Pirna - Hardcover oder Broschur, Fadenheftung oder Klebebindung, Weißleim oder Knochenkleister? Diese Begriffe und die Technologien dahinter sind das Tagesgeschäft von Buchbindern. Doch in Zeiten von industrieller Massenproduktion von Büchern und E-Book-Readern ist die handwerkliche Buchbinderei zum Nischenprodukt zusammengeschrumpft. Wer heute seine Zukunft als Buchbinder plant, muss mit einer kleinen, aber feinen Kundschaft rechnen. Zwei Buchbinderinnen haben dieses kühne Experiment gewagt - sie sind in Pirna die Letzten ihrer Art.
Die Buchbinderei von Anna Bonorden und Frieda Kebbel (beide 32) ist noch nicht alt, zählt aber schon zu den Exoten. Schließlich gilt bei Teenagern und insbesondere jungen Mädchen der Beruf des Buchbinders nicht gerade als Traumjob einer Karriere. Deshalb und auch weil die anspruchsvolle Kundschaft fehlt, gibt es landesweit immer weniger Buchbinder-Werkstätten.
Zudem kann Ostdeutschland mit keiner einzigen Meisterschule für Buchbinder aufwarten, und der gesamte Westen zählt auch nur ganze drei Standorte (München, Stuttgart, Münster). In Pirna betreiben Anna und Frieda zudem die einzige Buchbinderei.
Anna kommt aus Dresden, Frieda aus der Oberlausitz. Kennengelernt haben sich die beiden Sächsinnen aber an der Berufsschule in Neumünster. Ganz traditionell begann ihre Karriere wie zu den Anfängen des Buchbinderhandwerks vor hunderten Jahren: Nach ihrer dreijährigen Berufsausbildung gingen sie auf die Walz.
Als Handwerksgesellinnen schnupperten sie Werkstattluft bei Meistern ihres Fachs in den Buchbinder-Hochburgen auf der ganzen Welt. "Ich war in Frankreich, Ascona in der Schweiz, Österreich, Polen, Russland, der Mongolei und zwei Monate lang in Japan", sagt Frieda.
"Die Walz sollte mindestens einen Tag länger als die klassische dreijährige Lehrzeit dauern, bei uns waren es dreieinhalb Jahre", ergänzt Anna.
Handwerksgesellen verständigen sich in Geheimsprache
In Japan wollten sie eigentlich in die hochgelobte Papier- und viel beschworene Buchbindekunst eintauchen, ernteten in Seminaren aber auch verstohlenes Grinsen. "Ihre Einbandkunst hätten sie doch nur von den Franzosen übernommen, offenbarten uns die japanischen Meister", erinnert sich Frieda.
Im bibliophilen Frankreich spaltet sich der Job des Buchbinders in gleich drei völlig eigenständige Berufszweige auf. "Bei unseren Nachbarn gibt es neben dem eigentlichen Buchbinder auch noch den Gestalter und den Vergolder", sagt Anna, die für ihre Meisterprüfung in München hierzulande alle drei Spezialisierungen in Personalunion beherrschen musste.
Auf der Walz lernten die zwei Frauen auch Rotwelsch - eine Geheimsprache, mit der sich Handwerksgesellen untereinander verständigen oder warnen können, ohne dass das Umfeld mithören kann. Frieda gibt eine Kostprobe: "'Erst schenigeln, dann mit dem Kies in der Beiz acheln', heißt zum Beispiel, 'erst arbeiten, dann mit dem Geld im Wirtshaus essen gehen'."
Frisch zurückgekehrt nach Sachsen, eröffneten die zwei vor drei Jahren ihre eigene Meisterwerkstatt in Pirna. Fehlte nur noch ein passender Name. "Die ganze Verwandtschaft und Bekannte waren aufgerufen, kreativ zu sein", erzählt Anna.
Am Ende schloss der Vorschlag von Friedas Oma den Vogel ab. Sie kombinierte die Anfangsbuchstaben von dem, was die Werkstatt ihrer Enkelin sein sollte - antik, klassisch und modern zugleich. Und so war der Firmenname "ANKLAMO Buchbinderei und Atelier" geboren.
Das Duo kümmert sich um Reparaturen und Kunstdrucke aller Art
Sie befindet sich heute auf dem ehemaligen Pirnaer Kasernengelände in der Rottwerndorfer Straße, gleich vis-a-vis vom DDR-Museum. Hier werden lose Blätter zu Büchern, Listen zu gebundenen Speisekarten und beschädigte Bücher nach einer Auffrischungskur zu wieder voll funktionstüchtigen Büchern.
Anna ist im Doppelteam die Expertin für Reparaturen. Sie kann Risse im Papier schließen, indem sie sie mit aufgekleistertem hauchdünnen japanischen Papier fixiert. Zum Vergleich: Während handelsübliches Kopierpapier 80 g/m² wiegt, bringt das japanische "Pflaster" nur bis zu 4 g/m² auf die Waage - ist also 20 Mal dünner und damit durchscheinend.
Ihre Kunden für Kunstdrucke oder Reparaturen sind zumeist Privatleute, die sich Hochzeitszeitungen, Dankesbücher für die Kita-Leiterin oder Gästebücher mit eingelegten Fotos binden lassen. "Manche lassen auch ihre Erinnerungs- oder Erbstücke reparieren - Bibel-, Koch-, Märchen- und Kinderbücher wie einmal 'Der kleine Maulwurf'", sagt Anna.
Geschäftskunden lassen in der Werkstatt zum Beispiel Speisekarten anfertigen. Auch das Unitätsarchiv der Herrnhuter Brüdergemeine und die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar zählen zu ihren Auftraggebern. Und so lassen die beiden Expertinnen ein altes Handwerk überleben, das längst zum Kunsthandwerk geworden ist.
Wer die Buchbinderinnen und die Möglichkeiten ihres Handwerks kennenlernen will, kann am 24. August zum Tag des Offenen Hauses kommen.
Außerdem gibt es in der Werkstatt Kursangebote (ab 60 Euro) für Interessierte. Infos und Anmeldung: www.anklamo.de