seine Dankbarkeit persönlich ausgesprochen. Der 24-Jährige habe die Situation erkannt und "respektabel" gehandelt, sagt er.

Und Ahmed? Der fliegt noch im Juni nach Palästina - um der Mama zu zeigen, dass es ihm gut geht und sie davon zu überzeugen, dass Ilmenau eigentlich ganz cool ist.

Titelfoto: Ahmad Raed/Facebook/Montage

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