Der katholischen Kirche rennen die Gläubigen davon: "Quälender Tod vor den Augen der Öffentlichkeit"

Bonn - Diese Zahl ist dramatisch! Die katholische Kirche hat allein im vergangenen Jahr 522.821 Mitglieder verloren. Das teilte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am heutigen Mittwoch mit. Noch nie zuvor rannten der skandalerschütterten Institution so viele Mitglieder binnen zwölf Monaten davon.

Die Kirche hat in Deutschland ein Problem.
Die Kirche hat in Deutschland ein Problem.  © dpa/Oliver Berg

Dabei hatte die Kirche erst im Jahr 2021 einen Negativ-Rekord bei den Austritten verzeichnen müssen. 359.338 sagten damals der Institution Lebewohl. 2022 waren es noch einmal 163.483 mehr.

"Die katholische Kirche stirbt einen quälenden Tod vor den Augen der gesellschaftlichen Öffentlichkeit", sagt Kirchenrechtler Thomas Schüller (62). "Viele Ursachen spielen hierbei hinein, auch [...] die kardinale Tragödie in Köln, in deren Strudel alle Bistümer und selbst die evangelischen Landeskirchen mit hineingezogen werden."

In der Tat waren die Geschehnisse um Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki (66) wohl einer der Brandbeschleuniger im vergangenen Jahr.

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Erst jüngst geriet der wieder in die Schlagzeilen, als Räumlichkeiten des Bistums durchsucht wurden, weil gegen den 66-Jährigen Ermittlungen wegen des Verdachts des Meineides und der falschen Versicherung an Eides statt laufen.

Das sind weitere Gründe für die vielen Kirchenaustritte

Die Geschehnisse um Kardinal Rainer Maria Woelki (66) sorgen wohl für zahlreiche Kirchenaustritte.
Die Geschehnisse um Kardinal Rainer Maria Woelki (66) sorgen wohl für zahlreiche Kirchenaustritte.  © IMAGO/Panama Pictures/Christoph Hardt

Hinzu kamen 2022 die Vorstellung eines Gutachtens zum Missbrauch im Erzbistum München und Freising und die Diskussion um eine Verwicklung des verstorbenen Papstes Benedikt XVI.

Doch warnt Kirchenrechtler Schüller ob der verheerenden Austrittszahlen vor allem diejenigen, die das Geschehen mit Argwohn betrachten. "Der Tod der Kirche trifft sie nicht nur selbst, sondern Staat und Gesellschaft verlieren einen Eckpfeiler des Sozial- und Bildungssystems, den sie nicht ersetzen können."

Gemeint sind "viele lieb gewonnene kirchliche Aktivitäten" wie Schulen, Kitas, Akademien oder soziale Einrichtungen, die verschwinden könnten.

Negativrekord auch in Dresden-Meißen

Bischof Heinrich Timmerevers (70) sieht verschiedene Gründe für die Probleme der Katholiken.
Bischof Heinrich Timmerevers (70) sieht verschiedene Gründe für die Probleme der Katholiken.  © Eric Münch

Auch im Bistum Dresden-Meißen traten 2022 so viele Menschen wie noch nie aus. 3786 Gläubige verabschiedeten sich aus dem Schoß der Kirche.

Bischof Heinrich Timmerevers (70) macht dafür neben einer veränderten Glaubenspraxis vor allem unerfüllte Reformwünsche und Enttäuschung und Frust über den Missbrauch innerhalb der Kirche verantwortlich. "An den Grenzen und dem Versagen in unserer Kirche gibt es nichts kleinzureden!"

Insgesamt hat das Bistum jetzt 133.959 Mitglieder. Deutschlandweit gibt es noch 20.937.590 Katholiken, der evangelischen Kirche gehören 19,15 Millionen Menschen (2022: -2,9 Prozent) an.

Kommentar: Kein Wunder!

TAG24-Politikredakteur Paul Hoffmann wundert sich nicht über die vielen Austritte aus der katholischen Kirche.
TAG24-Politikredakteur Paul Hoffmann wundert sich nicht über die vielen Austritte aus der katholischen Kirche.  © Eric Münch

Kommentar von TAG24-Politikredakteur Paul Hoffmann

Der katholischen Kirche laufen die Schäfchen weg. Mehr als eine halbe Million Gläubige verließen im vergangenen Jahr in Deutschland eine Institution, die über Jahrhunderte als unerschütterlich galt. Verwundern tut das aus verschiedenen Gründen nicht.

Ein erster Grund für die Austrittswelle ist schnell gefunden. Zahlreiche Skandale und Übergriffe auf Minderjährige erschüttern das Vertrauen in die Kirche. Doch es nur daran festzumachen, ist zu einfach.

Das System Kirche ist veraltet und längst überholt: In dieser aufgeklärten und schnelllebigen Zeit lockt man niemanden mehr mit Jahrhunderte alten Ritualen in den Gottesdienst. Gebete in Dauerschleife vor sich hinmurmeln, das ständige Aufstehen, Setzen, wieder Aufstehen und ein vom Weihrauch verursachter Hustenreiz sind im Jahr 2023 einfach nicht mehr sexy. Ganz abgesehen von den teils unchristlichen Zeiten, zu denen das stattfinden soll.

Das allein würden wohl noch viele Gläubige ertragen - man muss ja nicht zum Gottesdienst gehen. Doch dann kommt noch die Kirchensteuer on top, die einen beträchtlichen Teil des Gehaltes für sich beansprucht und in eben jene Institution fließt, die sich vor Skandalen derzeit kaum retten kann und Frauen immer noch wie Menschen zweiter Klasse behandelt.

Die katholische Kirche muss sich dringend erneuern und in den eigenen Reihen aufräumen, sonst werden die Gläubigen auch in den kommenden Jahren in Heerscharen davonlaufen.

Titelfoto: Montage: dpa/Oliver Berg, IMAGO/Panama Pictures/Christoph Hardt

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