Vom Mythos einer königlichen Krankheit: Bluter zwischen Blümchensex und radikalen Selbstzweifeln

Dresden - Hämophilie ist eine genetische Blutungsstörung, die auch als Bluterkrankheit bezeichnet wird. Aufgrund einer genetischen Veränderung werden nicht alle für die Gerinnung nötigen Bestandteile gebildet. Das Blut gerinnt entweder sehr langsam oder gar nicht. Was häufig unbesprochen bleibt: Die Betroffenen erfahren indirekte Risiken und unmittelbare Schmerzen beim Sex.

Männer sind häufiger betroffen als Frauen: Bei einer Hämophilie ist die Blutgerinnung gestört, aber auch die Gelenke schmerzen mitunter so sehr, dass keine Sex-Position auszuhalten ist. (Symbolbild)
Männer sind häufiger betroffen als Frauen: Bei einer Hämophilie ist die Blutgerinnung gestört, aber auch die Gelenke schmerzen mitunter so sehr, dass keine Sex-Position auszuhalten ist. (Symbolbild)  © 123rf/serezniy

Leichte Stöße, lieb gemeinte Berührungen und lustvolle Klappser - alles, das dem Menschen das Blut in Wallung und damit unter die Haut und ins Fleisch treibt, kann zu Blutungen führen.

Daher warnen Experten die betroffenen Bluter auch davor, allzu heftigen Sex und Analsex zu praktizieren, berichtet "VICE-News". Denn je heftiger der Sex, desto höher ist das Risiko von äußeren und inneren Blutungen.

Die Sorge eines Bluters ist dabei ganz konkret: Dass beim Sex der eigene Körper nicht hält. Patrick James Lynch kennt diese Sorge genau. Der bekannte Filmregisseur leidet selbst an der Bluterkrankung. Im Interview mit "VICE-News" verrät er intime Details aus seinem versehrten Liebesleben:

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"Ich habe niemals den Punkt erlebt, an dem ich mich sexuell wirklich wohlgefühlt habe."

Lynch gibt preis, dass sein ständiger Begleiter beim Sex der Gedanke war, der eigene Körper habe ihn verraten. Er hat Jahre gebraucht, um mit seiner jetzigen Freundin ein Sexleben zu etablieren und zu behaupten.

Mehrfache tägliche Masturbation hilft gegen Schmerzen und stärkt das Selbstvertrauen

Der an Hämophilie erkrankte US-Regisseur Lynch stellte irgendwann fest, dass mehrfache tägliche Masturbation seine Schmerzen lindert. (Symbolbild)
Der an Hämophilie erkrankte US-Regisseur Lynch stellte irgendwann fest, dass mehrfache tägliche Masturbation seine Schmerzen lindert. (Symbolbild)  © 123rf/andreypopov

Ein Weg zu Besserung war der langsame Gewinn von Vertrauen in seinen Körper, wie der US-Regisseur Lynch weiter erzählt: "Irgendwann habe ich realisiert, was mir wirklich hilft, um mich im Bett nicht vor Schmerzen zu winden, ist Masturbation."

Lynch onanierte täglich mehrfach. Seine Freundin Natalie merkte schnell, dass ihr Freund zwar schmerzfrei war, aber auch keine Lust auf sie hatte: "Wir haben uns eine Woche nicht gesehen und natürlich dachte ich, dass wir dann Sex hätten. Ich habe mich super sexy und bereit gefühlt, aber Patrick hat mich abgeblockt. Das hat mein Ego schon getroffen", berichtet Natalie "VICE-News".

Was die Beziehung der beiden gerettet hat, waren Gespräche: "Unsere Kommunikation zu verbessern war entscheidend. Seit dem zweiten Jahr unserer Beziehung haben wir mindestens ein Mal im Monat einen Paartherapeuten besucht", erklärt Natalie.

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Sich selbst oder den eigenen Partner zu verletzen, weil man ihn liebkosen will, führt häufig zum Verlust von Eros in der sexuellen Beziehung, weiß Patrick James Lynch zu berichten.

Spontane Blutungen und indirekte Verletzungen beim Bluter

Spontane Blutungen und Blutergüsse sind bei den Betroffenen auch ohne äußere Einwirkung möglich. Aber auch mit indirekten Verletzungen und den daraus resultierenden Ängsten haben Bluter zu kämpfen. (Symbolbild)
Spontane Blutungen und Blutergüsse sind bei den Betroffenen auch ohne äußere Einwirkung möglich. Aber auch mit indirekten Verletzungen und den daraus resultierenden Ängsten haben Bluter zu kämpfen. (Symbolbild)  © 123RF/alexstockphoto21

Es geistern unzählige Fehlinformation zu Blutern in der Netzwelt und den Vorstellungen von Menschen herum: Menschen mit Hämophilie schneiden sich mit einem Blatt Papier und bluten zu Tode; aber Bluter gibt es ja zum Glück nur in den Verästelungen königlicher Stammbäume - Das sind nur zwei der unzähligen Fehlinformationen, die im Bericht von "VICE-News" genannt werden.

Die Wahrheit ist, dass Bluter nicht schneller bluten, sondern länger. Die Wahrheit ist, Hämophilie ist eine angeborene Blutgerinnungsstörung. Die Wahrheit ist auch, die Krankheit tritt bei Menschen mit rotem Blut genauso auf wie bei Menschen mit blauem Blut.

Es scheint dabei unvermeidbar, dass Bluter aufgrund von Sex blaue Flecken und Blutergüsse aufweisen können. Solche "direkten Verletzungen sind aber nicht die gewöhnliche Hauptsorge der Betroffenen".

Die Hauptsorge besteht darin, dass die Menschen mit Gelenkschmerzen zu kämpfen haben und die Positionen beim Sex nicht aushalten. Ängste vor dem Scheitern beim Sex und Ängste vor dem Verletzen beim Sex sind die großen Sorgen der Betroffenen.

"Mittlerweile ist die Therapie so gut, dass die Bluterkrankheit in vielen Fällen beherrschbar geworden ist", sagt Prof. Dr. Barbara Zieger, Leiterin der Sektion für Pädiatrische Hämostaseologie am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Freiburg.

Titelfoto: 123rf/serezniy

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