Vor 40 Jahren versunken! Bauarbeiten legen sächsisches Dorf frei

Einst im Wasser versunken, nun für kurze Zeit frei gelegt: Ur-Malsitzer 
Rainer Sickert (73) hat in den Ruinen sein altes Haus wieder entdeckt.
Einst im Wasser versunken, nun für kurze Zeit frei gelegt: Ur-Malsitzer Rainer Sickert (73) hat in den Ruinen sein altes Haus wieder entdeckt.  © Steffen Füssel

Bautzen - Vor 40 Jahren wurde ein Ort in der Lausitz von der Landkarte getilgt. Das 100-Seelen-Dorf Malsitz versank im Wasser, musste der neu errichteten Talsperre Bautzen geopfert werden. Wegen Bauarbeiten ist der Wasserspiegel jetzt über fünf Meter gefallen - und die Vergangenheit aufgetaucht!

Der Ur-Malsitzer Rainer Sickert (73) schreitet einen Weg im Watt entlang, es ist die alte Dorfstraße. Da, wo einst der Kies unter seinen Schuhen knirschte, liegen jetzt Muscheln. Graue Baumstümpfe säumen den Weg. „Ich bin zurück zu Hause“, sagt er.

Vor einem halben Jahrhundert kletterte er auf den prächtigen Eichen herum. Genau wie Jutta Ohse (58), die ihre alte Heimat wiederentdeckt: „Da drüben war der Schweinestall der LPG, meine Mutter arbeitete da. Da hinten der Steinbruch. Und dort haben wir im Winter Rehe gefüttert. Es ist, als lebte man gleich wieder hier.“

Die Malsitzer wurden in den frühen 70er-Jahren umgesiedelt, bekamen in Bautzen und Niederkaina neue Häuser oder Wohnungen. Bevor das Wasser der Talsperre dann alles in der Senke begrub, wurden rund drei Dutzend Häuser im Dorf abgerissen. Zwischen Schutt und Schlamm finden sich auch heute noch Überreste wie Räder alter Bauerngerätschaften.

Rainer Sickerts Finger wandern über die steinernen Ruinen: „Hier stand das alte Herrenhaus, da hinten die Mühle. Und dort habe ich gewohnt.“ Der Rentner erkennt alles sofort wieder: „Hier stand der Fernseher. Und da, wo kein Schutt liegt, war der Gemüsegarten. Ich schaue gleich mal, wie weit die Radieschen sind“, scherzt er. Wehmütig ist er kaum, genießt lieber die vielen Erinnerungen.

Aktuell kommen immer mehr Besucher zur Talsperre, machen die Reise in die Vergangenheit. Nur bis Ende Oktober ist das noch möglich! Bis dahin dauert die Sanierung der beiden Staudämme. Dann kommt das Wasser der Spree zurück - und verschlingt das alte Malsitz wieder ...

So sah das Haus mit Scheune früher aus: Rainer Sickert mit seinem Sohn 
1972.
So sah das Haus mit Scheune früher aus: Rainer Sickert mit seinem Sohn 1972.
Rainer Sickert (73) traf bei seinem Spaziergang Jutta Ohse (58), die auch in 
Malsitz lebte. Vor den Überresten der LPG-Halle tauschten sich beide herzlich 
aus.
Rainer Sickert (73) traf bei seinem Spaziergang Jutta Ohse (58), die auch in Malsitz lebte. Vor den Überresten der LPG-Halle tauschten sich beide herzlich aus.  © Steffen Füssel
Jutta Ohse an dem Eichenstumpf. Als junges Mädchen kletterte sie auf dem Baum 
herum.
Jutta Ohse an dem Eichenstumpf. Als junges Mädchen kletterte sie auf dem Baum herum.  © Steffen Füssel
Auch ein altes Rad hat die „Ebbe“ frei gelegt.
Auch ein altes Rad hat die „Ebbe“ frei gelegt.  © Hermann Tydecks
Auf dem Boden liegen Muscheln, Steine und alte Flaschen.
Auf dem Boden liegen Muscheln, Steine und alte Flaschen.  © Steffen Füssel
Malsitz Ende der 60er Jahre mit der LPG-Halle (links). Das Dorf wurde für den Bau der Talsperre "geopfert".
Malsitz Ende der 60er Jahre mit der LPG-Halle (links). Das Dorf wurde für den Bau der Talsperre "geopfert".