Grober Fehler: Diese Lüge hat sich über 15 Jahre auf Wikipedia gehalten!

San Francisco (USA) - Nicht alles, was im Internet steht, ist wahr: Dieser Ausspruch bewahrheitet sich nun einmal mehr, wie in einem Buch über die weltweit bekannte Enzyklopädie aufgedeckt wurde.

Unter einer Lupe ist das Logo der Wikipedia auf einem Bildschirm zu sehen.
Unter einer Lupe ist das Logo der Wikipedia auf einem Bildschirm zu sehen.  © dpa/Jens Büttner

In der vergangenen Woche veröffentliche Pavel Richter sein Buch "Die Wikipedia-Story - Biografie eines Weltwunders". Der 51-Jährige war jahrelang Geschäftsführer sowie später Vorstand von Wikimedia Deutschland und kennt sich deshalb bestens mit der frei zugänglichen Plattform aus.

In seiner "Wikipedia-Story" klärte er auch darüber auf, dass es immer wieder dazu kommt, dass Unwahrheiten auf Wikipedia stehen. Oft verschwinden diese aufgrund der großen Community jedoch wieder rasch. Aber eine Lüge hielt sich tatsächlich über 15 Jahre auf den Internetseiten der Wikipedia.

Darin ging es um das "Konzentrationslager Warschau". Nutzer aus mehreren Ländern trugen 2004 bereits ein, dass es sich dabei um ein Vernichtungslager der Nazis handelte, in dem etwa 200.000 Polen vergast wurden sein sollen. Doch das stimmte gar nicht.

"Kleinanzeigen" down! Massive Störungen beim Verkaufsportal
Internet "Kleinanzeigen" down! Massive Störungen beim Verkaufsportal

"Es gab tatsächlich für mehrere Monate ein Lager auf den Trümmern des Warschauer Gettos", erklärte Richter in seinem Buch, von welchem er auf Spiegel.de einen Ausschnitt vorstellte, "aber dieses fungierte niemals als Vernichtungslager".

So wurde die Warschau-Lüge eingeschleust - und aufgedeckt!

Juden aus dem Warschauer Getto werden im Sommer 1942 in Güterwaggons verladen und in ein Vernichtungslager transportiert.
Juden aus dem Warschauer Getto werden im Sommer 1942 in Güterwaggons verladen und in ein Vernichtungslager transportiert.  © dpa/CAF

Dass der Fehler gefunden wurde, war schließlich 2019 der israelischen Zeitung Haaretz zu verdanken.

Nachdem der israelische Bericht bekannt wurde, passten Wikipedia-Mitglieder die jeweiligen Seiten in ihrer Landessprache an und entfernten die Lüge komplett.

Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass Wikipedia in mehreren Ländern diesen Fehler so lange stehen ließ?

Der Schein trügt: Gefährlichster Urzeit-Räuber wird zum süßen Internet-Hit!
Internet Der Schein trügt: Gefährlichster Urzeit-Räuber wird zum süßen Internet-Hit!

"Im Fall des Warschauer 'Vernichtungslagers' hat nicht etwa irgendjemand aus Spaß falsche Fakten in einem bestehenden Artikel platziert", erklärte Richter weiter. "Vielmehr wurde Wikipedias Reichweite und Reputation dazu verwendet, eine bereits bestehende Lüge erneut in den öffentlichen Diskurs zu bringen."

Bereits in den 1970er-Jahren wurde diese Lüge zum ersten Mal verbreitet. Die polnische Richterin Maria Trzcinska, die der polnischen Kommission zur Aufklärung der NS-Verbrechen in Polen angehörte, stellte wohl als Erste die Behauptung über die Vergasungen auf und nannte die Zahl der vermeintlichen Todesopfer.

Andere Historiker griffen die These aber nicht auf. Doch dank Wikipedia konnten einige Nationalisten ihre Theorien verbreiten.

Ehemaliger Wikipedia-Chef zum Fehler: "Redaktionsprozesse haben hier nicht funktioniert"

Pavel Richter (51) war Geschäftsführer der deutschen Wikipedia (Archivbild).
Pavel Richter (51) war Geschäftsführer der deutschen Wikipedia (Archivbild).  © dpa/Peter Wendt

"Es hätte den Wikipedianern auffallen müssen, dass die Zahl der angeblich 200.000 vergasten Polen absurd war", führte Pavel Richter weiter aus. Unter anderem, weil es sich um die Anzahl der bei dem Warschauer Aufstand der polnischen Heimatarmee Gestorbenen handelte. Zudem fehlten Dokumentationen zu den Zahlen.

"Die Wikipedia-Redaktionsprozesse haben hier nicht funktioniert", resümiert Pavel Richter. "Natürlich ist es notwendig und geboten, öffentlich auf solche Vorkommnisse hinzuweisen."

"Doch es ist zu einfach, Wikipedia als Institution verpflichten zu wollen, 'etwas' dagegen zu tun. Wikipedia sind wir alle", erläutert der ehemalige Wikipedia-Deutschland-Chef.

Dass mehr als 15 Jahre ein erfundenes Vernichtungslager in der Wikipedia stand, sei jedoch nicht nur ein Problem der Wikipedia: "Es ist zuvorderst ein Problem der etablierten Geschichtsforschung, die das Projekt Wikipedia als zentrale Ressource der Wissensvermittlung offensichtlich lange nicht ernst genommen hat."

Es wäre ein großer Gewinn, wenn Forscher Daten verifizieren und auch selbst eintragen würden.

In der deutschen Wikipedia stand der Artikel übrigens von Anfang an wahrheitsgemäß: "Es gab hier keine Gaskammern. Die meisten Menschen kamen durch schlechte Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie durch Misshandlungen um", hieß es 2005 darin, als der Beitrag über das Warschauer Lager erstellt wurde.

Titelfoto: dpa/Jens Büttner

Mehr zum Thema Internet: