Von Simone Humml
Leipzig - "Ich dachte, ich benehme mich wie ein Kleinkind", erzählt Mara, die sich vor vielen Dingen, die die meisten Menschen lieben, ekelt. Doch dahinter steckt eine ernstzunehmende Krankheit.
"Nein, auch keine Erdbeeren." Mara muss oft erklären, was sie alles nicht essen kann: Keine Orangen und nahezu kein anderes festes Obst oder Gemüse, kein kaltes gegartes Fleisch.
"Vor dem Weihnachtsessen mit der Firma, da habe ich schon Schweißausbrüche bekommen", sagt sie. Bis sie ein Kind mit ähnlichem Essverhalten auf Instagram gesehen habe. "Dessen Mutter benannte das Verhalten ihres Kindes mit dem Wort Arfid."
Seit einigen Jahren ist die Krankheit bekannt: Arfid oder auch vermeidend-restriktive Ernährungsstörung. "Es gibt einen Unterschied zwischen Sachen, die ich nicht mag, und Sachen, die ich nicht essen kann", erklärt Mara.
Sie möge kein Marzipan, aber gekochten Schinken bekomme sie einfach nicht hinunter. "Das ist wie beim Dschungelcamp, wenn Menschen bestimmte Innereien nicht essen können."
Sowohl Erwachsene als auch Kinder sind betroffen
Betroffen von Arfid sind sowohl Erwachsene als auch Kinder. Dabei könne es zum Beispiel um die Abwehr von Nahrungsmitteln aufgrund des Geruchs, des Geschmacks, der Konsistenz oder des Aussehens gehen, sagt Ricarda Schmidt von der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Leipzig.
Viele der Kinder oder Erwachsenen empfänden keinen Hunger, hätten Ängste vor dem Essen oder wenig Appetit. Manchmal sei die Abwehr gegen Essen so stark, dass Kinder Mangelerscheinungen bekommen oder abnehmen, sagt Schmidt.
Es sei mehr als allgemeine Mäkeligkeit oder wählerisches Essen, was viele Kinder im Rahmen ihrer Entwicklung zeigten und was meistens vergehe.
Arfid (kurz für: Avoidant/Restrictive Food Intake Disorder) wurde erstmals 2013 in einem Diagnoseleitfaden der USA als eigenständige Krankheit anerkannt. Die Essstörung wurde zudem in die Internationale Klassifikation der Erkrankungen der WHO von 2022 aufgenommen, die in Deutschland aber noch nicht genutzt wird.
Die Zahl der Betroffenen ist unbekannt. Eine konkrete Therapie gibt es nicht, aber einen Selbsthilfeverein mit Sitz in Münster.
Über die Ursachen von Arfid weiß man bislang wenig. Eine genetische Veranlagung könnte gerade bei Betroffenen, die empfindlich gegenüber Gerüchen, Textur oder Geschmacksrichtungen seien oder einen Ekel vor vielen Speisen hätten, eine Rolle spielen, sagt Schmidt.
Eltern sollten zum Kinderarzt gehen, um die körperlichen Folgen abschätzen zu lassen. Er könne auch abklären, ob Magen-Darm-Probleme oder eine Nahrungsmittelallergie vorliegen.