"Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann": Über die schwere Bürde vom Autismus

Deutschland - Ambitioniert und einfühlsam! Mit "Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann" startet am 31. März eine Dokumentation in den deutschen Kinos, die uns die Lebenswelt autistischer Menschen näherbringt. Die TAG24-Kritik.

Die junge Amrit spricht nicht, drückt sich aber umso stärker durch ihre Kunst aus.
Die junge Amrit spricht nicht, drückt sich aber umso stärker durch ihre Kunst aus.  © © DCM

Wie würdet Ihr Euch fühlen, wenn plötzlich jedes Geräusch zu laut, jede Farbe zu grell, jeder Sinneseindruck bis zur Unerträglichkeit geschärft wäre? Würdet Ihr jemanden um Hilfe bitten? Aber was wäre, wenn niemand Eure Hilferufe richtig verstehen könnte, egal, wie laut Ihr schreit?

In so einer Welt lebt Naoki Higashida, ein kleiner Junge, der zu den nonverbalen (d.h. nicht sprechenden) Autisten gehört. Das heißt, er ist nicht in der Lage, seine Gefühle "richtig" mündlich auszudrücken und so zu neurotypischen (d.h. in ihrer Gehirnentwicklung unauffälligen) Menschen eine soziale Verbindung aufzubauen.

Stattdessen schreibt er mit nur 13 Jahren seine Erfahrungen als Autist auf, in Form des späteren Bestsellers "Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann", der Betroffenen und ihren Angehörigen eine eindringliche, poetische Stimme gibt.

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Die gleichnamige Dokumentation schickt Zuschauer auf eine Reise quer durch Indien, Großbritannien, die USA und Sierra Leone, auf den Spuren fünf junger autistischer Menschen und ihrer Familien.

Entstanden ist ein mikroskopischer Blick auf die Sinneswelt autistischer Menschen, der mitfühlen lässt und verzaubert.

Deutscher Trailer zu "Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann" von Jerry Rothwell

"Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann": Klaustrophobisch nah am Puls des Autismus

Naoki Higashida selbst taucht im Film nicht auf, sein Stellvertreter ist ein kleiner Junge, der der Natur gegenübertritt.
Naoki Higashida selbst taucht im Film nicht auf, sein Stellvertreter ist ein kleiner Junge, der der Natur gegenübertritt.  © © DCM

Der Regisseur Jerry Rothwell, der erfahren auf dem Gebiet der Dokumentationen ist, orientiert sich stark an Higashidas Buch als Vorlage.

Dabei dient es nicht als reine Inspiration. Stattdessen verbindet er direkte Zitate geschickt im Dialog mit den Interviews der Protagonisten und ihrer Angehörigen.

Zu Wort kommt auch David Mitchell, Autor des Bestsellers "Cloud Atlas", Vater eines autistischen Kindes und Co-Übersetzer von "Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann".

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Es werden blendend helle Sinneseindrücke und Gefühle beschrieben, die zur Reizüberflutung führen, ohne dass diese verbal wirklich ausgedrückt werden kann.

Oft werden diese auch noch durch die ohnehin schwierige Pubertät und jahrhundertealte gesellschaftliche Vorurteile verkompliziert. Die Protagonisten flüchten sich deshalb in farbenprächtige Kunst oder ins Trampolinspringen, ins Erzählen messerscharfer Erinnerungen, die weit bis in die Zeit als Kleinkind zurückreichen.

Rothwell wählt immer wieder Nahaufnahmen, die auf Dauer fast klaustrophobisch wirken. Visuell reizvoll sind sie trotzdem, genau wie die starke Herausarbeitung von Umweltgeräuschen, die auch beim Zuschauer starke Emotionen hervorrufen.

Original-Trailer für "The Reason I Jump" mit "Cloud Atlas"-Autor David Mitchell

"Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann" bedient keine gängigen Klischees

Berührt werden auch Themen wie gesellschaftliche Vorurteile gegenüber autistischen Menschen, wie zum Beispiel in Sierra Leone.
Berührt werden auch Themen wie gesellschaftliche Vorurteile gegenüber autistischen Menschen, wie zum Beispiel in Sierra Leone.  © © DCM

Da der schüchterne Higashida selbst nicht im Film auftreten wollte, erschafft Rothwell einen kindlichen Blickwinkel. Dieser will sich der Welt mit Neugier und intensiven Sinnen nähern. Auf diese Weise eröffnet er uns auch seine Lebensrealität.

Autismus ist ein Spektrum, das weitaus mehr Facetten zu bieten hat, als es uns Popkultur-Figuren wie etwa Sheldon Cooper aus "The Big Bang Theory" stellvertretend weismachen wollen. Nicht alle Autisten sind hochbegabt, nicht alle leiden gleich stark unter den Symptomen, sondern erfahren die Welt und ihre Mitmenschen auf unterschiedliche Weise.

Rothwell möchte sich von der Kategorie eingeschränkter Funktionalität verabschieden und durch seine Dokumentation zeigen, wo Schnittstellen mit autistischen Menschen bestehen, die zur Empathie anregen.

Aber auch die realistischen Herausforderungen, vor denen Eltern und Freunde stehen, werden im Film nicht verschwiegen. Stattdessen steht das gegenseitige Bedürfnis nach Verbundenheit im Vordergrund, das sehr schnell auf den Zuschauer abfärbt.

Mit "Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann" ist Jerry Rothwell ein audiovisuelles Glanzstück gelungen, das neue Perspektiven aufzeigt, ohne belehrend zu wirken, und Sinne intensiv erleben lässt. Auf jeden Fall empfehlenswert!

Titelfoto: © DCM

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