Sollten wir die Sanktionen gegen Putin beenden? Das sagen Politiker und Experten

Deutschland - Sind die Sanktionen gegen Russland und Präsident Wladimir Putin (69) vernünftig oder aber gar moralisch verwerflich? TAG24 hat zu dieser Frage Meinungen von sächsischen Politikern und Experten eingeholt.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (47, CDU):

"Natürlich sind die Sanktionen noch das richtige Druckmittel, sie können nicht sofort aufgehoben werden. Aber das kann kein Dauerzustand sein. Wir kommen gar nicht umhin, eine Normalisierung der Wirtschaftsbeziehungen anzustreben."

"Bei dieser Lagebeurteilung spielt die Moral nur eine nachgeordnete Rolle"

Laut Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt muss Deutschland die Sanktionen mittragen, sofern wir unsere Moral- und Gestaltungsansprüche ernstnehmen
Laut Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt muss Deutschland die Sanktionen mittragen, sofern wir unsere Moral- und Gestaltungsansprüche ernstnehmen  © imago/Future Image

Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt:

"Ohne Folgeschäden für Ansehen und Macht der EU kann man die Sanktionen frühestens dann schrittweise beenden, wenn Waffenstillstandsverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine beginnen. Alles andere wäre schlicht ein Fehler, der die EU als Papiertiger entlarvte.

Bei dieser Lagebeurteilung spielt die Moral übrigens nur eine nachgeordnete Rolle dahingehend, dass es ein Akt verwerflicher Feigheit wäre, einen aus guten Gründen begonnenen Kampf einfach aufzugeben, nur weil man sich eine blutige Nase geholt hat.

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Wenn Deutschland seine Moral- und Gestaltungsansprüche ernst nehmen und sich nicht osteuropäischer Verachtung aussetzen will, muss unser Land die Sanktionspolitik der EU mittragen – und zugleich die Zeit ihrer uns selbst schädigenden Wirkung dadurch abkürzen, dass der weiterhin verteidigungswilligen Ukraine mehr Waffen, Munition und Aufklärungs- bzw. Führungsmittel zur Verfügung gestellt werden, als das unser Land bisher getan hat."

"Die Sanktionen sind das Mittel der Wahl, um ein Stoppzeichen zu setzen"

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (48, SPD) fordert: "Die Sanktionen müssen wir uns daher weiter leisten können."
Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (48, SPD) fordert: "Die Sanktionen müssen wir uns daher weiter leisten können."  © imago/Sylvio Dittrich

Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (48, SPD):

"Es ist nicht vernünftig, die Sanktionen zu beenden. Im Gegenteil: Der von Putin angezettelte Krieg in der Ukraine, mit tausenden Toten, Millionen Vertriebenen, Milliardenwerten, die zerstört und vernichtet wurden, Vergewaltigungen, Misshandlungen und Folter, ist durch nichts zu rechtfertigen. Die Sanktionen sind das Mittel der Wahl, um als nicht am Krieg beteiligte Nation Putin ein klares Stoppzeichen zu setzen.

Die Auswirkungen der Sanktionen sind auch bei uns in Deutschland zu spüren. Aber wesentlich stärker spürt man sie in Russland selbst, wo Teile der Wirtschaft und damit des Finanzsystems Putins kollabieren. Damit erzielen die Sanktionen sehr wohl ihre Wirkung. Ohne Sanktionen würde man Putin das Signal geben, dass es folgenlos ist, in einen anderen Staat einzumarschieren, Länder zu besetzen und das Völkerrecht zu brechen. Die Sanktionen müssen wir uns daher weiter leisten können."

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Sachsens Energieminister Wolfram Günther (49, Grüne):

"Russlands Krieg gegen die Ukraine ist einer gegen unsere Werte von Freiheit und Demokratie. Dahinter steckt ein Streben, das für das demokratisch verfasste Europa auf längere Sicht hochgefährlich ist. Die Sanktionspakete sind gemeinsame Antworten aller 27 EU-Staaten und ein gutes Stück Solidarität.

Und viele andere Länder stehen da an unserer Seite. Das sind wir unseren Werten, aber auch unseren Kindern und Enkeln schuldig. Ich glaube, die Maßnahmen werden das Aggressionspotenzial Russlands mittelfristig deutlich schwächen. Es geht meiner Meinung nach auch darum, die Ukraine in eine gute Verhandlungsposition zu bringen."

"Zweifel am Zusammenhalt in Europa spielt den Feinden von Freiheit und Demokratie in die Karten"

Sachsens Europaministerin Katja Meier (42, Grüne) hält die Umsetzung der Sanktionen für "unsere rechtliche und moralische Pflicht".
Sachsens Europaministerin Katja Meier (42, Grüne) hält die Umsetzung der Sanktionen für "unsere rechtliche und moralische Pflicht".  © IMAGO / photothek

Sachsens Europaministerin Katja Meier (42, Grüne):

"Der völkerrechtswidrige, verbrecherische Krieg Russlands gegen die Ukraine bedarf weiterhin einer entschlossenen und geschlossenen Reaktion [...] in Deutschland und in Europa. Wir, die Europäische Union, sind nur dann stark, wenn wir geeint und solidarisch unsere Werte von Freiheit und Demokratie verteidigen. Die russische Strategie setzt auf 'spalte und herrsche'.

