Sächsischer Pumpernickel bleibt ihr süßes Geheimnis: Bäckerfamilie hütet uraltes Rezept
Bad Düben - Vorsicht, dieses Gebäck kann alte Erinnerungen wachrütteln! Wer an Medicke'schen Pumpernickel knabbert, schmeckt ein Stück DDR-Vergangenheit und küsst vielleicht alte Kindheits- oder Jugenderinnerungen wieder wach. In der Dübener Heide wird das patentierte Zuckerbrot weltweit einmalig hergestellt - nach einem Rezept aus der Kaiserzeit! Das kennt nur die Bäckerfamilie Sommerfeld. Sie sind die letzten, die heute noch den sächsischen Pumpernickel herstellen können und dürfen.

Gerd Sommerfeld (72) hütet ein zuckersüßes Betriebsgeheimnis - in seinem Haustresor. Sommerfeld besitzt die weltweit einmalige Lizenz zum Backen von Original Medicke'schen Pumpernickel.
Aber halt mal, ist Pumpernickel nicht das typische haltbare Vollkornbrot aus der westfälischen Küche? Mag sein, doch in Sachsen wurde es zur süßen Nervennahrung fürs Volk.
Erfinder des pfefferkuchenähnlichen Pumpernickels war 1909 ein Bäcker aus Eilenburg. Oskar Medicke ersann die Gebäckrezeptur und ließ sie sich sogar vom Reichspatentamt unter Kaiser Wilhelm II. als "Echte Medicke'schen Eilenburger Pumpernickel" schützen. Seitdem knabbern Generationen an den harten, pfefferkuchenähnlichen Broten oder "ditschen" sie wie die Sachsen in Kaffee oder Tee. Und das nicht nur zur Weihnachtszeit.
Als die Eilenburger Lizenznachfolger wegen Krankheit dichtmachen mussten, kam Gerd Sommerfeld ins Spiel. Der Sohn eines Bäckermeisters im Bad Dübener Ortsteil Tiefensee (bei Leipzig) hatte 1975 gerade seinen eigenen Meisterbrief in der Tasche, als er Nachfolger der Pumpernickel-Bäckerdynastie werden sollte.
"Damals wurde man nicht gefragt. Es hieß einfach, Junge, du bist jung, du machst das einfach", erinnert er sich. So wurde der frischgebackene Bäckermeister per Dekret zum Geheimnisträger.

Pumpernickel werden mit Geheimrezept hergestellt

Mit Patenturkunde samt Geheimrezept legte er in seiner Backstube los. "In den Küchlein stecken vor allem viel Zucker, Kunsthonig, zerkleinerte Haselnüsse, Weizenmehl, Hirschhornsalz sowie Gewürze wie Sternanis, Piment und Zimt", verrät er. Die Zutaten sind bekannt, doch ihre Gemengelage im Teig streng geheim. Und nein, es gehören keine Rosinen mit hinein.
Geknetet wird der Teig in einer Knetmaschine. Alles andere ist Handarbeit. Dann wird er auf einem Backblech zu sechs je etwa 85 Zentimeter langen Rollen geformt. Die werden mit Wasser bestrichen und kommen für eine Stunde bei 150 Grad in den Stikkenofen, in dem ansonsten Brot, Brötchen und Kleingebäck gebacken wird. "Das Hirschhornsalz ist übrigens für die Porung verantwortlich", sagt der Meister. "In guten Jahren haben wir eine Million Stück unserer Pumpernickel gebacken."
Dabei hat er nie am Originalrezept herumgedoktert, auch wenn ihm das nicht immer leicht gemacht wurde. Zu DDR-Zeiten war das Backen zuweilen ein Wettlauf gegen allerlei Engpässe bei den Zutaten: "Einmal fehlten Haselnüsse, einmal ausgerechnet Zucker - trotz der Nähe zur Zuckerfabrik Delitzsch." In solchen Mangellagen wirkte oft der Republikgeburtstag der DDR am 7. Oktober Wunder. "Wir erwähnten bei der Bestellung, dass wir die Zutaten für Backwaren zum Fest des Tages der Republik brauchten - und schon öffneten sich die Lagertüren", schmunzelt Sommerfeld.
Tatsächlich wurden die Pumpernickel aus der Dübener Heide anfangs auf den Leipziger Oktobermärkten anlässlich der Republikfeierlichkeiten verkauft. "Jeder Kreis musste damals eine Spezialität beisteuern", erinnert sich Sommerfeld. So kamen zum Beispiel Steingut aus Torgau, Töpfe aus Geithain. "Der Kreis Eilenburg hatte dagegen nur wenig zu bieten. Da trumpften wir mit unserem Pumpernickel auf."

Leckereien gibt's in Zehner- oder 15-Stück-Tüten zu kaufen

Zehn DDR-Pfennige kostete damit ein Stück des Medicke'schen Pumpernickels. Heute gibt's die Kuchenkomponenten zwar in Hülle und Fülle, doch dafür sind sie teuer. "Allein der Preis von Haselnüssen ist in den letzten zehn Jahren um 40 Prozent gestiegen", rechnet Sommerfeld vor.
Inzwischen legt man 36 Cent für ein Stück des fingerlangen, lebkuchenartigen Gebäcks auf den Tisch. Die Leckerei gibt es auch abgepackt in Zehner- oder 15-Stück-Tüten. 100.000 gehen heute jedes Jahr über die Ladentische.
Längst sind Sommerfelds Töchter Annett (ebenfalls Bäckermeisterin) und Jana (Gesellin) Mitwisserinnen und hüten das Rezept. Dieser Tage feiert Sommerfeld den 50. Jahrestag seines Meisterbriefes, hilft jetzt nur noch regelmäßig bei der Pumpernickel-Produktion mit. Seine Frau verkauft an Laufkundschaft.
Und jeden Freitag, Samstag und Sonntag ist das beliebte Knabbergebäck auch zu den Öffnungszeiten in der Familienbäckerei Zur alten Schule 6 in Tiefensee zu haben. Oder traditionell zur Schlossweihnacht in Hohenprießnitz. Nicht selten hört Sommerfeld dann von alter Kundschaft: "Das schmeckt wie zu DDR-Zeiten."
Wer genau diesen Geschmack wiederentdecken oder einfach mal kosten will - so wie Kunden bis aus Japan, Kanada, den USA und der Schweiz: Bestellungen nehmen die Sommerfelds auch per E-Mail unter baeckerei-sommerfeld@t-online.de entgegen.
Titelfoto: Montage Ralf Seegers