Kurator vor Herausforderung: DNA-Fund prägt neue Wikinger-Ausstellung
Hamburg - Schon lange bevor Columbus in See stach, hatten sie große Teile der Welt entdeckt: die Wikinger. Sie gelten als die ersten Europäer, als Mitbegründer der Seefahrt und sind bis heute fester Bestandteil des kulturellen Gedächtnisses sowie zahlreicher Sagas. Ab Mittwoch erweckt die immersive Ausstellung "VIKINGS – Entdecker und Eroberer" in der Halle 7 in Hamburg-Altona mit interaktiven Elementen, visuellem Storytelling und Virtual Reality die faszinierende Epoche zum Leben. TAG24 durfte schon einen Tag vor der Weltpremiere eintauchen.
Direkt zu Beginn wartet die erste Besonderheit: Der Audioguide liegt nicht auf, sondern über den Ohren, so bleiben Gespräche und die besondere Atmosphäre der Ausstellung hörbar.
Durch das immersive (dt.: eintauchen) Erlebnis führt als roter Faden die Figur der Kraka, auch bekannt als Aslaug, Tochter des Drachentöters Siegfried und der Walküre Brynhild. Ihre Stimme begleitet die Besuchenden auf einer Reise von ihrer Kindheit bis zu ihrer späteren Rolle als Königin.
Für Kurator Mitch Sebastian (59) war Kraka der Schlüssel zur gesamten Ausstellung: "Sie existiert sowohl in der mythischen Welt als auch in den historischen Erzählungen. Durch sie konnte ich 300 Jahre Geschichte in einer einzigen Figur verdichten."
Für den gebürtigen Briten war die Ausstellung eine echte Herausforderung – und das nicht nur wegen der kurzen Vorbereitungszeit: "Vorher habe ich Ausstellungen über Menschen gemacht – Frida Kahlo, Van Gogh – da ist die emotionale Verbindung sofort da", erklärt er im TAG24-Gespräch. "Aber hier – bei den Wikingern – musste ich erst einen persönlichen Zugang finden und Kraka ist genau dieser."
Seine Faszination für die spätere Frau des Wikingerkönigs Ragnar Lodbrok begann mit dem berühmten Grab von Birka in Schweden, in dem eine Frau mit Waffen beigesetzt wurde. "Lange dachte man, das sei ein großer Krieger. Dann stellte sich heraus: Es war die DNA einer Frau", so Sebastian. "Das veränderte alles. Es zeigte, dass Frauen in der Wikingerzeit mächtige Positionen innehatten!"
Weltenbaum "Yggdrasil" als Herzstück der Ausstellung
Mithilfe von Krakas Erzählungen, Infotafeln, Ausstellungsstücken und dem "Forest of Time" wird auch der oft vergessene Alltag der Wikinger lebendig: vom Dorfleben über die Schmuckherstellung bis hin zum Schiffsbau.
Nur für das achtminütige Virtual-Reality-Erlebnis unter dem Weltenbaum "Yggdrasil" – der in der nordischen Mythologie alle Welten miteinander verbindet – schweigt der Audioguide.
"Ich liebe diesen Teil der Ausstellung", sagt Kurator Mitch Sebastian gegenüber TAG24. "Dass wir den Mut hatten, diesen riesigen Baum zu bauen – und ihn wirklich zum Herzstück zu machen. [...] Hier geht es um Verbundenheit mit der Natur, mit der Geschichte und miteinander."
Die Idee sei zufällig entstanden: "In einer früheren Ausstellung hingen die VR-Kabel von der Decke – und plötzlich dachte ich: Das sieht aus wie Ranken, wie Lianen eines riesigen Baumes." Heute formen leuchtende, bewegliche Röhren die Äste von "Yggdrasil", die zugleich an Runen erinnern. "Er dreht sich langsam, fast wie ein Atem", beschreibt Sebastian die Atmosphäre. "Wenn du gut zuhörst, erzählt er dir, was er wirklich sein will."
Nach dem Erlebnis unter dem Weltenbaum führt der Weg weiter durch eine Nebelkammer, die den Dunst auf dem Weg zum Hafen symbolisiert. Dann ertönt ein Hornstoß – und plötzlich steht man mitten in der Hauptshow: rund um ein rekonstruiertes Wikingerlangschiff, das zugleich begehbar ist und als Projektionsfläche dient.
Wikinger waren mehr als eine "betrunkene Horde"
Wissenschaftlich begleitet wurde die Ausstellung von Professor Rudolf Simek (71): "Mir war wichtig, dass Fantasie und Fakten in Balance bleiben", so Simek gegenüber TAG24. "Das Ziel war, Wissen spannend zu vermitteln, aber ohne falsche Informationen."
Auch die mythische Hauptfigur ordnet der Experte ein: "Die Figur Aslaug oder auch Kraka sind literarische Gestalten, die wahrscheinlich mehrere reale Frauen vereinen", so Simek.
"Archäologische Funde wie das Grab von Birka werden heute meist symbolisch interpretiert – sie war wohl eine Anführerin oder Haushaltsvorstand, aber keine tatsächliche Kriegerin."
Trotzdem seien Frauen im Alltag der Wikinger weitaus gleichberechtigter gewesen als zu dieser Zeit üblich: "Während die Männer auf See waren, führten Frauen die Höfe, hielten Wirtschaft und Familie zusammen. Das gab ihnen Macht und Unabhängigkeit", erklärt Simek. Dieses Selbstbewusstsein präge die skandinavischen Gesellschaften bis heute.
Besonders wichtig war es Rudolf Simek, dass die Wikinger nicht nur als Krieger, sondern auch als Kulturschaffende, Händler und Entdecker gezeigt werden: mit sozialer Struktur, Handwerkskunst und kultureller Tiefe.
In der Popkultur würden die Wikinger immer noch gerne als eine "wilde, betrunkene Horde" dargestellt werden: "Tatsächlich war das Gegenteil der Fall. Sie waren strategisch sehr diszipliniert und militärisch geschickt – auch nötig, um mit kleinen Gruppen im Ausland zu bestehen", so der Experte, der sich bereits seit über 30 Jahren mit den Wikingern beschäftigt.
Nach der Premiere in Hamburg soll "VIKINGS – Entdecker und Eroberer" auch weitere Standorte in Deutschland erobern. Weitere Informationen und Tickets unter vikings-immersive.com.
Titelfoto: Montage: Vikings, TAG24/Madita Eggers

