Journalistin bringt Zwickauern Mordfall Ayla zurück ins Gedächtnis
Zwickau - Vor zwanzig Jahren verschwand die sechsjährige Ayla aus Zwickau auf dem Schulweg – wenig später war sie tot. Kaum ein Verbrechen hat die Stadt so erschüttert. Journalistin Gabi Thieme (72) hat den Fall in einem bewegenden Buch noch einmal aufgegriffen.
Alles in Kürze
- Journalistin Gabi Thieme schreibt Buch über Mordfall Ayla.
- Ayla verschwand 2005 auf dem Schulweg in Zwickau.
- Sexualstraftäter missbrauchte und ermordete das sechsjährige Mädchen.
- Täter wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, 2024 Haftentlassung abgelehnt.
- Thiemes Buch soll das Vergessen verhindern und Aylas Geschichte bewahren.

Dienstagmorgen nach Pfingsten 2005: Ayla (6) aus Zwickau-Pölbitz hat nur 100 Meter bis zur Schule. Doch im Klassenzimmer kommt sie nie an. Journalistin Gabi Thieme (72) saß im Gerichtssaal, als das Grauen zur Sprache kam.
"Ich wollte den Fall nicht neu aufrollen", sagt sie. "Ich wollte die Geschichte erzählen und zeigen, was aus den Protagonisten geworden ist." Denn Ayla ist nicht einfach gestorben. Sie wurde von einem vorbestraften Sexualstraftäter in den Kofferraum gezerrt, missbraucht und ermordet. Im Wald verscharrt. Kaum jemand in Zwickau hat das vergessen.
Über 800 Personen kamen zur Beerdigung. Noch mehr verfolgten den Prozess. Und viele erinnern sich bis heute an das Foto des sechsjährigen Mädchens mit dem kecken Grinsen.
Zwei Zeugen brachten damals die Wende. Eine Schülerin sah einen Mann mit einem Kind am Kofferraum. Ein Anwohner hörte Schreie. Die Polizei fand das Auto, den Täter (damals 37) – ein Mann, der schon als 17-Jähriger eine Rentnerin erstochen hatte.
Das Urteil: lebenslang. 2024 beantragte er Haftentlassung – sie wurde abgelehnt. Für Aylas Familie die erste gute Nachricht seit langem.


Den Fall Ayla muss man erzählen

"Ich war vor 19 Jahren mit der Oma am Grab", erzählt Thieme. "Damals war sie ein Wrack." 15 Jahre lang kämpfte sie mit psychosomatischen Schmerzen, war in Kliniken, bei Therapeuten, "es hat kaum etwas geholfen", sagt sie.
Doch als Thieme das Buch schreiben wollte, war die Großmutter bereit. Sie gab ihr Tagebücher, ein Fotoalbum, Erinnerungen – und ihre Zustimmung. Die Mutter hingegen wollte nicht noch einmal darüber sprechen.
Im Buch verwebt Thieme Aylas Geschichte mit anderen Kinderschicksalen. Es ist kein True-Crime-Thriller. Es ist ein Buch gegen das Vergessen. "Ich habe lange gehadert, ob ich es schreiben darf", sagt sie. "Aber dann hat mich ein Polizist ermutigt: Das war der schlimmste Fall meines Lebens, hat er gesagt. Und den muss man erzählen."
Am Sonntag nach dem Mord wurde Ayla beerdigt. Sechs Monate später begann der Prozess. Der Täter blieb regungslos. Kein Bedauern. Kein Mitgefühl.
Nur einmal zeigte er Tränen – als seine Freundin ihn als guten Menschen beschrieb. "Das hat mich fassungslos gemacht", sagt Thieme. "Seine Gleichgültigkeit war schlimmer als jedes Geständnis."
Zur Lesung im Zwickauer Kino "Astoria" waren mehr Menschen gekommen, als es die ehemalige Journalistin gedacht hätte. "Die Hälfte der Leute kannte den Fall nicht", sagt sie. "Aber sie hörten zu. Und das ist vielleicht das Wichtigste. Dass man nicht vergisst."
Titelfoto: Bildmontage: Sven Gleisberg/Archiv