Zweifel an unserer Solidarität und am Zusammenhalt in Europa spielt den Feinden von Freiheit und Demokratie in Russland in die Karten. Die Umsetzung und Durchsetzung der bestehenden EU-Sanktionen in Deutschland und in Sachsen ist deshalb unsere rechtliche und moralische Pflicht. Ein Aufkündigen der Sanktionen wäre nicht 'vernünftig', vielmehr würde es unsere Glaubwürdigkeit untergraben und unserem Interesse an einer starken und geeinten Europäischen Union schaden."

Markus Schlimbach vom DGB Sachsen:

"Nein, die Sanktionen sind richtig und notwendig. Die Wirtschaftsdaten aus Russland zeigen auch, dass sie zu wirken beginnen. Im 1. Quartal 2022 ist die ohnehin nicht starke russische Wirtschaft um 4 Prozent geschrumpft. Und es muss auch darum gehen, dass wir zu unseren Werten von Freiheit und Demokratie stehen, auch wenn es kompliziert wird."

"Würde man die Sanktionen beenden, würde man damit gegenüber Putin nur Schwäche signalisieren"

Prof. Dr. Joachim Ragnitz fragt, wie die Weltordnung nach einem hoffentlich irgendwann erreichten Frieden in der Ukraine wohl aussehen mag.
Prof. Dr. Joachim Ragnitz fragt, wie die Weltordnung nach einem hoffentlich irgendwann erreichten Frieden in der Ukraine wohl aussehen mag.  © Thomas Türpe

Prof. Dr. Joachim Ragnitz vom ifo Institut:

"Deutschland und Europa leiden ja nicht primär unter den Sanktionen gegen Russland, sondern vor allem unter den Reaktionen Russlands hierauf. Nicht wir, sondern Russland hat die Gaslieferungen eingeschränkt. Würde man die Sanktionen beenden, würde man damit gegenüber Putin nur Schwäche signalisieren und ihn geradezu einladen, durch variierende Liefermengen Unsicherheiten zu erzeugen.

Mittel- bis langfristig sehe ich deshalb die einzige Lösung darin, die bestehende Abhängigkeit von Energie- und Rohstofflieferungen aus Russland abzubauen, also die Beziehungen zu weiteren Lieferländern zu intensivieren. Ein beschleunigter Ausbau regenerativer Energien in Deutschland selber ist diesbezüglich auch sinnvoll, aber wir brauchen für die Übergangszeit auch weiterhin fossile Energieträger. Wir müssen also auch über Fracking in Deutschland oder eine stärkere Nutzung der Kohlevorräte reden.

Natürlich wäre es naiv zu glauben, dass die Sanktionen Russland zum Truppenabzug aus der Ukraine bewegen könnten. Aber auch einen militärischen Sieg der Ukraine kann ich mir kaum vorstellen. Man muss sich deswegen viel mehr Gedanken darüber machen, wie der Krieg am Verhandlungstisch beendet werden kann und wie die Weltordnung danach aussehen wird. Aber eine solche Diskussion wird derzeit augenscheinlich nirgendwo geführt."

"Da der russische Angriff andauert, gibt es keinen Grund, die Sanktionen zu beenden"

Laut Dr. Andreas Sperl ist Russland sowohl wirtschaftlich als auch politisch kein verlässlicher Partner mehr für Deutschland.
Laut Dr. Andreas Sperl ist Russland sowohl wirtschaftlich als auch politisch kein verlässlicher Partner mehr für Deutschland.  © Steffen Füssel

Dr. Andreas Sperl von der IHK:

"Bei den Sanktionen handelt es sich um ein EU-weit abgestimmtes Vorgehen. Unbenommen der Sanktionen mussten Wirtschaft und Politik parallel zum Überfall auf die Ukraine feststellen, dass Russland zwar über viele Jahre seinen Lieferverpflichtungen nachgekommen ist, mittlerweile aber kein verlässlicher Partner mehr ist, wie die willkürlichen Reduzierungen der Gaslieferung durch die Nord Stream 1 Pipeline zeigen. Vor diesem Hintergrund muss infrage gestellt werden, ob Wirtschaftsbeziehungen zu Russland momentan überhaupt eine belastbare Grundlage besitzen oder nicht, ganz unabhängig von Sanktionen."

Andreas Eichhorst aus dem Vorstand der Verbraucherzentrale:

"Was beendet werden sollte, ist der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Unsere Solidarität gilt uneingeschränkt dem ukrainischen Volk."

Thomas Horn von der GF Wirtschaftsförderung Sachsen GmbH:

"Da der russische Angriff andauert, gibt es keinen Grund, die Sanktionen, die richtig sind, zu beenden. Sie treffen die russische Wirtschaft hart mit enormen mittel- und langfristigen Folgen. Auch in Sachsen stellen die Auswirkungen Bürger und Unternehmen vor große und so noch nie dagewesene Herausforderungen. Der Wirtschaftsstandort ist aber stark genug, diese zu meistern und wird dabei durch staatliches Handeln auf Bundes- und Landesebene bestmöglich unterstützt. Die Ukraine hat weiterhin unsere volle Solidarität und Unterstützung!"

Titelfoto: Robert Michael/dpa und Aleksey Nikolskyi/Sputnik/dpa

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