3:7 in Uerdingen: "Komplettes Versagen der besten Dynamo-Mannschaft überhaupt!"

Dresden - Es ist der 19. März 1986, ein 13-jähriger Junge, Fußball-Fan, sitzt im heimischen Wohnzimmer. Die erste Hälfte des Viertelfinal-Rückspiels im Europapokal der Pokalsieger zwischen Bayer 05 Uerdingen und der SG Dynamo Dresden darf er anschauen, dann ruft das Bett.

Wolfgang Funkel (2.v.l.) trifft per Handelfmeter zum 6:3 für Bayer Uerdingen, der zur zweiten Halbzeit eingewechselte Dynamo-Keeper Jens Ramme hat keine Chance. Es war Funkels dritter Treffer in der Partie.  
Wolfgang Funkel (2.v.l.) trifft per Handelfmeter zum 6:3 für Bayer Uerdingen, der zur zweiten Halbzeit eingewechselte Dynamo-Keeper Jens Ramme hat keine Chance. Es war Funkels dritter Treffer in der Partie.    © imago images/Horstmüller

Am nächsten Tag ist Schule. 3:1 zur Pause nach dem 2:0 im Hinspiel für die Sachsen, beruhigt geht der Junge schlafen. Was soll da noch passieren? Es passierte Unglaubliches!

Der nächste Morgen. "Dresden ist rausgeflogen", sagt der Vater. "Quatsch", antwortet der Junge. "Doch", erwidert der Vater. "3:7 verloren." "Hä? Das ist doch Blödsinn." Frühstücksfernsehen gibt es noch nicht, also Radio an. 3:7 verloren. Glauben kann es der Teenager nicht. Ist aber so.

Glauben konnte das auch Torsten Gütschow nicht - und er war dabei! Live auf dem Rasen, in der 28. Minute eingewechselt für Matthias Sammer. 

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Ihm erging es wie dem 13-Jährigen, als der mit dem Halbzeitpfiff ins Bett musste. "Was soll da schon passieren?"

Gütschow erinnert sich auch nach 34 Jahren noch genau daran: "Das war das Problem, wir saßen in der Kabine und uns war klar: Wir sind durch, da kann nix mehr schiefgehen." 

Was dann folgte, beschreibt er als "komplettes mannschaftliches Versagen". 

Dynamo Dresden fing sich in 29 Minuten sechs Gegentore

Das 1:1! Wolfgang Funkel steigt hoch und köpft ein. 
Das 1:1! Wolfgang Funkel steigt hoch und köpft ein.   © imago images/Horstmüller

Und das von einer "Truppe, der das nicht hätte passieren dürfen. Das war die beste Dynamo-Mannschaft überhaupt. Klasse Verteidiger, Kämpfer, Techniker, sensationelle Mittelfeldspieler, Top-Stürmer. Wir haben europäischen Ansprüchen genügt. Aber wir haben alle versagt, alle".

Zwischen der 57. und 86. Minute fing sich Dynamo sechs Stück ein. "Da waren auch kuriose Entscheidungen dabei, der eine Elfmeter. Kurz vor der Pause das böse Foul von Wolfgang Funkel an Bernd Jakubowski. Das war Rot. 'Jaku'' konnte danach nie wieder Fußball spielen. Aber am Ende haben wir es ganz alleine versaut."

Für Jakubowski kam Jens Ramme. "Der war die ärmste Sau, er hatte noch nie ein Profispiel bestritten und wurde ins arschkalte Wasser geworfen. Er konnte nichts dafür, wurde danach angefeindet und von Dynamo fallen gelassen."

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Kontakt hat Gütschow zu Ramme nicht mehr. "Keine Ahnung, was er macht. Ich habe ihn seit Jahren nicht mehr gesehen." 

Nach TAG24-Informationen arbeitet der heute 57-Jährige in der Altenpflege.

Torsten Gütschow zu Auswirkungen: "Bei uns lief ab diesem Tag gar nichts mehr"

Eine der entscheidenden Szenen des Spiels: Nach einem bösen Foul von Funkel liegt Dynamo-Schlussmann Bernd Jakubowski verletzt am Boden und muss zur Pause ausgewechselt werden. Andreas Trautmann reklamiert.
Eine der entscheidenden Szenen des Spiels: Nach einem bösen Foul von Funkel liegt Dynamo-Schlussmann Bernd Jakubowski verletzt am Boden und muss zur Pause ausgewechselt werden. Andreas Trautmann reklamiert.  ©  imago images/Kicker/Eissner

Das 3:7, das später als Spiel des Jahrhunderts in die Geschichte einging, war schlimm, für die Dynamo-Verantwortlichen aber noch nicht das Schlimmste.

Frank Lippmann blieb nach dem Spiel im "Westen". "Das kam noch hinzu", so Gütschow. "Wir durften bei denen danach antanzen, die wollten wissen, warum, wieso. Wir hatten doch alle keine Antworten."

Für Gütschow war es die schwerste Zeit bei Dynamo. Das Aus, Lippmann weg, später auch Klaus Sammer und sein Co. Dieter Riedel entlassen. "Dixie" Dörner musste nach der Saison aufhören.

"Bei uns lief ab diesem Tag gar nichts mehr. Wir haben noch so ein Spiel im FDGB-Pokal gegen Union Berlin verhauen, in der Meisterschaft wurden wir Vierter oder Fünfter. Alle waren froh, als diese Saison endlich vorbei war."

Geblieben ist die Erinnerung an das aus Uerdinger Sicht "Wunder von der Grotenburg". Heute kann Gütschow drüber schmunzeln.

