Dresden - Die Lehrerausbildung in Deutschland ist dringend reformbedürftig. Die Studenten sollten im Rahmen ihrer Ausbildung mehr Praxiserfahrungen sammeln und nicht jahrelang nur Pädagogik und Theorie im Hörsaal pauken, fordern Bildungsexperten und -politiker. Sachsen geht da mutig voran. Das Pilotprojekt "Alternatives Lehramtspraktikum" (kurz: ALSO) startete im vergangenen Schuljahr erfolgreich in Ostsachsen. Nun wird es ausgeweitet.
"Die Herausforderung im Unterricht besteht darin, auf jedes Kind individuell einzugehen", fasst Lehramtsstudentin Felicitas Böhme (20) ihre ersten Erfahrungen zusammen.
Sie ist eine von insgesamt vier Studentinnen der TU Dresden, die seit November ein sogenanntes Alternatives Lehramtspraktikum an der Goethe-Oberschule in Breitenbrunn absolvieren.
"Die Arbeit mit den Kindern in der Schule erfordert ganz andere Kompetenzen als das Lernen in der Uni", ergänzt ihre "Kollegin" Priszcilla Papp (19). Die angehende Lehrerin für Musik und evangelische Religion fand zu Praktikumsbeginn die Lautstärke in einem Klassenraum "gewöhnungsbedürftig".
Binnen kürzester Zeit hat sich das geändert. Nun fühlt sie sich in der Oberschule im Erzgebirge pudelwohl.
"Alternatives Lehramtspraktikum" ein Gewinn für alle Seiten?
Beiden Studentinnen hat dieser Praxiseinsatz nach wenigen Tagen gezeigt, dass ihre Studienwahl richtig war. Felicitas Böhme: "Ich fühle mich hier bestätigt. Die Arbeit mit den Kindern macht mir sehr viel Spaß."
Das freut Anke Langner (46) sehr. Die Professorin für Erziehungswissenschaft lehrt an der Technischen Universität Dresden und ist verantwortlich für das ALSO-Projekt.
Ziel des Projekts ist es, Studium und Schulpraxis zu verzahnen und so die Studierenden besser auf den Lehrerberuf vorzubereiten. Immer freitags sind Lehramtsstudenten der TU Dresden in Schulen, um Fünftklässler zu unterrichten.
"Das ist ein Gewinn für alle Seiten. Ich bin Professorin Langner sehr dankbar für ihre Initiative, das Studium aus der Uni hinauszutragen", sagt Sachsens Kultusminister Conrad Clemens (42, CDU).
Kultus-Minister Clemens hofft, dass das Projekt zum Regelfall in Sachsen wird
Sein Haus fördert zusammen mit dem Wissenschaftsministerium das ALSO-Projekt, das seit diesem Schuljahr ausgedehnt wird auf die Landkreise Erzgebirge und Sächsische Schweiz/Osterzgebirge.
Zudem erhöhte sich die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer von 40 auf über 100. Kultusminister Clemens: "Wir wollen, dass das Projekt zum Regelfall in Sachsen wird. Studenten sollen sich dafür entscheiden können."
Nicht nur in Breitenbrunn werden große Hoffnungen in das Projekt gesetzt. Es könnte zum Beispiel dafür sorgen, dass junge Lehrer sich für den ländlichen Raum und nicht für eine Großstadt entscheiden, wenn sie fertig sind mit der Ausbildung. "Klebeeffekt", nennt das Clemens.
Der frühzeitige Kontakt mit dem Unterrichten könnte zudem Studenten motivieren und die hohen Abbrecherquoten an den Unis reduzieren. Nicht zuletzt profitieren Schüler und Schulen, die unter Lehrermangel leiden, vom Einsatz der Studenten.
Landeselternsprecher Ronald Lindecke (56) ist Feuer und Flamme für die ALSO-Idee: "Wir brauchen Mut, in schwierigen Zeiten neue Wege zu gehen. Wir müssen alte Zöpfe abschneiden und Strukturen durchbrechen - für unsere Kinder. Für unsere Zukunft."
Lob und Kritik am Pilotprojekt
Gewerkschaften und Verbände begrüßen grundsätzlich Maßnahmen, welche die Schulversorgung abseits der Großstädte stärken und Unterrichtsausfall begrenzen. Die Kultus-Versuche, das Lehramtsstudium zu reformieren, begleiten sie aber kritisch.
Burkhard Naumann (38) übt als Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Kritik an der Betreuung der Studenten im Praktikum. "Die sollte unbedingt deutlich verbessert werden. Die Unis müssen dafür besser ausgestattet werden, um das leisten zu können."
Er sorgt sich, dass Studenten allein gelassen werden, wenn sie einen "Praxisschock" erleiden. Naumann: "Die Lehrer vor Ort sind zu überlastet, um die Studenten dann zu betreuen. Statt solcher Leuchttürme brauchen wir mehr Unterstützung der Unis."
René Michel (35) ist Erster Stellvertreter des Landesvorsitzenden des Sächsischen Lehrerverbandes. Ihn stört: "Statt 100 Schulen mit Praktikanten zu versehen, wird bei ALSO in Gruppen von bis zu fünf Studierenden das Praktikum absolviert. Somit erhalten 80 Schulen keine Praktikanten." Er will belegt haben, dass Studierende tatsächlich so für den ländlichen Raum begeistert werden können.
Zudem missfällt Michel die Kostenstruktur des Angebotes. In puncto Praktika spricht sich der Verband dafür aus, dass es für Studierende Pflicht wird, je ein schulartfremdes und ein Praktikum im ländlichen Raum zu absolvieren.
Gerade auf dem Land wird's manchmal eng
Im vergangenen Schuljahr fehlten dem Kultusministerium 1400 Lehrer. Diese Lücke konnte zwischenzeitlich verkleinert werden. Gesucht werden vor allem Lehrer für Oberschulen und Schulen im ländlichen Raum - insbesondere in dieser Kombination.
Der Lehrerberuf ist bei Abiturienten in Sachsen ein angesagtes Berufsziel: Im Durchschnitt wollen 18 Prozent der jährlichen Abiturienten Pädagogen werden und unterrichten. Deutschlandweit liegt der Schnitt bei rund 10 Prozent. Die meisten eingeschriebenen Lehramtsstudenten wollen später in Grundschulen arbeiten.
Das stellt ein kleines Problem dar. Die Geburtenzahlen sinken und damit perspektivisch der Bedarf an Grundschulen.
Kultusminister Conrad Clemens: "Dafür werden mehr Lehrer für Sonder- und Förderschulen gesucht. Die Zahl der Kinder mit Förderbedarf ist dramatisch gestiegen auf sieben Prozent der Gesamtschülerschaft."