Skandal nach tödlichem Unfall: Gaffer zogen Leiche den Sichtschutz weg!

Chemnitz - Gaffer-Skandal beim tödlichen Unfall an der Bretgasse/Bahnhofstraße (TAG24 berichtete). Eine Fußgängerin (72) wurde von einem Lkw erfasst, sie starb noch vor Ort. Während die Polizei die Unglücksstelle mit rot-weißen Bändern absicherte, sammelten sich zahlreiche Schaulustige. Zwei gingen sogar zur Leiche der Rentnerin und hoben die Plane hoch.

Das THW musste das Unfallopfer mit blickdichten Planen vor Gaffern schützen.
Das THW musste das Unfallopfer mit blickdichten Planen vor Gaffern schützen.  © Harry Härtel/Haertelpress

Die Polizei musste sich mit Passanten herumstreiten, die im Weg standen oder die Szenerie filmten. Das ging den Beamten zu weit - sie riefen das THW, um einen Sichtschutz aufzustellen.

Seit Jahren nerven Gaffer Polizei oder Feuerwehrleute. Polizeisprecher Andrzej Rydzik (33): "Wir stellen eine zunehmende Schamlosigkeit fest, mit der Schaulustige an Unfallstellen Fotos oder gar Videos von hilflosen Unfallopfern fertigen." Solche Bilder von hilflosen Personen seien pietätlos und verboten.

Schaulustige behindern zunehmend Rettungsarbeiten, haben dabei immer weniger Hemmungen, posten ihre Bilder vom Unfallort bei Facebook. Ein Polizist nennt Beispiele: "In Frankenberg brach ein Rentner zusammen. Die Gaffer standen uns auf den Füßen, wir mussten uns mit Platzverweisen wehren. Bei einem Lkw-Unfall auf der A 4 bei Hainichen filmten andere Fahrer das Unglück. Wir hätten am liebsten alle angezeigt."

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Deshalb kommt bei Unfällen immer öfter ein Sichtschutz zum Einsatz, der Unfallopfern ein Stück Privatsphäre sichern soll.

Zum tödlichen Unfall an der Bretgasse sucht die Polizei Zeugen, die den Zusammenstoß des Lasters mit der Frau gesehen haben. Telefon 037187400.

Warum gaffen wir?

Verkehrspsychologe Bernd Wiesner (53)
Verkehrspsychologe Bernd Wiesner (53)  © Uwe Meinhold

Warum gaffen Menschen so gerne bei Verkehrsunfällen?

Der Chemnitzer Verkehrspsychologe Bernd Wiesner (53) meint: "Menschen haben Lust auf den Kick, der sie aus dem Alltagstrott herausreißt." Lust am Erschrecken wie bei TV-Krimis habe es immer gegeben, "aber früher gab es eine höhere Moral-Barriere. Heute wird alles gefilmt, im Netz gepostet und geteilt".

Inzwischen sei die Handynutzung am Steuer gefährlicher als Alkohol, drohten wie beim Gaffen teure Strafen. Trotzdem ließen viele nicht vom Telefon ab.

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Bernd Wiesner: "Ich bin inzwischen etwas ratlos. Wir können nur an Menschen appellieren, das Gaffen zu lassen."

Bis zu zwei Jahre Haft für Gaffer möglich

Verkehrsanwalt Franz Thomas Pfeifer (58)
Verkehrsanwalt Franz Thomas Pfeifer (58)  © Klaus Jedlicka

"Gaffen ist strafbar - und das ist gut so", sagt der Chemnitzer Verkehrsanwalt Franz Thomas Pfeifer (58).

Der Gesetzgeber habe die Sanktionen verschärft: "Wer Menschen in hilfloser Lage fotografiert oder fremde Fotos öffentlich macht, kann mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden."

Gaffen selbst ist eine Ordnungswidrigkeit (bis 1 000 Euro Bußgeld), das Verhindern einer Rettungsgasse auf der Autobahn bringt zwei Punkte in Flensburg und 200 Euro Geldbuße, mit Behinderung von Rettungskräften 240 Euro plus ein Monat Fahrverbot.

Ein Gaffer kann auch wegen unterlassener Hilfeleistung dran sein - bis zu zwei Jahre Haft.

An der Bretgasse starb eine Fußgängerin (72) nach einem Zusammenstoß mit einem Laster.
An der Bretgasse starb eine Fußgängerin (72) nach einem Zusammenstoß mit einem Laster.  © Harry Härtel/Haertelpress
Zahlreiche Schaulustige sammelten sich am Unfallort. Zwei wollten sogar die Leiche ohne Plane sehen.
Zahlreiche Schaulustige sammelten sich am Unfallort. Zwei wollten sogar die Leiche ohne Plane sehen.  © Harry Härtel/Haertelpress
Auch bei einem Unfall auf der A 4 bei Frankenberg musste die Feuerwehr einen Sichtschutz aufbauen.
Auch bei einem Unfall auf der A 4 bei Frankenberg musste die Feuerwehr einen Sichtschutz aufbauen.  © Harry Härtel/Haertelpress

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