40 Jahre nach tödlichem Unfall: Fecht-Olympiasieger Behr hilft Opfer-Familie

Tauberbischofsheim - Die schwere Zeit kann Deutschlands einziges Olympiasieger-Ehepaar nun endlich hinter sich lassen.

Matthias Behr nach dem tragischen Unfall während der Weltmeisterschaft am 19. Juli 1982 in Rom.
Matthias Behr nach dem tragischen Unfall während der Weltmeisterschaft am 19. Juli 1982 in Rom.  © UPI/dpa

Gut 40 Jahre nach jenem tragischen Todesfall bei der Weltmeisterschaft in Rom scheint der einstige Fechtstar Matthias Behr (67) seinen Frieden gefunden zu haben.

Gemeinsam mit seiner Frau, der früheren Top-Fechterin Zita Funkenhauser (55), hat er aus der Ukraine geflüchtete Verwandte von Wladimir Smirnow (†28) aufgenommen, der damals bei der WM von Behrs Florett tödlich verletzt worden war. "Für mich schließt sich ein Kreis", sagt Behr der Deutschen Presse-Agentur.

Mittlerweile sitzen die beiden ehemaligen Weltklasse-Fechter wieder allein am Frühstückstisch, die junge Familie aus der Ukraine ist in eine kleine, möblierte Wohnung gezogen.

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Durch die vorübergehende Aufnahme von Vater Andrii und dessen Söhnen Artemii und Evgenii hatte der 67 Jahre alte Behr ein Stück weit seiner eigenen Vergangenheit ins Gesicht geschaut.

Die Flüchtlinge aus der Ukraine, die Verwandten von Smirnows Witwe Emma, waren am 14. März in Tauberbischofsheim eingetroffen. "Für unseren Familienrat war sofort klar, dass wir das machen", sagt Behr.

"Dieses Geräusch, als die Klinge brach, habe ich heute noch im Ohr"

Matthias Behr (67, 2.v.r.) und seine Frau Zita Funkenhauser (55, r.) mit den aus der Ukraine geflüchteten Verwandten von Wladimir Smirnow (†28).
Matthias Behr (67, 2.v.r.) und seine Frau Zita Funkenhauser (55, r.) mit den aus der Ukraine geflüchteten Verwandten von Wladimir Smirnow (†28).  © Leandra Behr/privat/dpa

Damals bei der WM, am 19. Juli 1982, stand Smirnow für die damalige UdSSR auf der Planche. Bei dem tragischen Unfall brach die Klinge von Behrs Florett und durchdrang die Maske des Gegners, der wenige Tage später an den Folgen starb.

"Dieses Geräusch, als die Klinge brach, habe ich heute noch im Ohr. Ich konnte es lange nicht fassen. Wladimir war mein Freund", sagt Behr.

Der Team-Olympiasieger von 1976 litt unter den Folgen des Unfalls und später auch an Depressionen. "Ich habe schnell begriffen, wie sehr Matthias dieser Unfall belastet. Das ist sein Lebensthema. Dass Matthias später an einer schweren Depression erkrankte, hatte sicher auch darin seine Ursachen", sagte Zita Funkenhauser (55) im Magazin Bunte.

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Erst 2017 traf Behr Wladimir Smirnows Witwe Emma und besuchte mit ihr das Grab. Weitere fünf Jahre später bot sich ihm nun die Chance, der Familie zu helfen.

Emma Smirnowa bat den Tauberbischofsheimer um Unterstützung. Sie hoffte, dass Behr die kleine Familie aufnehmen würde. Emma Smirnowa selbst lebt trotz der russischen Invasion weiter in der Nähe von Kiew, um sich um den bettlägerigen Sohn zu kümmern. Die Tochter, Andriis Ehefrau, lebt ebenfalls nicht mehr. "Eine tragische Familiengeschichte", sagt Behr, der mit Emma Smirnowa in Kontakt geblieben ist.

Behr nimmt Abstand zum Fechtsport, aber "natürlich schaue ich mal in den Livestream rein"

"In unserem großen Haus sind wir zusammengerückt, das war aber kein Problem", sagt Behr. "Sie lebten in einem Zimmer. Der Papa schlief mit dem jüngeren Sohn im Doppelbett und Artemii auf einer Matratze auf dem Boden. Sie hatten auch eine Nasszelle und eine Küche, um Kaffee zu kochen." Der Wunsch nach Eigenständigkeit sei aber immer zu spüren gewesen, sagt Behr.

Inzwischen ist es wieder etwas ruhiger. Fünf Minuten sind es zu Fuß für Matthias Behr zur neuen Wohnung der jungen Familie aus der Ukraine. Behr hilft immer noch, wo er nur kann. "Da geht es um Impfungen, Arzttermine, Behördengänge", sagt Behr. "Andrii, den ich Andreas nenne, ist aber sehr ehrgeizig und versucht, unsere Sprache zu lernen. Sein Kurs an der Volkshochschule hat begonnen und ich gehe davon aus, dass sie in Deutschland bleiben wollen."

Behr ist mittlerweile Rentner. Er kümmert sich nicht nur weiter liebevoll um die besonderen Gäste in der Nachbarschaft. Auch seine Schwiegereltern brauchen Pflege. "Ich mache das alles gerne", sagt er. "Aber natürlich kostet die Unterstützung auch Kraft und Energie. Abends ist man müde."

Zum Ausgleich spielt Behr Badminton beim heimischen Fechtklub. Zu seiner Sportart, in der er so erfolgreich war, aber wegen der er auch so gelitten hat, nahm er Abstand. Obwohl seine Tochter immer noch Wettkämpfe für die Nationalmannschaft bestreitet. "Ich brauche die ganzen Emotionen nicht mehr", sagt Behr. "Natürlich schaue ich mal in den Livestream rein, aber inzwischen kriege ich das alles eher aus der Ferne mit."

Daheim gebe es schließlich genug zu tun. "Es war eine Herausforderung und langweilig wird es mir nicht", sagt Behr. In erster Linie ist er aber froh, dass er der Familie, der er unverschuldet Leid zugefügt hat, etwas zurückgeben kann.

Titelfoto: Leandra Behr/privat/dpa

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