"Das ist halt der Fußball, siehe das 7:1 von Deutschland gegen Brasilien oder Barcelonas 6:1 gegen Paris nach 0:4 im Hinspiel. Damals hat es halt uns erwischt", erzählt er heute dem 13-Jährigen von damals.

3:7 verloren, EC-Aus, Frank Lippmann im Westen geblieben - Trainer Klaus Sammer musste nach der Saison seinen Hut nehmen.  
3:7 verloren, EC-Aus, Frank Lippmann im Westen geblieben - Trainer Klaus Sammer musste nach der Saison seinen Hut nehmen.    © imago images/teutopress

Statistik zum Hinspiel zwischen Dynamo Dresden und Bayer 05 Uerdingen

Mit einer artistischen Einlage versucht Hans-Jürgen Dörner das 3:4 zu verhindern, es gelingt ihm nicht. 
Mit einer artistischen Einlage versucht Hans-Jürgen Dörner das 3:4 zu verhindern, es gelingt ihm nicht.   © imago images/Horstmüller

Europapokal der Pokalsieger, Saison 1985/86, Viertelfinale, Hinspiel, 5. März 1986:

SG Dynamo Dresden - Bayer 05 Uerdingen 2:0 (0:0)

Dynamo Dresden: Bernd Jakubowski, Steffen Büttner, Hans-Jürgen Dörner, Andreas Trautmann, Matthias Döschner, Reinhard Häfner, Hans-Uwe Pilz, Matthias Sammer (ab 69. Torsten Gütschow), Jörg Stübner, Ulf Kirsten, Frank Lippmann

Bayer Uerdingen: Werner Vollack, Werner Buttgereit (ab 89. Norbert Brinkmann), Michael Dämgen, Wolfgang Funkel, Matthias Herget, Dietmar Klinger, Karl-Heinz Wöhrlin, Rudi Bommer, Friedhelm Funkel, Atli Edvaldsson (ab 53. Franz Raschid), Wolfgang Schäfer

SR: Joel Quiniou (FRA) - Zuschauer: 36.000 – Tore: 1:0 Lippmann (50.), 2:0 Pilz (60.)

Statistik zum Rückspiel zwischen Dynamo Dresden und Bayer 05 Uerdingen

Torsten Gütschow (r.), in der 28. Minute eingewechselt, wartet hinter Uerdingens Michael Dämgen auf eine Hereingabe.
Torsten Gütschow (r.), in der 28. Minute eingewechselt, wartet hinter Uerdingens Michael Dämgen auf eine Hereingabe.  ©  imago images/Kicker/Eissner

Rückspiel, 19. März 1986

Bayer 05 Uerdingen – SG Dynamo Dresden 7:3 (1:3)

Bayer Uerdingen: Werner Vollack, Werner Buttgereit, Michael Dämgen, Wolfgang Funkel, Matthias Herget, Rudi Bommer, Friedhelm Funkel, Franz Raschid (ab 53. Dietmar Klinger), Horst Feilzer, Larus Gudmundsson (ab 74. Peter Loontiens), Wolfgang Schäfer

Dynamo Dresden: Bernd Jakubowski (ab 46. Jens Ramme), Hans-Jürgen Dörner, Andreas Trautmann, Matthias Döschner, Reinhard Häfner, Hans-Uwe Pilz, Matthias Sammer (ab 28. Torsten Gütschow), Jörg Stübner, Ulf Kirsten, Frank Lippmann, Ralf Minge

SR: Lajos Nemeth (HUN) - Zuschauer: 20.000 - Tore: 0:1 Minge (1.), 1:1 W. Funkel (13.), 1:2 Lippmann (35.), 1:3 Bommer (Eigentor), 2:3 W. Funkel (57./Foulelfmeter), 3:3 Gudmundsson (62./Eigentor), 4:3 Schäfer (66.), 5:3 Klinger (78.), 6:3 W. Funkel (79./Handelfmeter), 7:3 Schäfer (86.)

Das machen die damaligen Spieler von Dynamo Dresden heute

Ralf Minge, der das 1:0 für Dynamo erzielte, grätscht in einen Ball. Einige Quellen schreiben den Uerdinger Ausgleich zum 3:3 durch Larus Gudmundsson auch dem Dresdner zu, weil der den Ball per Kopf ins eigene Tor abgefälscht hatte.
Ralf Minge, der das 1:0 für Dynamo erzielte, grätscht in einen Ball. Einige Quellen schreiben den Uerdinger Ausgleich zum 3:3 durch Larus Gudmundsson auch dem Dresdner zu, weil der den Ball per Kopf ins eigene Tor abgefälscht hatte.  © dpa/Franz-Peter Tschauner

Jens Ramme (57) Altenpflege

Hans-Jürgen Dörner (69) Aufsichtsratsmitglied bei Dynamo

Matthias Döschner (62) Trainer beim SG Hoppecketal/Padberg (Quelle: Wikipedia)

Andreas Trautmann (60) U19-Co-Trainer/Nachwuchs-Akademie bei Dynamo

Hans-Uwe Pilz (61) Berufsschullehrer in Plauen

Matthias Sammer (52) Externer Berater bei Borussia Dortmund

Torsten Gütschow (57) Trainer, zuletzt Budissa Bautzen

Ralf Minge (59) Sportgeschäftsführer bei Dynamo

Ulf Kirsten (54) zuletzt sportlicher Berater bei Wacker Nordhausen

Frank Lippmann (57) Trainer beim Königswarthaer SV

Trainer Klaus Sammer (77) Ruhestand

Bernd Jakubowski (25.7.2007), Reinhard Häfner (24.10.2016) und Jörg Stübner (24.06.2019) sind verstorben.

Titelfoto: imago images/teutopress

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