Berlin - 2004 kam die bitterböse und intelligente Politsatire "Muxmäuschenstill" in die deutschen Kinos - und mauserte sich zum Kultfilm. Nun kehrt der radikale Weltverbesserer Mux auf die große Leinwand zurück. TAG24 traf Regisseur, Schauspieler und Autor Jan Henrik Stahlberg (54) zum Interview.
TAG24: Wie viel Mux steckt in Ihnen - oder gar nichts von ihm?
Stahlberg: Nee, überhaupt nichts, finde ich, das wäre falsch. Ich bin ein großer Anhänger des Humanismus. Nichts Menschliches ist mir fern. Ich glaube, dass ich jede menschliche Neigung oder jeden Charakter auch nachvollziehen kann, auch wenn ich auch das Glück habe, über einige Dinge nicht zu verfügen, die vielleicht ein Massenmörder hat. Ob wir es wollen oder nicht, in jedem von uns steckt ein Stück Mux. Das macht aber wohl auch den Film so spannend. Mux ist auf der einen Seite ein unangenehmer Zeitgenosse, auf der anderen Seite sagt und macht er Dinge, denen man sich, wenn man ehrlich ist, nicht entziehen kann. Das ist auch ein Stück Mux von mir drin, das stimmt.
TAG24: Besteht darin auch die Faszination, ihn zu spielen?
Stahlberg: Ja, definitiv. Das Interessante ist dieses Schillernde, dieses Ambivalente, wo ich sage: Das sind Sachen, die ich nie machen würde, aber verstehe, warum man es macht. Ich glaube, wenn man eine Person spielt, die aneckt oder so weit geht wie Mux, der sich für Martin Luther hält, umso mehr macht es Spaß, sie zu spielen.
TAG24: Gab es wie beim ersten Teil eine Beobachtung, eine Inspiration oder konkreten Anlass, nun eine Fortsetzung zu drehen?
Stahlberg: Ich glaube, dass ich seit längerer Zeit den Eindruck hatte, dass irgendetwas politisch schiefläuft. Das fing so mit Hartz IV an. Da habe ich am Anfang noch gedacht: Ja, gut. Das muss sein, den Gürtel enger schnallen, Lohnzurückhaltung, wir müssen konkurrenzfähig sein, Globalisierung. 2008, mit dem großen Knall an der Börse, habe ich mich mehr damit befasst, was Neoliberalismus eigentlich ist. Wir arbeiten zu viel und zu lang und wir können von unserer Arbeit nicht mehr leben. Wir sind in diesem Hamsterrad der Lohnarbeit gefangen, da können wir uns nicht mehr für unsere eigentlichen Belange interessieren. Das ist, glaube ich, der Punkt gewesen, den ich interessant fand, diesem Punkt nachzugehen, denn den kann ich beim Muxismus nachvollziehen.
"Muxmäuschenstill X" von und mit Jan Henrik Stahlberg läuft im Kino an
TAG24: Gibt es berechtigte Angst, Menschen könnten den Film nicht als Satire verstehen? Ihm ist ja ein Disclaimer vorgeschaltet.
Stahlberg: Ja. Das ist leider Gottes ein Tribut an unsere Zeit. Ich finde diesen Warnhinweis völlig überflüssig, aber aus juristischen Gründen wurde uns dazu geraten. Dann haben wir ihn halt so ironisch wie möglich formuliert. Ich glaube nicht, dass die Leute den brauchen.
TAG24: Gab es beim ersten Teil Menschen, die sich in Mux wiedererkannt haben und ihn nachahmen?
Stahlberg: Sie sprechen zu Tausenden von Leuten. Sie werden immer jemanden finden, der etwas sich missverstanden hat. Aber das ist, glaube ich, nicht das Problem des Redners. Das ist ja auch unmöglich. Dann darf man gar nichts mehr sagen. Ich glaube, ich habe einen Brief bekommen von irgendjemanden, der gesagt hat: "Das ist ja toll, wir machen jetzt die Bürgerwehr auf." Da dachte ich, okay, der hat es falsch verstanden. Es ist belanglos, wenn sich ein, zwei das nicht zusammenreimen können.
TAG24: Wie kommt es, dass der Film am Tag der Arbeit erscheint?
Stahlberg: Das war eine Idee vom Filmverleih, und ich fand sie schön. Viele Leute sind einfach froh, dass sie freihaben, auch wenn sie nicht mehr genau wissen, warum es so ist. Am wichtigsten finde ich, dass es ein langes Wochenende ist und es die Leute vielleicht bewegt, ins Kino zu gehen.
TAG24: Die Bewegung in dem Film geht von Elstertrebnitz südwestlich von Leipzig aus. Glauben sie, dass die Menschen in Sachsen empfänglicher für den Muxismus sind als zum Beispiel in Schleswig-Holstein?
Stahlberg: Mux ist der Meinung, dass die friedliche Revolution aus dem Osten heraus geboren wird. Das ist aber Mux, der das sagt. Ich würde sagen, den Muxismus versteht auch jeder in Castrop-Rauxel oder in Pasing. Das ist kein Unikat und ich sage nicht, das versteht nur der Ostdeutsche. Weit gefehlt. Ich glaube, wir alle arbeiten zu viel.
TAG24: Glauben Sie auch, dass so ein bestimmter Mann mit einer lustigen Frisur aus dem Sauerland den Muxismus verstehen würde?
Stahlberg: Meinen Sie Merz?
TAG24: Ja.
Stahlberg: Natürlich, aber er würde ihn ablehnen. Der Muxismus ist ja nicht kompliziert. Merz, das ist die Generation der Neoliberalisten. Er ist die Inkarnation des Neoliberalismus. Er würde nicht leugnen, dass es einen Unterschied zwischen Oben und Unten gibt. Er würde nur sagen, es ist verdient, wer oben oder unten ist. Das ist das System. Wir gießen von oben und dann geht es so langsam runter zu denen, die faul sind und nicht in der Lage sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Für Merz gibt es Unterschiede, die für ihn aber auch leistungsfördernd sind: Wenn wir uns anstrengen, werden wir auch Millionäre.
"Muxmäuschenstill X" erscheint am Tag der Arbeit
TAG24: Wenn Mux im Zelt davon redet, dass "jeder seines Glückes/Unglückes Schmied" sei, vor einer Schulklasse vor dem Neoliberalismus warnt, könnte man denken, im Ansatz hat der Mux doch recht.
Stahlberg: Wieso nur im Ansatz? Oder ist der Gedanke richtig, aber die Umsetzung falsch? Mux ist eine Ladung voller Schmierseife. Er fordert heraus. Deswegen trifft er auch den Zeitgeist - insofern, dass wir heutzutage wahnsinnig damit beschäftigt sind, dreimal hin und her zu überlegen: Darf ich das sagen oder nicht? Diese Schere haben wir internalisiert. Da gibt uns Mux eine Euphorie.
TAG24: Was ist an Projekten in der Zukunft geplant?
Stahlberg: Ich habe eine ganze Schublade voller Geschichten, die ich mir vorstellen wollen würde. Auf der einen Seite ist es heutzutage wichtiger denn je, den Finger in die Wunde zu legen, auf der anderen Seite ist es schwieriger, Unterstützung von einem Sender, von Geldgebern zu bekommen. Ich habe für MUX sieben Jahre gebraucht. Wenn das so weitergeht, wenn ich meine Schublade nicht mehr abarbeiten kann, wird es knapp.
TAG24: Das Ende von Mux ist offen. Besteht die Möglichkeit, dass ...
Stahlberg: Ich würde es ihm zutrauen.